Die Heimspiele von Christian Thielemann (gebürtiger Berliner!) in der Hauptstadt stehen jedesmal unter verschärft(est)er Beobachtung. Sein Marktwert hat zuletzt durch den schier „überraschenden“ Berufungsakt zum neuen künstlerischen Leiter der Salzburger Osterfestspiele – nachdem ja die Berliner Philharmoniker, mit denen Thielemann im Übrigen am 7. Dezember und am 13. Dezember musizierte resp. musizieren wird, von dem jahrzehntelangen Rummel an der Salzach ein für allemal genug hatten und einer ähnlich-lukrativen und womöglich noch viel einträglicheren Festivitäts-Chose im Superreichen-Spieler-Paradies von Baden-Baden justament den Vorrang gaben – einen elitären Schub gekriegt; er und „sein“ neues ständiges Orchester (die weltberühmte Staatskapelle Dresden) werden also ab dem nächsten März dann das dort machen, wozu halt dann die Berliner keine Lust mehr hatten…
Berliner Philharmoniker mit Verdi
Nunmehr hatte er im ersten seiner zwei Philharmonie-Programme ausschließlich nur Verdi auf dem Plan – und zwar (wie schriftlich angekündigt war) zum allerersten Male überhaupt; zumindest mit den Philharmonikern. Dass die nicht erst seit Karajan auch ein vorzüglich Verdi spielendes Orchester waren oder sind, konnte man diesen Abend auf das Exemplarischste erhören; und es kamen schon dann schönste Rückbesinnlichkeitsmomente bei dem einen oder andern Konsumenten älteren Kalibers auf – der Karajan hatte ja seinerzeit fast alle Verdi-Opern mit den Philharmonikern auf Platte eingespielt; ich hab‘ fast alle Aufnahmen (Lieblingsaufnahme übrigens: Otello).
Thielemann dirigierte mit den bloßen Händen sowie auswändig die sehr, sehr selten gespielten Quattro pezzi sacri (Vier geistliche Stücke) Verdis; und der Rundfunkchor Berlin brillierte hiermit, dass es eine himmlisch anmutende Freude war, ihm zuzuhören! Thielemann schien selbst – nach dem Verklingen der vier Stücke – ziemlich angerührt und mitgenommen. Ja, ein glaubhaftes Ereignis!
Nach der Pause dann der ausnahmsvolle Unterhaltungs-Teil: Diverse Tänze oder Tanzeinlagen aus drei Verdi-Opern (s. u.) wurden nach und nach dann auf das Lustvoll-Pfefferigste abgespielt. Effektvolle, aber belanglose Musik. Alles so Zeugs, was meistens nie aus den Orchestergräben einschlägiger Opernhäuser je nach oben dringt – entweder streicht man die „Ballett-Musiken“, weil sie ihren jeweiligen Opern dramaturgisch keinen Sinn verleihen oder schlicht zu lang und zeitaufreibend sind. Ja umso günstiger und einmaliger also, diese Zweckmusiken jetzt und live einmal erlebt zu haben.
Berliner Philharmoniker mit Liszt u. a.
Nach seinem fulminanten Verdi-Abend konfrontierte Christian Thielemann sowohl die Musiker als auch die Hörer der Berliner Philharmoniker – die er nunmehr zum zweiten Mal in Folge (dieses Mal an vier Terminen) dirigierte – mit zwei weniger und einem außerordentlich bekannten Werk(en) von Franz Liszt; das war ganz unschwer als das eigentliche Hergekommenseinsmotiv für seine zweite Stipvisite in der Hauptstadt auszumachen.
[Dass es außerdem noch Mendelssohn-Bartholdys Meeresstille und glückliche Fahrt, die Thielemann als sirrend-schön zu identifizierendes Pendant zu seinem furios-frappanten Holländer in Bayreuth nachgerade ableistete, sowie Mozarts vielleicht populärestes Klavierkonzert in C-Dur KV 467 mit dem hierzu fröhlich summenden Maurizio Pollini vorpäuslich zu hören und nicht minder zu erleben gab, wog wohl nicht allzu abwegig und störend hinsichtlich des Sammelns und des Konzentrierens auf den Hauptteil nach der Pause.]
Haben Sie schon mal was von Mazeppa oder Von der Wiege bis zum Grabe je vernommen?
Diese beiden Tondichtungen Liszts – von Thielemann in seiner insbesondere für theatralische Musik stark ausgeprägten Leidenschaft und investiblen Fürsorge geradezu dann inbrünstig, wenngleich nicht (überhaupt nicht) kitschig dirigiert – sind unverständlich in Totalvergessenheit geraten; ein Gedicht von Victor Hugo sowie eine Federzeichnung von Mihály Zichy (wer auch immer das gewesen sein mag) dienten als die Vorlage oder Inspirationsquelle für den besagten Deutsch-Ungar – man braucht nicht unbedingt die Hintergrundgeschichte(n) vorher auszuforschen, um sich selbst als ein Verstehend-Hörender zu preisen. Nein, das Alles kriegt der zupackende Thielemann für uns schon hin… Einfach zurücklehnen und lauschen! Bilder stellen sich halt so und so fast wie von selber ein.
Vorsorglich taten sich die Ausführenden des den Liszt-Teil abschließenden Les Préludes quasi dafür entschuldigen, dass sie den eindringlichen Mega-Hit – und allenthalben im Verständnis von großelterlichen Vorfahren ist dieses Werk bzw. dieses eine ganz bewusste Hauptmotiv aus diesem Werk noch als die Nazi-Wochenschau-Hymne präsent oder vertraut – letztendlich auf den Plan setzten. „Wir Musiker haben uns auch dazu entschlossen, weil wir finden, dass man das letzte Wort zu dieser Komposition nicht denen überlassen sollte, die sie aus dem Zusammenhang gerissen und zu entsetzlichen Zwecken eingesetzt haben.“ (Quelle: Programmheft Nr. 29)
Es ist ja jetzt nicht so, dass automatisch, wenn so junge oder jüngere Mitmenschen über uns den Arm zum alten Hitlergruß wegen des allzu lauten Stück-Stücks recken wollen würden – eine schlichte Erektion tut es bei manchem Anderen, der kein gewiefter potenzieller Jungnazi und Nazi wäre/ist, womöglich auch…
Liszts Les Préludes ist harmloser (weil missbräuchlichbezogen ein-eindeutig einordbar) als ihr zu denken wagt. Ein nicht nur diesbezüglich großer, sondern insgesamt auch ein grandioser Abend!
Christian Thielemann – ganz nebenbei bemerkt – passt immer besser zu dem deutschesten der Vorzeigeorchester. Ja und die Berliner Philharmoniker mögen ihn sichtlich immer mehr; es sollte mich arg wundern, wenn es nicht dann eines fernen Tages zu der Ehe, die ganz vorgeprägt zu seien scheint, tatsächlich kommen würde.
***
KUNO dankt dem Medienpartner Kultura-extra für die Kooperation.
Weiterführend →
Ein Porträt des Dramatikers Andre Sokolowski finden Sie hier.