MONSIEUR LE GOURMET DE LA LITTÉRATURE AUX SERPENTS

Vormemerkung der Redaktion: Eine Literaturzeitschrift ist eine Zeitschrift, die sich kritisch mit Literatur auseinandersetzt oder mit dem Abdruck literarischer Werke auch selbst zur Literatur beiträgt. Das originäre Thema der literarischen Journale des 17. und 18. Jahrhunderts war die Berichterstattung über neueste wissenschaftliche Arbeiten innerhalb der wissenschaftlichen Welt, der res publica literaria, der scientific community. Die Ausweitung des Themenspektrums auf die schöne Literatur brachte im Verlauf des 18. Jahrhunderts die thematischen Verlagerung mit sich, die Dramen, Romane und Gedichte zu Literatur im engeren Sinne machte. Moderne Literaturzeitschriften gelten seit Anfang des 19. Jahrhunderts primär fikitionalen und poetischen Schriften. Wie es bei einer Literaturzeitschrift des 21. Jahrhunderts zugeht, beleitet eine kritische Spiegelungen des Verlegers und Herausgebers Peter Valentin in Briefen und Mails:

13.2.2002

Sehr geehrter Herr Valentin,

vielen Dank für die Nr. 3 Ihrer „Eremitage“! Ich gewann in unserem Telefongespräch den Eindruck, Sie wünschten, dass ich Ihnen ungeschminkt sage, was ich von „Eremitage“ und dem ganzen Geschäft drumherum halte. Und da ich Immer-Neugieriger absolut frei bin und gerade Lust und Zeit habe, sage ich, was ich denke:

Das buchartige Heft ist handwerklich erstklassig gemacht: Layout und materiale Struktur. Kompliment! Ganz enorm ist auch, was Sie in Ludwigsburg alles auf die Beine stellen: „Forum Literatur“ usw. Alle diese Aktivitäten sind allerdings sehr am Schloss orientiert, also an einer ganz bestimmten gesellschaftlichen (Bildungs-)Schicht [„Weindegustation mit Michael Graf Adelmann, Patron des Weinguts Burg Schaubeck und Herr der ‘Brüsseler Spitzen’ … Sektempfang mit Partybrezel und schwäbischem und … französischen Wein … Eintritt 20,- Euro … Bacchuszimmer im Ordensbau v. Residenzschloss Ludwigsburg … Am Flügel begleitet …“].

Im Klartext gesagt: Das Ganze ist kaufmännisch ausgerichtet. Einerseits ist das (zumal aus Ihrer Sicht) völlig okay. Andererseits kriegen Sie so keine junge, keine wirklich gute Literatur – sondern: Sie bedienen als Dienstleister die Interessen einer bestimmten sozialen Schicht. Sie nehmen mit der „Eremitage“ nicht an der Weiterentwicklung des eigentlichen Literaturbetriebs teil. „Eremitage“ ist, leicht polemisch formuliert, das ‘Schmuckliteraturblatt zum Schloss-Weingut’ und der dazugehörigen zahlungsfähigen Degustationsgesellschaft.

Der literarische Inhalt kann mit der äußeren Form nicht mithalten. … Ich weiß, dass Sie einen hochkomplizierten Balanceakt zwischen Kunst und Kommerz veranstalten, wenn Sie schwarze Zahlen schreiben wollen. Ihnen ist immerhin das kleine Kunststück gelungen, in der Zs. einigermaßen lesbare Texte zu versammeln, von denen keiner so schlecht ist, dass er peinlich wirkt. Das ist schon viel. … Mit literarischer Kunst im engeren Sinn wird das aber auch in Zukunft nicht viel zu tun haben. Sie sind im Moment dabei, das immer genauer zu reflektieren und zu erkennen. Sie werden geschäftlich immer stärker (erfolgreicher), wenn Sie die psychologischen, kommunikativen und insgesamt gesellschaftlichen Aspekte immer genauer in den Griff bekommen, oder aber schwächer, wenn Sie Ihr Liebhaberinteresse an der Literatur wirklich ganz ernst nehmen. Damit wird aber auch klar, dass ich in solch einem schwierigen Balanceakt Ihr Autor nicht sein kann.

Ihnen alles Gute! Ihr Ulrich Bergmann

29.12.2002

Lieber Peter Valentin,

vielen Dank für EREMITAGE 5! Ich habe mich sehr über die gemeinsam gefundene Interpunktion und Ihre Textgestaltung meiner Geschichte gefreut. Danke auch für die Veränderung der biografischen Angaben.

