Der Herausgeber von Büchners Gesammelten Werken im Deutschen Klassiker Verlag, Henri Poschmann, hat meinen Artikel zu Georg Büchner bei KUNO kommentiert. Er stimmt meiner Kritik an der Büchner-Forschung zu – soweit es seinen Konkurrenten, den Herausgeber der Marburger Historisch-kritischen Ausgabe, Burghard Dedner, betrifft. Gegen selbige kann man wegen ihrer größenwahnsinnigen Monumentalität und auch inhaltlich einiges einwenden, benutzen wird sie das Publikum ohnehin nicht, allein schon wegen des absurden Formats und des exorbitanten Preises. Poschmann datiert zwei Szenen des Woyzeck-Fragments anders als Dedner, die zweite gehört dramaturgisch ans Ende des Dramas, soviel ist richtig, alles andere sind Spitzfindigkeiten. In der Hauptsache liegen beide falsch. Inwiefern, das ist nur noch mit den rhetorischen Mitteln Gernot Hassknechts aus der heute show darstellbar:
„Ja glaubt ihr denn, nur weil euer Arsch auf einem Lehrstuhl hockt oder weil ihr anderweitig zu den wissenschaftlichen Schlaumeiern zu gehören meint, sei das, was bei euch hinten rauskommt, die Wahrheit?
Ihr seid es doch, denen Büchners Lachen gilt, euch macht er auf der Bühne fertig. Aber sein Zynismus überschätzt eure mentalen Möglichkeiten, mit solchen hermeneutischen Schwachköpfen hat er nicht gerechnet.
Im Woyzeck geht es nicht um Misshandlung, ihr Möchtegern-Marxisten, nicht um eine Wiederaufnahme eines verschissenen historischen Falles eines gewissen Herrn Woyzeck, einem heruntergekommenen ehemaligen Soldaten, der einer fünf Jahre älteren Witwe, die sich weigerte ihn auszuhalten, im Affekt abstach und der heutzutage von einem Gericht genauso wenig mildernde Umstände oder Unzurechnungsfähigkeit zugesprochen bekäme, wie damals, ihr philologischen Krücken. Ihr würdet einen modernen Büchner doch als Hassprediger verfolgen und ausweisen, wenn ihr könntet, nur ist Büchner von selbst gegangen, drei Monate bevor der Steckbrief veröffentlicht wurde, nicht einmal das könnt ihr richtig lesen. Vom Missbrauch wollt ihr nichts wissen, aber Büchners Woyzeck ist ein Motherfucker, die Nebenfiguren sind Kinderficker, das passt euch nicht in den Literaturkanon. Ja wie sähe das denn aus, wenn die Schüler in der Abiturprüfung über Motherfucker und Kinderficker schrieben?
Und ihr müsstet dann noch darunterschreiben: „Du hast gut mitgedacht, lerne daraus für das Leben. Auch Lehrer und Professoren sind Menschen mit Leidenschaften und Schwächen.“ Wie? – (Immer lauter:) Das sei doch alles nun schon zwei Jahre her und die Fälle größtenteils verjährt? (Noch ausfallender werdend … Standbild, Musik).“
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Georg Büchner. Dichter, Spötter, Rätselsteller. Entschlüsselungen, von Christian Milz, Passagen Verlag, Wien 2012.
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