Der Begriff Zombie leitet sich von dem Wort nzùmbe aus der in Nord-Angola beheimateten Bantusprache Kimbundu ab. Er bezeichnete dort ursprünglich einen Totengeist, eine Bedeutung, die das im Kreolischen gebräuchliche Wort zonbi (gesprochen zombi) in Haiti noch besitzt.
Eigentlich sind Zombies lebende Tote. Vertieft sich allerdings der Leser in den Kurzgeschichtenband „Zombies“ von A.J. Weigoni, glaubt er sich eher von toten Lebenden umgeben, die als willenlose Marionetten an Fäden von Hintermännern und -frauen zu hängen scheinen, um auf diversen gesellschaftlichen Kleinbühnen dem zu folgen, was Trendsetter, Politiker, Journalisten, Autoren, Regisseure und andere wie auch immer geartete Puppenspieler von ihnen erwarten.
Der Autor, ob nun als Dompteur menschlicher Bestien oder als deren schlichter Beobachter unterwegs, führt den Leser durch einen nicht gerade abgesicherten Käfig, in dem menschliche Monster und normale Zeitgenossen ihren Ängsten, Leidenschaften und Alltagsgrausamkeiten ausgeliefert sind. Im Tonfall banal und unaufgeregt, regt der in Budapest geborene Autor dennoch auf und findet je nach Inhalt der jeweiligen kurzen Erzählungen eine ureigene Sprache, die seine Figuren und deren Lebensumwelt äußerst zutreffend charakterisiert. Dabei schöpft er offenbar aus einem schier unglaublichen Vokabel-Repertiore eines Sprachgenies.
Seine bedauernswerten Gestalten stellt Weigoni durch grotesken und rabenschwarzen Humor als rettungslose Verlierer dar, die unaufhaltsam global apokalyptischen Niedergangsszenarien ausgeliefert zu sein scheinen. Angesichts der Reaktorkatastrophen im japanischen Fukushima kommt somit ein Teil dieser Szenarien den Realitäten erschreckend nah.
Der Autor beklagt – allerdings ohne wirklich zu klagen – Identitätsverluste, stellt Geschlechterrollen in Frage. Er setzt unter anderem in der Erzählung „Werbeblock“ einem „Selbst- und Fremddarsteller“ und dessen „veraltetem Image den coolen Dandy entgegen, der sich vor dem Spiegel selbst entwirft. Ein in Würde gealtertes Symbol für galantes Machotum…“ Der verunsicherte Mann bleibt somit auch nicht verschont. „Macht, was ihr wollt, aber macht es profitabel!“ ist offenbar „der Leitgedanke“, dem in der kapitalistischen Welt alle Figuren Weigonis mehr oder weniger offensichtlich folgen.
Der Sprachjongleur nimmt seine Leser mit auf eine abenteuerliche Reise „in popmoderner Grossraumprosa“, lässt sie an vielen Stationen aussteigen und führt sie in der Umgebung herum. Dabei macht er sie zu Voyeuren gewöhnlicher Obzönitäten, die er als Reiseführer sprachlich ungewöhnlichst präsentiert.
Das Buch eignet sich weniger als entspannende Urlaubs- oder Feierabendlektüre, wohl aber als Lesestoff für gesellschaftskritische Realisten und Surrealisten, die gern in Happen Bücher mit kurzen Erzählungen lesen und durchaus ahnen, dass Menschen nur äußerst bedingt aus ihrer Vergangenheit schlauer werden.
Beinahe hoffnungsvoll philosophisch und auffordernd endet das Buch mit der Feststellung: „Die Vergangenheit wird begehbar, ein Zurück ist kein Rückschritt. Ankunft ist ein Prozess, der nicht enden wird.“ Damit lässt Weigoni seine Leser dann doch nicht vollkommen hoffnungs- und orientierungslos im Chaos – oder um es aktuell auszudrücken – im atomaren Regen stehend zurück.
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Zombies, Erzählungen von A.J. Weigoni. Edition Das Labor, Mülheim, 2010
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KUNO übernimmt einen Artikel von Karl Feldkamp aus Neue Rheinische Zeitung und von Jo Weiß von fixpoetry. Enrik Lauer stellt den Band unter Kanonverdacht. Betty Davis sieht darin die Gegenwartslage der Literatur, Margaretha Schnarhelt kennt den Ausgangspunkt und Constanze Schmidt erkennt literarische Polaroids. Holger Benkel beobachtet Kleine Dämonen auf Tour. Ein Essay über Unlust am Leben, Angst vor’m Tod. Für Jesko Hagen bleiben die Untoten lebendig.