Möglichkeiten der Vermarktung I – Kunst von der Rolle

Wenn die Zeit reif ist, dann liegen die Ideen in der Luft, dann werden sie von verschiedenen Seiten aufgegriffen und realisiert. Seit Anfang der neunziger Jahre des letzten Jahrhunderts war die Idee reif für neue, für andere Vermarktungsformen von Kunst. Sie sollte aus den hehren Galerien heraus, sollte, da der berühmte Hunger nach Bildern abgeebbt war, auch dem einfachen Bürger käuflich werden. Die Zeit der jungen Wilden war vorbei, die meisten nachzüglerischen Kunstspekulanten hatten sich verspekuliert, wieder einmal hatte die Kunst der Realwirtschaft etwas vorausgenommen: eine Kunstblase war entstanden, eine kunterbunte Seifenblase, die irgendwann platzen musste. Während einige Wenige den großen Reibach gemacht hatten, mussten die Anderen die Zeche bezahlen und saßen nun auf ihren mittelmäßigen Bildern, die keine Sau mehr interessierten. Übrig geblieben ist von diesen damals so hochgelobten Artisten kaum eine, kaum einer, die meisten vergessen. Die Museen hatten auch genug von dem Zeug und verlagerten diesen Kram leise, aber konsequent ins letzte Eckchen ihrer Archive und Depots, wo sie bis heute verrotten. Auch so können Fördergelder aus Steuermitteln verschleudert werden.  Sie schlugen die schäbigfleckige Decke des Vergessens über die zu dieser Zeit getätigten teuren Fehlkäufe.

Viel Wind um nichts

Nur die wenigen Kenner, die sich an die großen Namen gehalten hatten, an Richter, Penck, Immendorf, Baselitz, Lüppertz, Polke, Trockel und Kiefer, können sich bis heute die Hände reiben. Alles andere war Kunst aus zweiter Reihe. (Jetzt wird es wieder ein grollendes Aufmurren geben, man könne doch nicht die und den vergessen. Nein, das mache ich auch nicht, aber es gibt nun einmal zwei Seiten der Kunst, zum einen sie als solche, zum anderen den Kunstmarkt. Und der diktiert letztlich, was in die Museen kommt, wer nicht. Kein musealer Kurator hat den Mut oder die Kraft, unbekannte Künstler auszustellen, auch wenn er sie noch so gut findet. Er oder sie wird sich immer auf den Markt verlassen, und der wird nun einmal bestimmt von Galerien und Sammlern, von Spekulanten und dem halbseidenen Treiben auf den großen Kunstmessen.) Wer kennt denn von Ihnen noch die damals gehypten Jungen Wilden, diese lustigen Farbenspritzer und Kleckerer, die viel Wind um wenig Inhalt machten? Endlich mal malen, was so gerade anstand, ohne nachzudenken. Das ist nicht gemein, wie jetzt vielleicht unterstellt werden könnte, diese Künstler konnten selber nichts dafür, man hatte sie einfach benutzt.

Selbstvermarkungsstrategien?

Viele junge Künstler hatten Anfang der neunziger einfach keine Lust mehr auf den willfährigen Umgang mit ihrem Werk und wollten eigenständig werden, andere hatten ihre Galerien verloren und mussten selber auf die Beine kommen. Sie wussten damals wie heute, dass sie keine Chande auf dem Markt haben werden, solange jedenfalls, wie Sammler vor allem auf die möglichen Wertsteigerungen achten, solange wie Privatmenschen lieber Kunstdrucke an den Wänden haben und das gesparte Geld lieber für neue Fernseher oder teure Schuhe ausgeben, die man nur eine Saison trägt.

Kunst und Spiel

In Bad Godesberg gab es zum Beispiel zwischen 1988 und 1991 eine regelmäßige Zusammenkunft von Industriellen und Bundespolitikern. Man traf sich zum privaten Roulettespiel in einer privaten Wohnung, die Umsätze waren beachtlich und nebenbei wurden auch Bilder verkauft, die ein junger Künstler dort aufgehängt hatte. Ein möglicher Ansatz für Selbstvermarktung.

Das Siegener Modell

In einigen Städten bildeten sich durch Zusammenschluss dieser etwas frustrierten Artisten sogenannte Kunstkaufhäuser, in denen auch bekannte Künstler unter anderen Pseudonymen ihre ästhetische Ware zum kleinen Preis feilboten. Exemplarisch soll eine mögliche Entwicklung einmal anhand der idyllischen Provinzstadt Siegen erhellt werden. Dort hatte sich in den achtziger Jahren die Kunstabteilung der Universität mühsam einen kleinen Namen gemacht und irgendwann wollten die Studierenden ihr eigenes Ding drehen. Einer der Professoren (Daniel Hees) veranstaltete regelmäßig einmal im Monat ein gemeinsames Kochen. Er war der ganz vernünftigen Meinung, dass ein Künstler auch kochen können muss; schon allein deshalb, weil er oder sie es sich kaum leisten kann, ins Restaurant zu gehen. Es wurden regelmäßig neue Sachen ausprobiert, die übrigens oft aber nicht immer gut schmeckten, sei es , weil die roten Linsen versalzen waren, sei es ,weil irgendjemand der Meinung war, dass man unbedingt Sardellen und viel Knoblauch ins Bulgur geben müsse. Gut waren auf jeden Fall jedes Mal die zu trinkenden Weine, denn bei der Auswahl gab es immer ein wichtiges Kriterium, sie durften niemals billig schmecken. In solchen geselligen Runden werden oft schöne Ideen geboren, die man leider viel zu oft wieder vergisst. Dieses Mal hatte die Idee „Kunst von der Rolle“ zu verkaufen jedoch das unverschämte Glück, dass jemand so einiges auf das Makulaturpapier geschrieben hatte, welches als Tischdecke diente. Beim Aufräumen am nächsten Tag wurden die Kritzeleien entdeckt, die Teilnehmer angesprochen. Man fand sich wieder zusammen, organisierte und entdeckte einen angemessenen Ort, die Villa Waldrich. Veranstaltet wurde dies offiziell als Ausstellung der Universität, bei der die Besucher tatsächlich Meterware Kunst von der Rolle kaufen konnten (Nele Bäumer, Stephanie Wiebusch, Susanne Skalski, Ralf Gablik) andere Künstler dachten die Idee weiter, ihre Rollenware wurde so groß, dass sie tatsächlich unverkäuflich war (Benno Derda, Thomas Kellner, Alexia Krauthäuser, Haimo Hieronymus) oder es handelte sich um Videokunst (Barbara Steffen). Aber ein erster Schritt an den Kunstmarkt war getan. Einige der Künstler hatten ihren ersten kommerziellen Erfolg. Tatsächlich, die Idee schlug Wurzeln und sollte späte Früchte tragen. Doch dazu in den folgenden Artikeln.

Weiterführend → Zum Thema Künstlerbücher finden Sie hier einen Essay sowie einen Artikel von J.C. Albers. Lesen Sie in diesem Zusammenhang auch den Essay über den Wandel des Museums.