Meine ersten drei Platten

Vorbemerkung der Redaktion: In diesem Jahr stellten unsere Autoren in der Reihe Meine erste Schallplatte ihre Vinyl-Leidenschaft vor. Wir sagen niemals nie, danken aber für diesen schönen Jahresabschluß.

Es muß doch Musik geben, die meine eigene ist, die mich bewegt, die ich alleine höre und nur mit wenigen Gleichgesinnten teile, dachte ich, als ich anfing, neben der Mehrheitsmusik, der Klassen- und Freundemusik, meine Musik zu finden. Musik also, die ich nicht überall höre, die es nicht in den Hitparaden gibt; Musik also, die ich für mich entdecke, die ich zu Hause auf Schallplatten hören kann, wenn ich denn weiß, welche Musik das ist. 1976 war es soweit.

Aber die erste Platte, die ich selber kaufte, ganz stolz in einem Plattenladen in Spandau, war noch der Klassenfêtenmusik geschuldet: The Sweet. 1974 kam Desolation Boulevard heraus. Der Einkauf war ein aufregender Akt: Ich ging allein in den Plattenladen, bat den Händler, mir die Sweetplatte zum Probehören aufzulegen und nahm sie dann nach kurzem Reinhören selber vom Plattenspieler, was ich nicht sollte, und sagte, ich wolle sie haben. Ich mußte The Sweet haben. Obwohl, irgend etwas war anders an der Musik und ich war enttäuscht, wollte es mir aber nicht eingestehen, denn ich konnte nicht ohne Schallplatte aus dem Plattenladen gehen.

Als ich sie zu Hause ganz durchhörte, fand ich zu wenig die Lieder, die den Sound hatten, den ich von den Klassenfêten kannte und liebte: Blockbuster, Ballroom Blitz, Teenage Rampage. Schwitzendes Hüpfen bei bunten Lichtern. Immerhin, Fox On The Run war noch eine Erinnerung an meine alten Sweets. Aber ansonsten waren die Lieder weniger eingängig, und so was wie Man With The Golden Arm hatte ich noch nie gehört. Ein echtes und langes Schlagzeugsolo. Ich war beeindruckt. Aber die Musik dieser Platte, eben von Fox On The Run abgesehen, wurde auf den Klassenfêten nicht gespielt. Dort herrschte der Kampf zwischen Mädchen- und Jungenmusik. Auf der einen Seite Disco und ‘Blues’, also der langsamen Kuschelmusik zum Bluestanzen, und auf der anderen Seite die Rockmusik, Deep Purple, Uriah Heep, Black Sabbath, Rolling Stones (Angie gehörte zur ‘Blues’fraktion), die die Jungs auflegten, wenn sie den Plattenspieler erobert hatten. Dann waren alle Mädchen von der Tanzfläche verschwunden und die Jungs schüttelten ihre langen Haare.

Neben der Fêtenmusik hörte ich, wenn ich für mich war, Musik, die langsamer und weicher war; und die manchmal auch meinen Hang zum Schwermütigen und Gedankenvollen unterstützte. Zu dieser Kategorie gehörten Cat Stevens, Simon & Garfunkel, Beatles, Neil Diamond, und damit beeindruckte und verwunderte ich Christiane Wolff, genannt Chrissie, nur echt mit zwei Herzen statt der I-Punkte, die erstaunt feststellte, daß auch Jungs nicht nur harte Musik hörten. (Es ist trotzdem nichts aus uns geworden.)

Und ich fing an, mich für Synthesizermusik und Spacesounds zu interessieren. Kraftwerk und Jean-Michel Jarre hatte ich schon kennengelernt und es hatte mich begeistert. Und einmal hatte ich im Radio Tangerine Dreams gehört. Aber mir fehlte das Dunkle, Unheimliche, dem ich in der Literatur nachspürte. Neben Romanen aus den Vampir- und Doktor Zamorra-Heften entdeckte ich Edgar Allan Poe, und als ich einen Sammelband seiner Erzählungen geschenkt bekam, verschlang ich sie alle.

Dann geschah es. Irgendwie hatte ich von einem Alan Parsons Project gehört, welches die Geschichten von Edgar Allan Poe vertont haben soll. Wie ich davon erfahren hatte, ob ich irgendwo Ausschnitte davon gehört hatte, weiß ich nicht mehr, aber ich wußte, daß es die Musik ist, die meinem Hörverlangen entspricht. Eine Musik, die mich wie ein Fieber schüttelt, deren Erlebnis ich kaum mit jemand anderem teilen konnte.

In dieser Zeit war ich auf Schülergruppenreise in England, Luton, nordwestlich von London. An diese Englandreise habe ich wenige Erinnerungen: Ein Fußballspiel im Fernsehen der Second Division; sich Verlaufen in; die weißen Seebädergebäude in Brighton; die riesigen schwarzen Raben im Tower zu London. „Thus quoth the raven, nevermore.“ Die Raben hatten mich am meisten beeindruckt (irgendwo muß es noch Schwarz/Weißphotos von ihnen geben, aufgenommen mit der alten Boxkamera).

In London habe ich mir die Tales of Mystery and Imagination Edgar Allan Poe gekauft und ich habe die Platte wie einen kostbaren Schatz als Handgepäck im Flugzeug zurück nach Berlin genommen. Ich hätte die Platte auch in Berlin erwerben können, aber es machte sie noch mal so kostbar, weil ich sie aus England importiert hatte.

