Hier ist es endlich still. Die Dinge schweben über ihren verlassenen Schatten. Das Schweigen repariert die Trommelfelle, vergilbt über dem Kopf zu einer höheren Stille. Der Pfeilschaft in der Schulter, noch eben ein rasender Schmerz, blinkt jetzt und blakt wie ein ehernes Talglicht, dem sich nun die Luftzufuhr Stück für Stück in die Leere entzieht. Du schwebst, wie die Dinge betrachtest du deinen Schatten, eine unförmige, doch inzwischen schwerelose Furchung dein Leib, die Arme streng gewinkelt mit dem knirschenden Geräusch deines vertrocknenden Fleischs. Du schwebst und liegst zugleich noch in den Bergen, wo ich dich traf, mit Blicken zunächst, die nicht ausreichten dann – dein Körper gelinde gedreht in einer pudrigen Wüste aus Schnee, und das schartige Gefieder der Vögel dreht sich, ohne dich noch zu erreichen, ebenso schweigend und still in der Nähe. Jetzt erst siehst du die zerhackten, zerschnittenen Ballen der Hand – wie sie dir auf deiner überstürzten wie sinnlosen Flucht nicht auffallen konnten, zieht sich jetzt der Schmerz aus ihnen zurück, läuft an den sich verkrümmenden Sehnen entlang, verschwindet in der verkümmernden Dattel deines Körpers … wo du die letzte Mahlzeit noch fühlst … jetzt, jetzt, schwächer werdend, jetzt nicht mehr, nun hast du sie vergessen und spürst dem Verschwinden deines Beingefühls nach, während du dich, in stiller Rotunde, um dich selbst drehst, ein schwindender Schatten dein Leib … das Schweigen repariert die Trommelfelle, und das weise Knistern des Abschieds erreicht, überrollt dich mit Wärme. Es ist das einzige Geräusch und das Tröstlichste, was dir deine vertrocknenden und zugleich gesundenden Ohren jetzt bieten. Nun bist du erleichtert, drehst in der Rotunde auf dem Gebirg‘, das dein verlorener Glaube ist, an alles, die Sühne, den Geist deines Tuns. Der Gedanke ans Licht heißt: das Nachlassen des Schmerzes. Er steht auf dir und leuchtet, betrachtet dich wie den Schatten seines eigenen Leibs. Ein Fluß von Strahlen wie Hände auf dir, ein Leuchten, ein Irrlicht, eine frohe Verheißung. Keine Pein mehr in den Gliedern … wie beim letzten Schritt, als dich der Blick und der Pfeil traf. Nur Stille. Die Séance der Erlösung, wie sie über dir, unter dir, Schatten deines Leibs, und inmitten dir schwebt. Das Blinken des Pfeilschafts erloschen, das Rumoren der Spitze im Fleischsaum der Schulter verstummt. Das Klirren der Waffen und Schnäbel entfernt. Die gurgelnde Mahlzeit im sich verbiegenden Leib das vergessene Pfand für das Andere, das, denkst du, ohne zu wissen (oder denkt dich der Strahl des Gedankens?) … das dich nach dem Durchschreiten der Stille erreicht. Aber noch drehst du dich in der Rotunde aus Schweigen und Licht, und nimmst schwindend wahr, und auch die Dinge verschwinden um dich, reiten durch die schwindende Luft in den Schutz der schwindenden Mauern aus Fels, drehn ihre Runden hinter einem gleißenden Spalier aus Graten und Licht … und gehn dir vergessen: wie du sie vergißt und dich und alles in diesem stummen, kaum rauschenden Inferno des nachlassenden Schmerzes, der, ein guter Gedanke, dem alles verschluckenden, dem Ablicht zutreibt, das hinter der Stille, der Erlösung des nachlassenden Schmerzes, beginnt und dich in eine noch viel unendlichere Stille, und den Schatten deines Leibs, endlich befreit. Gelinde dreht sich das Schweigen. Die Schatten schweben über den verlassenen Dingen.
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Weiterführend → Lesen Sie auch das KUNO-Porträt des Lyrikers André Schinkel.
→ Poesie zählt für KUNO weiterhin zu den identitäts- und identifikationstiftenden Elementen einer Kultur, dies bezeugte auch der Versuch einer poetologischen Positionsbestimmung.