Im Juli 2008 wurde „Sommerloch“ zum Wort des Tages gekürt. Leider fehlt das Dokument dazu auf dem Url-Hinweis, es löchelt. So ein Käse, denkt sie und fragt sich, ob im Emmentaler, diesem berühmten Schweizer Lochkäse, im Sommer mehr Löcher entstehen bei der Herstellung als im Winter.
Wie die Menschen in der Ortsgemeinde „Sommerloch“ im Landkreis Bad Kreuznach in Rheinland-Pfalz, inmitten von Weinbergen und barocken Einzeldenkmälern Löcher in den Sommer schlagen, ist auf Wikipedia nicht festgehalten. Der schmale Bericht über diesen Ort ist demnach für die Phantasie des Lesers/der Leserin suboptimal gehalten, hat Platz für sechsbeinige Kälber und anderes Getier an dem (sich) der interessierte Leser der „fünften Jahreszeit“ weidet und in dessen Rolle zu schlüpfen ein durchaus spannender Akt sein kann.
Vor allem wenn es für besagtes Sommerloch sogar einen Orientierungsplan gibt. Eine Hauptstraße, eine Parallelstraße und vier Querstraßen fügen sich zu einem bewohnbaren fast gleichseitigen Viereck. Die Quadratur des Loches. Dieses Sommerloch hat Struktur und Plan.
Mit unverstelltem Blick hinter die Konstruktionen von Wirklichkeiten, versucht sie sich in Nebenkonstruktionen.
Die Determinativkomposition aus den Substantiven Sommer und Loch mit dem Synonym Saure-Gurken-Zeit in der Sandkiste buddelnd zu betrachten, die, anders als der weite Sandstrand der sich in den nie enden wollenden Wellenbewegungen des offenen Meeres hinausverliert, einen soliden Holzrahmen hat, auf dem es sich gut sitzen lässt, ist eine – wortwörtlich- tiefgehende Mischung. Wie ein offenes Geheimnis rinnt eine Hand voll Sand nach der anderen zurück in die Lücken, dorthin wo er entnommen wurde. Kein Sandkorn fragt nach seiner Identität. Es ist wie es ist und gibt eine Vorlage für kontinuierliche Veränderung an Gruben, Höhlungen und Gräben ab in einem Sommer der Zeit zum Nachfragen hat, der Leere als Bedingung für nachfolgende Auffüllung verlangt. Das Kind drückt einen Sandberg nach dem anderen flach.
„Wir brauchen die Literatur, um zu werden, was wir sind – aber was bin ich?“ fragt sich Ina Hartwig im Vorwort ihres Essaybandes über Literatur, eine mit dem Alfred-Kerr-Preis 2011 bedachte Literaturkritikerin und Autorin. In diesem 2012 im Fischerverlag erschienenen Buch gleitet der passionierten Sucherin nach den Möglichkeiten und Grenzen des Sagbaren eine Bestandaufnahme von Literatur aus der Feder, wie das Wasser aus dem Eimer für den trockenen Sand. Gelegentlich braucht es der Auffrischung, um zeitgenössische haltbarere Burgen zu bauen, um Schwindel erregenden Wortwuchs Zeichen entgegen zu setzen.
Das Kind verlangt nach mehr. Noch einmal. Immer wieder. Sie zieht mit der Hand eine Linie im Sand. Schau mal, eine Straße. La Strada. Im Alten Schauspielhaus Stuttgart von 14. Juni bis 21. Juli gespielt. Ein gewagte Inszenierung von Fellinis poetischem Meisterwerk von Stefan Bruckmeier, nicht nur weil die schauspielerischen Leistungen eines Anthony Quinns und einer Guilletta Masina unvergessene Bilder des schwarzweiß Kinos der fünfziger Jahre bei jedem versierten Filmbetrachter hinterlässt. Doch trotz gekonnt eingesetzter Kargheit um dem entstehenden Stimmungsbild Raum zu lassen, und szenischen Wiederholungstendenzen um die Traurigkeit der Situation zu unterstreichen, berührt nur Lucia Peraza Rios in der Rolle der naiven Gelsomina mit ihren schauspielerischen
Leistungen, die von denen der anderen Rollenbesetzungen ziemlich absticht und nie ins kömödisch-seichte abgleitet für zusätzliche Lacher oder Applaus. Tröstlich der Gedanke an diese Vorstellung als Sommerlochfüllung und die DVD aus der Arthaus Collektion.
Verkehrt. Lene will das verkehrt machen. Der Lieblingssatz und die kindlichen Logik einer Zweijährigen beschäftigen eine Begleiterin. Die Begleiterscheinungen bleiben nicht aus. Die erwachsene Seele versucht sich im „Verkehrten“: Wiese in den Sand hinein. Und siehe da, es grünt.
Das Lindenholzwerk „TO THE MUSEUM OF MODERN ART“(1973) derzeit in der Staatsgalerie Stuttgart „Künstlerpositionen der 1960er bis 1980er-Jahre“, dessen Bild- und Wortwitz des britischen Fluxuskünstlers Robin Page beim Betreten der Ausstellung. Neugier beim Besehen der vergoldeten Rahmenecke und der bemalten Leinwand, und ein Schmunzeln beim Erkennen der bewusst erzeugten Illusion erweckt, ist Einladung, sich im Verkehrten zu versuchen. Die FLUXUS-Bewegung, deren Gründerjahr 1962 ist, geht mit spielerischem Ernst und provokativen Aktionen, vor allem mit Objekten deren Nonsens hintergründig und ironisch den Sinn verbergen, gegen etablierte Kunst und elitäre Avantgarde heran. Das Motto dieser Kunstinitiative könnte lauten: Jeder darf mitmachen. Hinaus aus dem Museum- hinein in den Alltag. Raus aus dem Rahmen. Wir klopfen uns den Sand ab. Das Kind und ich. Unsere Versuchsreihe ist auf Sand gebaut. Sie wird länger halten als andere. Absurdität. Auch eine Wirklichkeit. Wir klatschen in die Hände. Wo ist das Sommerloch?
Fang es doch, fang es!