Über Formen digitaler Magie dachte Peter Glaser in der Sendereihe Politisches Feuilleton auf Deutschlandradio Kultur nach. KUNO zitiert daraus:
Was passiert eigentlich, wenn die Zukunft von der Gegenwart eingeholt wird? Wenn sich direkt vor unseren Augen aufzublättern beginnt, was wir erst in Jahrzehnten suchen wollten? Wir leben in einer Zeit, in der Science Fiction im technischen Sinn kaum noch möglich scheint: Es gibt schon alles (oder es wird auf jeden Fall bereits im Labor erprobt).
Kaum versuche ich mir ein Fühlofon vorzustellen – also ein Telefon, mit dem Empfindungen übertragen werden können, geben Forscher der University at Buffalo die Entwicklung eines Verfahrens bekannt, das eine Person spüren lässt, was eine andere Person empfindet, wenn diese etwas berührt. Die Fingerspitzengefühle werden übers Netz in Datenhandschuhe übertragen.
Steve Mann ist Professor an der Universität Toronto und einer der Pioniere des Wearable-Computing. Technologie, die man anziehen kann. Er trägt einen solchen Gefühlsübermittler in Form einer Datenweste; dazu eine spezielle Brille, auf der er Dinge sehen kann, für die andere Menschen noch einen Bildschirm brauchen.
Aber auch eine solche Brille – Stichwort: Google Glass – ist bereits wieder überholt: Vor wenigen Wochen haben Forscher im belgischen Gent einen Prototypen von Kontaktlinsen mit eingebettetem LC-Display präsentiert, eine Technologie, die 1984 in William Gibsons Roman Neuromancer noch einer fernliegenden, düsteren Zukunft angehörte. Scheinbar utopische Entwürfe sind längst bei uns angekommen.
2004 erlaubte die amerikanische Arzneimittelgenehmigungsbehörde einen ersten klinischen Test, bei dem einem Gelähmten ein Braingate genanntes Hirn-Computer-Interface in den Schädel eingepflanzt wurde. Diese Direktverbindung ermöglicht es einem Menschen, einen Computer mit Gedankenkraft zu steuern. Einer Studie der Unternehmensberatung Arthur D. Little zufolge gibt es weltweit etwa 170.000 Menschen, denen ein solches Gerät helfen könnte.
In der fortschreitenden Digitalisierung lässt sich eine Tendenz erkennen: Immer mehr Dinge entmaterialisieren sich. Musik, Filme und Bücher brauchen keine materiellen Träger mehr, sie halten sich zunehmend in der großen Datenwolke auf. Und es gibt einen noch weitaus radikaleren Wunsch an die Zukunft: Die Hardware soll insgesamt verschwinden und nur noch ihre Funktionen sollen übrig bleiben.
Das Internet wird immer und überall erreichbar sein (so wie einstmals das Radio). Es wird zu einer neuen Umweltbedingung werden und dafür sorgen, dass man stets online sein kann, um zu schreiben, zu lesen, zu telefonieren, fernzusehen, Musik zu hören, zu suchen und zu bloggen – und zwar ohne sperrige Gerätschaften mit sich herumschleppen zu müssen.
Die Technik wird nicht wirklich verschwinden, aber unscheinbar in den Hintergrund rücken, vielleicht in die Masten der Straßenbeleuchtung, und Teil einer öffentlichen Infrastruktur werden, so wie heute die zunehmend flächendeckenden drahtlosen Netzwerke, die WLANs.
Statt Notebook, Smartphone oder Tablet mit sich führen zu müssen, gäbe es dann die Möglichkeit, überall in virtueller Form das zu benutzen, was Bildschirm und Tastatur uns bisher eher umständlich angeboten haben. Längst gibt es Systeme, die Bildschirminhalte auf eine beliebige Fläche werfen – etwa auf die Innenhand –, dazu Sensoren, die jede unserer Gesten erkennen.
Diese lichtgetragene Technik könnte unser globales Dorf schöner machen. Man denke nur an Bankomaten, Fahrkartenautomaten oder Informationszapfsäulen. Heute sind diese Geräte in der Öffentlichkeit meist brutalistisch verbunkerte, klobige Stahlkästen – ›vandalismusresistent‹. Sie vermitteln kein besonders freundliches Menschenbild. Aber das lässt sich ändern. Die martialischen Kästen werden auch verschwinden, denn in der digitalen Welt von morgen genügt ein smarter Hauch aus Licht.
Eine Handbewegung, und was ich möchte, geschieht. Es ist wie Zauberei, bloß wirklich.
Weiterführend → Lesen Sie auch Peter Glasers Essay Attrappe einer Kulturgeschichte von neulich.