Janus schlief schnell ein an diesem Abend. Er träumte sich wieder gesund. Eine gleißende Lampe, schön wie ein gefrorener Blitz, hängt mitten im Raum ohne Wände. Lange Tische und Stühle stehen auf weiter, leerer Parkettfläche. Auf einmal tauchen aus der Luft viele Menschen auf, die er nicht kennt. Janus steht mitten unter ihnen. Er hört keine Musik, und er sieht kein Fest. Die Menschen um ihn herum gestikulieren wie Reisende im Bahnhof, aber sie reden nicht. Plötzlich tanzt er, ganz allein. Sein Tanz wird schneller, seine Arme und Beine singen wilder, er tanzt auf einer leeren weiten Fläche, keiner sieht zu ihm herüber, aber er sieht sich selber zu. Er sieht glühende Eislichter, die Welt rings um ihn her leuchtet heller, er sieht Landschaften vor sich, die ihn vor lauter Schönheit schwerer atmen lassen. Sind die Wände umgestürzt mit aufgemalten Körpern? Er tanzt und hat weiße Sterne im Kopf. Auf einmal tanzt er zusammen mit anderen, und allmählich wird der Rhythmus der Schritte Musik. In die leere Weite des Raums kommt Leben. Die Landschaft verschwindet, ihre Farben bleiben. Die Musik ist eins mit der Bewegung aller Körper. Dann Stille. Janus steht stumm und blickt in dunkle, ruhige Mädchenaugen. Sie sagt kein Wort. Sie nimmt ihn in ihre Arme und geht mit festem Schritt in ihn hinein. Sie tanzen. Er sieht nur sie, er spürt den Boden unter den Füßen nicht, die Zeit verschwindet in den weißen Sternen. Er reißt das Mädchen fest an sich, er hebt sie vom Boden und wird dann selbst mit ihr empor gerissen. Sie drehen sich im Wirbel, landen wieder auf den Füßen, tanzen weiter, bald ruhiger, langsamer – dann lässt er sie los. Sie sieht mit ernsten Augen in ihn hinein. „Da ist nichts“, sagt Janus, „da sind nur meine weißen Sterne.“ Der Tanz bricht ab. Die Farben verlöschen. Die Musik verstummt. Er kann ihren Blick nicht lesen. Die Gesellschaft bricht auf. Tonlos gehen die Leute auseinander. Janus sitzt auf den Stufen einer großen Treppe in der Nacht, und die weißen Sterne sind wieder über ihm. Er hört, wie die Leute gehen und letzte Worte wechseln. Bald kommt der Morgen, und die graue Stadt dehnt sich. Dann will er nicht mehr denken. Dann will er schlafen. Da fühlt er eine Hand auf seiner Schulter. Er dreht sich um und greift mit seinen Augen ins Leere. Nun kommt die Hand zu der anderen Schulter, beide Hände umfassen seinen Hals, kühle Haare fallen über seine Stirn. Da sehen ihm zwei dunkle Augen in die Augen. „Ich will deine weißen Sterne“, sagt das Mädchen.
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Doppelhimmel, Roman von Ulrich Bergmann. Free Pen, Bonn 2012
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Es ist eine bildungsbürgerliche Kurzprosa mit gleichsam eingebauter Kommentarspaltenfunktion, bei der Kurztexte aus dem Zyklus Kritische Körper, und auch aus der losen Reihe mit dem Titel Splitter, nicht einmal Fragmente aufploppen. – Eine Einführung in Schlangegeschichten von Ulrich Bergmann finden Sie hier. Lesen Sie auf KUNO zu den Arthurgeschichten auch den Essay von Holger Benkel, sowie seinen Essay zum Zyklus Kritische Körper.