Von den wenigen Schallplatten, die ich damals besaß (rotes und blaues Beatlesalbum, Wacholder, Androméda, 4 Jethro Tull Platten, City, Puhdies, eine Pink Floyd), habe ich die Tales of Mystery sehr oft gehört, auf dem Plattenspielers meines Bruders David oder im Wohnzimmer. (Als unser Musikinteresse nicht mehr zu ignorieren war, bekamen wir Brüder je ein Musikabspielgerät geschenkt, David den roten Dual-Plattenspieler, ich einen Radiorecorder (Telefunken?). David legte sich eine ordentliche Plattensammlung zu, die ich mit Staunen betrachtete, während ich Cassetten mit vielen Mitschnitten aus dem Radio füllte. Neben der Musik hörte ich jeden Freitagabend auf SFB, 21:45 Uhr, die Sendung „Nur für starke Nerven – Friedrich Schoenfelder liest eine Geschichte zur guten Nacht.“ Ich legte mir eine große Sammlung von erstklassigen Grusel-und Horrorgeschichten an.

Und in der Schule, im Englischunterricht, konnten wir Alan Parsons Tales hören und uns mit den Texten beschäftigen. Wir sagten bei den einzelnen Titeln der Platte, das muß man weiter hören, das ist so, das gehört zusammen. So hatten wir fast die ganze erste Plattenseite durchgehört, und Alan Parsons war auf unserer Seite, denn ein Stück ging in das nächste über. So konnten wir lange unsere Musik im Unterricht hören, ehe wir uns mit den Texten befassen mußten; und The Tell-Tale Heart, The Cask of Amontillado, und The Fall of the House of Usher kannte ich als Poe-Leser sowieso.

Das Düstere, Seelenerschütternde hatte mich gepackt. Ich fand, daß Alan Parsons Musik die Gefühlswelt von Poes Geschichten gut umsetzte. Das traurig-verzweifelte in The Raven, das irr-hysterische in The Tell-Tale Heart und Doctor Tarr and Professor Fether, das romantisch-unheimliche in The Fall of the House of Usher entsprach den Geschichten und meiner Gemütslage. Auch das Albumcover und das Booklet mit den bandagierten mumienhaften Figuren – der rettungslos gefesselte blinde Mensch in Sturz und aussichtsloser Lage – hinterließen einen tiefen Eindruck. Das Schattenhafte, Unheimliche faszinierte mich und führte mich in die dunklen Welten der phantastischen Literatur. Nach und nach legte ich mir eine eigene Bibliothek an, die bibliotheca ambrosii, aber das ist eine andere Geschichte.

Und die dritte erste Platte? Wichtige Schallplatten markieren Entwicklungsphasen der Jugend. Die wirklich erste Platte war ein Bündnis von Vater und seinen Söhnen gegen Mutter. Noch in der Grundschulzeit schnappten wir Melodieschnipsel und Refrains von Schlagern auf, die wir zu Hause wiederholten. Unser Vater meinte, wir sollten die ganzen Schlager kennenlernen, und so schenkte er, zum Entsetzen unserer Mutter, uns je eine Single. David bekam Butterfly von Danyel Gerard und ich Mamy Blue von Ricky Shayne. Ich sang immer Oh Mamy, Mamy Blue, aber der ganze Schlager gefiel mir nicht. Davids Butterfly-Single war viel schöner; und Danyel Gerard sah ein wenig wie Vater mit seinem Bart aus, besonders, wenn er seinen Hut trug. So hatte ich Mamy Blue nur selten gehört.

 

 

Weiterführend → 

Meine erste Schallplatte: „Heart of glass“ von Blondie, vorgestellt von Martina Haimerl. Life circles at 33rpm!, postulierte Mischa Kuball. Wer sich hinter „Mister B“ verbirgt, beschreibt Christine Kappe. Ergänzen ein Artikel zum Kassettenuntergrund. »Don Juan« von Dave Dee, Dozy, Beaky, Mick and Tich, vorgestellt von Joachim Feldmann. Eine Reise ins Glück von den Lilians, vorgestellt von Ju Sophie Kerschbaumer. „This charming man“ von den Smiths vorgestellt von Haimo Hieronymus. The Fall – Big New Prince vorgestellt von Enno Stahl. Dschäääzz!!!, gehört von Eva Kurowski. Helge Schneider ist wahrscheinlich der bislang einzige Solo-Künstler, der gleich mit seiner ersten Platte den Titel Seine größten Erfolge gab. Begleitet wurde er bei den Aufnahmen durch Tonmeister Tom Täger im Tonstudio an der Ruhr. Meine ersten drei Platten, vorgestellt von Marcus Baltzer. Meine Musik, vorgestellt von Ulrich Bergmann. Mit etwas Verspätung erschien Pia Lunds zweites Solo-Album Gift. Smile war für A.J. Weigoni ein Versprechen. Eine Generation später wurde es eingelöst. Selbstverständlich auf Vinyl. Und in Mono. Eine Wiederveröffentlichung der Neu!-Studioalben ist auf dem Label Grönland erschienen. in 1999 ging KUNO der Frage Label oder available? nach. Einen Remix zu basteln ist in der Popmusik gang und gebe. Stephan Flommersfeld hat das Selbe mit der “Letternmusik” gemacht. „Wenn es Videoclips gibt, muss auch die Literatur auf die veränderten medialen Verhältnisse reagieren.“, postulierte A.J. Weigoni 1991 und erfand mit Frank Michaelis das Hörbuch. Erweiternd zum Medium der Compact Disc auch der Essay Press/Play.