Alter Schwede

Das Volk steht auf, der Sturm bricht los.
Wer legt noch die Hände feig in den Schoß?
Pfui über dich Buben hinter dem Ofen,
Unter den Schranzen und unter den Zofen!

Theodor Körner

Warum sind Kulturseiten so boniert geworden? fragte sich und uns Georg Seesslen in der taz. In der WELT wird ein paar Tage später belegt, warum das so ist. Elmar Krekeler sieht die Affäre um den Schlüsselroman Der Sturm als Symptom für eine Tendenz im Verlags- und Medienwesen: Lektoren schreiben ihre Bestseller am liebsten gleich selbst – oder sie bitten befreundete Journalisten, die im übrigen über ihre Netzwerke auch für gute Besprechungen sorgen können:

„Man spart sich die Reisen, spart sich die Übersetzer, spart sich die Zeit fürs Scouten und Lektorieren und ruft seine Kumpels in den Zeitungen und den Verlagen an. Die können leidlich bis brillant, vor allem aber zielgruppen- und marktorientiert und schnell schreiben. Und pflegeleicht sind sie, Skrupel haben sie keine, sie arbeiten ja schließlich nicht unter Klarnamen.“

Nebenbei wird berichtet, dass Frank Schirrmacher auf Nachfrage nur bemerkte, er lese keine Schweden-Krimis, womit er schon mal einen besseren Geschmack beweist als Thomas Steinfeld.

Bekennerschreiben

Mit einem Bekennerschreiben hat sich Thomas Steinfeld an die dpa gewandt, meldet Sebastian Hammelehle in Spiegel Online: Ja, er hat den Roman „Der Sturm“ zusammen mit einem Koautor (Peter Handke? Bob Dylan?) geschrieben, er leugnet aber, dass Frank Schirrmacher Modell für das Mordopfer sei: „Die Gleichsetzung einer Romanfigur mit einer Person des öffentlichen Lebens widerspreche den Grundlagen des Umgangs mit fiktiver Literatur.“ Daran hätten wir natürlich denken müssen!

Jakob Augstein widmet im FREITAG dem Fall Steinfeld / Schirrmacher einen großen Artikel, der sich ganz um den FAZ-Großfeuilletonisten und Menschenfresser Frank Schirrmacher dreht. Auf SZ-Mann Thomas Steinfeld – und nun bestätigten Autor des Krimis „Der Sturm“ – kommt Augstein am Schluss zu sprechen:

„Er gibt sich und seiner Zeitung mit dieser pathologischen Tat eine große Blöße. Steinfeld wird von nun an immer der Schirrmacher-Mörder sein. Die Zeitung kann sich kaum leisten, ihn auf diesem Posten zu halten… ‚In gewissem Sinne gestaltet und formt das Opfer den Verbrecher‘ hat vor langer Zeit der Kriminalpsychologe Hans von Hentig in seinem Standardwerk The Criminal and his Victim geschrieben. Selten traf das so zu wie in diesem Fall. Denn selbst in der Tat sind Schirrmachers Gegner nur Epigonen.“

Zitate-Fundraising

„Letztlich also alles eine Farce, die in ein vor Banalität und Selbstbezüglichkeit nur so strotzendes Spektakel hineinwuchert?“

Aber nein, jetzt ist die Literaturkritik gefordert, meint Jan Scheper über Thomas Steinfelds unter Pseudonym zusammen mit einem Münchner Arzt veröffentlichten Krimi Der Sturm:

Eigentlich wäre es Zeit für eine ernsthafte literaturwissenschaftliche Debatte darüber, was Literatur darf und was eher nicht. Wo liegen die vertretbaren Grenzen der Fiktion? Diese Chance vergab die Szene schon bei Christian Krachts Roman ‚Imperium‘.“

Selbstreferentialität

Die Beschreibungen dieses Feuilletons sind Selbstbeschreibungen, denn jede Beschreibung dieses Feuilletons findet nur noch in diesem Feuilleton statt. Die Beschreibung vollzieht damit das Beschriebene mit – und gerät in eine merkwürdige Paradoxie. Das gilt auch für solche Rezensionen. Diese finden in der Gesellschaft statt, vollziehen damit Gesellschaft mit und tun letztlich auch nichts anderes als andere Beschreibungen: Sie ordnen die Mannigfaltigkeit der Erfahrungen und Phänomene und versorgen uns mit Mustern, in denen sich die Leser einrichten sollen. Die Plausibilität solcher Beschreibungen liegt nicht nur im Gegenstand der Beschreibung, sondern hängt von der Anschlussfähigkeit der Beschreibungen ab. Einfacher gesagt: Beschreibungen befriedigen dann, wenn sie die Erwartungen der Leser bestätigen.

„Schafft das Feuilleton ab!“ forderte Georg Seesslen in der taz. Rechts so. Dieses bürgerliche Feuilleton braucht niemand mehr. Daher erfinden wir es gerade bei KUNO neu.