Die erstaunlich umfangreiche Ausgabe finde ich formal wieder ganz außerordentlich gelungen. Ein richtiges Buch ist das geworden. Mir gefallen die Fotos von Frau Andrä, die sich wie ein roter Faden kritischer Hoffnung durch die Nummer ziehen.

Das Layout ist nie zu eindringlich, sondern sehr gewinnend, zum Lesen einladend und zugleich formal konsequent und erfreulich klar. Schrifttypen, Formatierungen, Absatzgestaltung, Rechtschreibung – das ist alles korrekt und überzeugend. Ich erwähne das, weil es heute längst nicht mehr selbstverständlich ist, auch nicht in allen großen Verlagen. Die formalen Dinge sind eben auch eine geistige Leistung.

Richtig beeindruckt bin ich von Ihrer Idee, die Verantwortung für diese Ausgabe teilweise abzugeben bzw. zu delegieren. Da haben Sie mit der engagierten Isolde Andrä ein besonderes Glück. Das Prinzip gemeinschaftlicher Gestaltung bei zugleich klarer Führung (Richtlinienkompetenz) scheint mir klug und effizient zu sein. So bleibt die Zeitschrift lebendig. Ich habe den Eindruck, dass Sie mit immer deutlicherem Erfolg die Qualität der Textbeiträge steigern.

Mit EREMITAGE 5 ist Ihnen, finde ich, eine herausgeberisch und verlegerisch gute Nummer in der Landschaft der Literaturzeitschriften geglückt. Ich sage das nicht, weil meine kleine Geschichte drinsteht – sondern ich bin auch froh, dass sie in einer guten Umgebung steht.

Holger Benkels Gedichte – diesmal vermittelt durch zwei seiner (so typischen) Briefe, eine gute Idee! Sie sollten ruhig das Risiko eingehen, in einer der nächsten Ausgaben auch noch schwierigere Gedichte meines Freundes zu veröffentlichen. Er schreibt sehr beachtliche Traumgeschichten (er nennt sie Traumnotate), von denen möglicherweise die eine oder andere auch zum nächsten Thema passt. Wenn Sie die Herausgeberschaft noch stärker vom Ich zum Wir umgestalten, wird es leichter, die literarische Qualität zu steigern. Die vorliegende Ausgabe ist ein guter Schritt zu diesem Weg, denke ich.

Lieber Herr Bergmann,

alles hier sehr gut angekommen, gleich auf Mac konvertiert und an meine Designerin weitergegeben. Danke auch für die Arthur-Geschichten, die ich mir auch gleich auf den Speicher-Mac rübergezogen habe. Das Gespräch gestern hat mir ebenso gut getan. Schön dass über die räumliche und landsmannschaftliche Distanz hinweg solch Kommunikation ohne Weiteres möglich ist.

Die Korrekturfahnen bekommen Sie in den nächsten Tagen zugesandt.

Ihnen noch einen schönen Abend wünschend Ihr peter valentin

Lieber Herr Valentin,

… der ganze Ablauf, die geistige und materielle Gestaltung Ihres Abends, das hat mir vorzüglich gefallen! Und ich danke Ihnen für diesen schönen event von ganzem Herzen. Sie führten sehr schön in den Abend ein, und Ihre Worte am Ende, mit denen Sie auf mich und die Rundung mit der Schlange (de Vries) hinwiesen, waren ein Beispiel für die menschliche Wärme in Ihrem Forum, ein weiteres Beispiel ist Ihre Großherzigkeit manchen Autoren gegenüber. (Ich fand übrigens sehr schön, wie zurückhaltend Sie den ganzen Abend moderierten!) … Ich bleibe dabei: Ich habe Sie mir ungefähr so vorgestellt, wie ich Ihnen sagte: Monsieur le Gourmet de la littérature aux serpents …

25.7.2003

… verstehen Sie meine Urteile immer nur als heliotropische Urteile, ich sehe mich als Leser wie einen Sonnengott, vor dem manche Werke, die ich selber schrieb, auch nicht wirklich bestehen, etwa die Schlangegeschichten, deren Charme letztlich nicht genügt. Wenn Sie mich um Urteile bitten, dann schreibe ich immer als Sonnengott, als absoluter Kritiker. Ich werde in den nächsten Tagen Anna Romas’ schwarzen Erzählband lesen, der mir bestimmt besser gefallen wird, das ahne ich. Gegen Ihre Ermunterung, Anna Romas solle das Banale thematisieren und mit der Sprache spielen, habe ich grundsätzlich nichts einzuwenden, auch nichts gegen Ihr Eingewobensein in diesen Roman (sehr schön Ihr Wortspiel, dass Sie sich daraus nur befreien konnten, indem Sie das Buch ver-legten!).

3.9.2003

Peter Valentin

Lieber Ulrich Bergmann,

Ihr Roman macht mich schon neugierig, klingt alles interessant, aber auch geheimnisumwittert. Gerade dass Sie so lange brauchen für eine Seite, Sie sprechen von all incl. 3 Stunden macht die Sache vermutlich literarisch wertvoll. Das ist ja die Krux, dass Laien glauben, wenn man nur flüssig schreiben kann, dann ist die Schlacht schon geschlagen. Ein Irrtum. Las vor wenigen Tagen, dass Moerike über Jahrzehnte an seinem Roman Maler Nolten gefeilt und immer wieder umgeschrieben hat. Es wurde zu einer unendlichen Geschichte dieses Kunstwerks … Leider wird Anna kaum bereit sein zu dieser Feilarbeit, ist dazu viel zu nervös, eruptiv, will schnell fertig werden und dann was anderes machen. Sie kann sich nicht beschränken, und so lange sie nicht dazu bereit ist – und ich bezweifle – wird ihr schwerlich ein großer Wurf gelingen. Talent und genialische Eingebungen sind halt nur eines: das andere ist das Im Schweiße deines Angesichts … Das trifft nun nicht nur auf den Ackerboden zu, auch auf das Seelisch-Geistige. Ohne Mühsal kein Segen von oben … Darf ich noch am Schluss so dreist sein, Sie um eine Romanseite (es darf auch mehr sein) zu bitten. Sie verstehen schon, meine Neugier, meine Neugierigkeit(en) …

19.12.2003

Lieber Ulrich Bergmann,

nun behaupten wollen, ich verstünde Ihre Situation, so wäre dies fast anmaßend. Was ich sehen kann, ist, dass das Schicksal mit eiserner Faust in Ihr Leben hineinhält und Sie kräftig schüttelt. Zukunft ist ungewiss für Sie. Ich habe mich mehrmals mit Gerd Burzan darüber ausgetauscht. Dabei wähnte ich Sie so sehr als einen auf der Sonnenseite des Lebens … Ich kann nur hoffen, dass der Schmerz Sie nicht zu sehr in ein Tal der Tränen versinken lässt, dass Ihnen der Freiraum bleibt für die heitere Kunst jenseits vom Ernst des Lebens. Ein wenig besser verstehe ich nun Ihre Angst vor dem Tode, Ihre Sorgnis, Sie könnten nicht zu dem kommen, was Sie sich evtl. als poetisches Werk wünschen. Aus alledem, und wenn es vorbei ist, so oder so, werden Sie geläutert hervorgehen, und vielleicht ganz Ungeahntes hervorbringen. Diese Hoffnung bleibt. Ihnen alles Gute wünschend und v. a. viel Kraft und Gottesmut für die kommende Zeit; Gesundheit, Erfolg und Glück für Sie in 2004 wünscht Ihnen Ihr peter valentin

20.12.2003

Lieber Peter Valentin,

Gerhard Burzan schickte mir, als mir im Brief vor Sorge der Mund überlief, Notizen zum Tod seiner Frau. Er hat erlebt, was mir droht …  Sie hatten mit Ihrer Vermutung, ich stünde auf der Sonnenseite des Lebens, grundsätzlich nicht Unrecht. … Bestimmt habe ich mich schon lange nicht mehr geändert. … Ich weiß noch genau, wie ich am Tag nach der letzten Zigarette geweint habe. Es müssen Tränen gewesen sein, die mit dem Verlust letzter Jugend zu tun hatten – es war die etwas dramatische Annahme meines Alters. Ich bin versucht zu sagen, es war der größte Fortschritt auf dem oft unbewussten Weg sich selbst anzunehmen.

Die Jahre zwischen 50 und 60 sind trotz aller Gefahren nicht die schlimmsten. Es sind gemischte Jahre mit Höhen und Tiefen. Gut, vorher waren die Jahre  ausgeglichener, und der Tod schien noch so weit. Das ist jetzt anders, der Tod kommt in verschiedenen Kostümen. Neue Herausforderungen reizen, Entfremdungen in den verschiedensten Bereichen drängen. Wir spüren auf einmal unseren Körper ganz anders. Doch müssen wir nicht ganz von vorn beginnen wie in Kindheit und Jugend.

Ich schrieb auch neue Kurzerzählungen für den Zyklus KRITISCHE KÖRPER. Ich wundere mich, dass das so leicht geht. Flucht oder Verdrängung? Ich weiß es nicht. Verliere ich mich? Wenn ich meine Frau verliere, verliere ich so viel, dass ich mich wieder suchen muss. Ich habe Angst vor dieser Angst. Ich frage mich auch: Wie nah, wie gut sind mir meine Freunde, und wie stehe ich zu ihnen. Bin ich allein, wenn ich meine Frau verliere? Was bin ich dann noch? Ich weiß das alles nicht. Ich fürchte mich auch vor dem Ende meines Berufs. Wenn ich pensioniert werde, verliere ich so viel, dass mir schwindlig wird. Ich werde dann nur noch das Schreiben haben, vielleicht noch das Lesen, und ab und zu Theaterbesuche mit lieben, alten Freunden … Ich werde bittrer … Aber ich weiß, ich werde alles durchstehen. Ich bin ganz sicher. Ich werde mich wiederfinden, falls ich mich verlieren musste. Vielleicht habe ich, haben wir, auch ganz viel Glück. Ich werde nie allein sein. Ich werde auch das Ende des Berufs aushalten. Dann schreibe ich den Roman, der schon im Kopf ist.

Ich danke Ihnen sehr für Ihre Worte, sie taten mir gut in diesen Tagen! Ich bin überhaupt sehr froh, Sie kennengelernt zu haben.

8.1.2004

Lieber Ulrich Bergmann,

heut scheint ein Schicksalstag zu sein. Das Marbacher Literaturarchiv will die ganze Edition Barocco meines Verlags zur Ansicht; evtl. wird erworben. Jetzt kommt alles auf den Prüfstand! Bin schon sehr gespannt, ein eigenartiges, recht flaues Gefühl ist das. Hoffentlich findet das eine oder andere Gnade dieser hohen Herren Germanisten. Drücken Sie mir ein wenig die Daumen.

28.01.2004

Großer Sieg! Das Literaturarchiv Marbach hat fast alle Titel der Edition Barocco fest angekauft. Man zeigt auch weiter freundliches Interesse an meinem Programm. Ich gönne mir jetzt für einige Augenblicke sehr glücklich zu sein, denn ein Durchfallen in Marbach wäre für mich als Verleger eine Katastrophe gewesen …

Herzlichst Ihr peter valentin

PS Freuen Sie sich mit mir …

Lieber Peter Valentin,

natürlich freue ich mich mit Ihnen – zumal ich mit drin hänge im Urteil … Außerdem, wenn bei Ihnen der Rubel rollt, wie gesagt, dann gestaltet sich ja auch die Honorarfrage neu …

Lieber Ulrich Bergmann,

die Eremitage ist von Marbach fest abonniert, das ist richtig. Inzwischen auch von der Stadtbibliothek Stuttgart. Die Edition Barocco ist eine etwas andere Baustelle, und es ging langfristig fast um mehr. Leider geht es meinem Verlag finanziell sehr schlecht, nicht weil ich kaufmännisch blöd wäre, sondern weil die Branche kränkelt, und ich wie so mancher andere Kleinverleger um das bloße Überleben kämpfe, das es sowieso nicht gäbe, hätte ich nicht noch meinen Brotberuf. Insofern stellen sich mir derzeit weniger Honorarüberlegungen, sondern wie ich die Edition Barocco etwa vom Niveau höher ansiedeln kann. Und das ist nicht so einfach.

Marbach jetzt – d. i. ein Achtungserfolg, man zollt Respekt den Büchern, den Autoren, meiner Verlagsarbeit. Wie aber den Rubel rollen lassen, d. i. eine Frage, die ich mir tagtäglich stelle, ohne dass sich mir eine schlüssige Antwort anböte … Wüsste ich’s, so würd ich’s keinem verraten …

Lieber Peter Valentin,

… wichtig ist, dass es Ihnen (und mir) gelingt, in gut gemachten Literaturzeitschriften und Büchern über uns und unser alltägliches Leben hinauszuwachsen, uns zu transzendieren – und das ist insbesondere von verlegerischer Seite her gesehen ein schwerer Balanceakt. Aber da gelingt Ihnen (zunehmend) doch einiges. Die von Ihnen genannten Abos sind in der Tat eine Anerkennung für Ihre Arbeit.

Lieber Ulrich Bergmann,

mein Brotberuf ist ganz einfach, ich bin stv. Cheflektor in einem hiesigen Verlags- und Druckhaus, das Zeitungen, Zeitschriften und Bücher herausgibt. Und das seit bald 25 Jahren. Am 8.8.04 habe ich mein 25jähriges. Da rollt dann auch der Rubel, ein wenig wenigstens. Ich mache dort im Grunde nichts anderes, inklusive Werbetexten, die ich auch für meinen Verlag mache. An manchen Tagen sind das dann bei einem 12-Std.-Tag schon viele Buchstaben, die an mir vorbeiwandern. Vielleicht erklärt sich so meine Fernseh-/Bilder-Sucht … Da ich auch noch privat ganz gerne meine Autoren lese, die einfach so nach meinem Gusto sind, muss ich es fast begrüßen, dass meine Ehe nach dem verflixten 7. Jahr in die Brüche ging … Zu Hause verfüge ich über Muße und beinahe schon Friedhofsruhe. Ein stressiges Eheleben könnte ich mir nicht mehr leisten – das müsste dann schon ein Engel, etwas ganz Harmoniesüchtiges sein …

31.1.2004

Lieber Peter Valentin,

Ulrich Bergmann

was Sie da mit dem Forum Literatur unternehmen, ist eine honorige Sache. Mir ist klar, dass Sie da kaum etwas verdienen, schon gar nicht unter dem Gesichtspunkt, dass Sie Ihre Arbeit, die Sie in die EREMITAGE und in die Buchreihen stecken, vergütet bekommen. Und darum geht es Ihnen nicht primär, das weiß ich, Sie sagten es einmal vor einem Jahr, glaube ich. Sie deuteten das jedenfalls an. Sie müssen sehen, sagten Sie, dass Ihr Verlag schwarze Zahlen schreibt. Sie wissen, dass mir das Schreiben viel bedeutet, und damit konsequenterweise auch das Veröffentlichen. Die Reaktionen auf meine Sachen sind wichtig: Was wird genommen, was nicht, wer lehnt ab, wer nimmt meine Texte … Sind das junge Leute, was für eine Art Literaturzeitschrift ist das, soll ich dort publizieren, oder werde ich funktionalisiert? Ich will meine Texte möglichst weit verbreiten, und bisher gelingt das ganz gut. … Die Tatsache, dass ich neben dem Beruf schreibe, stört mich im Hinblick auf meinen Status nicht, das war bei Kafka, Kleist und Goethe und vielen anderen Dichtern bis in unsere Gegenwart nicht anders. … Ich bin mit der Situation, wie sie jetzt ist, zufrieden, das Geschriebene genügt mir durchaus. Ich weiß nicht, ob und wie ich weiterkomme im Schreiben. Mich interessiert aber der Prozess und mich interessieren die Themen und die Schreib-Techniken, die ich für mich entwickle, egal wie modern diese sind.

Also: In der Sache, um die es hier geht, sind wir uns einig: Die belletristische Literatur.

Sie fassen sich als passionierter Leser (und Lektor und Vermittler, Verleger) auf.

10.7.2004

Lieber Ulrich Bergmann,

… auf Sie kommt nun bald die Erfahrung der endgütigen Trennung zu – und da tritt auch die Frage in den Vordergrund: Was wird danach, wenn einmal der Vorhang zum Jenseits fällt – wenn auch wir/Sie zur Anderswelt/zum Schattenreich gehören? Die anstehende Trennung jetzt ist nur eine vorgezogene. Sie wäre sowieso etwas später gekommen. Ich kann jeden Ehepartner verstehen, der sich den gemeinsamen Lebensabend sehnlichst wünscht. Diesen goldenen Herbst des Lebens, bevor es Winter wird. Der Herbst, diese wunderbare Zeit voller Farbe und Ruhe vor dem langen Schlaf, wird als gemeinsames Erleben Ihnen genommen. Sie werden diesen Herbst für sich allein gestalten müssen.

Und dann steht ja noch eine weitere tief gehende Trennung an – die von der Schule.

Was Ihnen bleibt, und da sind Sie bevorzugt vor so vielen, ist die Literatur und Ihr wunderbares Sprachtalent, mit dem Sie noch so viel zu Wege bringen können. Halten Sie sich bitte daran – denn es wird Ihnen schwerlich genommen werden können.

In diesen für Sie so schmerzlichen Tagen

herzlichst Ihr peter valentin

Francisca Ricinski, Autorin der Eremitage

Lieber Ulrich Bergmann,

der Alltag wird auch Sie einholen. Wir sind nur Teig gegenüber dem Wellholz der allmächtigen Schöpfungskräfte. Wie andere auch werden Sie ein Jahr der Trauer absolvieren müssen, denn nicht umsonst spricht man vom Trauerjahr. Sie werden das Lachen für sich neu entdecken – und irgendwann und wenn Sie klug sind, werden Sie entdecken, dass es auch andere Frauen in Ihrem Leben gibt oder geben kann.

Schön, dass Sie nun doch in Ihrem Roman vorankommen. Sie wissen ja: wer schreibt, der bleibt – oder wie es Hölderlin nannte: Was bleibt aber, stiften die Dichter. Für einen Literaten ist es nichts Ungehöriges, ganz auf Sprache und Dichtung eingegrenzt zu werden. Immerhin konnten Sie viel bürgerliche Existenz erfahren. Das ist nun vorbei. Und es wird schon auch seinen Sinn machen …

Lieber Peter Valentin,

… dass ich so viel bürgerliches Leben erfahren konnte: So hatte ich das noch nicht gesehen. Ich weiß noch gar nicht, wie stark ich in diesem bürgerlichen (familiären) Leben bleibe, ob ich eines Tages dorthin zurück will. … Ja, ich bin noch sehr wund, und ich weiß nicht, wie es mit mir weitergeht. Ich habe so einen schlimmen Schmerz in der Brust, da sitzt tatsächlich die Seele, die hat einen eigenen Körper im Körper.

18.8.2004

das Leben ist nun mal banal, wenn wir uns nicht dazu entschließen dem „sanften Gesetz“ eines Adalbert Stifter uns zu verweigern. Leben ist, und das ist eine der Grundaussagen seines Nachsommers, auch an Banalität gebunden. Wir können uns nicht wie die Titanen dazu aufmachen, das Leben täglich neu zu definieren. Eigentlich ist alles schon da und vorhanden, und wir werden uns schwertun, der ständigen Wiederholung, dem großen Rad, zu entrinnen. Auch Sie wiederholen in Ihrer Existenz einen besonderen Trennungsschmerz, den andere auch erfahren – seien es die Eltern, das eigene Kind, eine große Liebe, die stirbt, weil sie dem Druck der Veränderungen nicht gewachsen ist.

Wofür Sie im Moment bezahlen, und das hab ich schon länger gewähnt, ist, dass Sie Ihr Leben zu sehr in eine Partnerin AUSGELAGERT haben. … Jeder gehört nur sich selber an. „Ich habe jetzt viel mehr Zeit“ – das ist der entscheidende Satz. Denn Zeit ist die größte Gnade: Zeit ist Leben!

Haben Sie vielen Dank für den Sarah-Text. Ich seh es wie der Tübinger Autor: das Thema ist eminent wichtig und wird am allermeisten tabuisiert. Der Tod ist die sicherste Größe in unserem Leben nach der Geburt. Wieso nur können wir uns nicht dazu aufraffen, den Tod zu lieben, in ihm einen großen Freund, den größeren Bruder des Schlafes zu sehen?

Lieber Peter Valentin,

… ich dachte manchmal schon an Fausts Worte, die er zum glücklichen Moment sagt: Verweile doch, du bist so schön. Auf jeden Fall begreife ich, dass ich jetzt mein Leben ändern muss, ich muss offen sein für Neubeginn – ich weiß noch nicht, zu welchem.

Mit dem Tod setzte ich mich schon lange schreibend auseinander. Bisher vielleicht manchmal zu kokettierend. Jetzt spüre ich, dass der Tod meiner Frau mehr bedeuten wird, wenn die Wunde des Verlusts sich langsam verwandelt in Erkenntnisschmerz. Ich hoffe, so ist es. Dann habe ich eine gute Lebensaussicht.

Dezember 2004

Lieber Peter Valentin,

so früh am Morgen sind Sie schon wach!

Genau zu dieser Zeit, fast auf die Minute genau, fahre ich meist nach Münstereifel.

Heute las ich mit den Schülern den Vorsatz und den Beginn des ZAUBERBERGS … Das ist mein Lieblingsroman. Er hat viel mit mir und meinem ganzen Leben zu tun, auch wenn ich kein Hans Castorp bin.

Ich freue mich sehr, dass Sie auch so in der Literatur aufgehen. Wie Sie aus dem Seitenzimmer der Lesung im Schluss zusahen … ich bemerkte es aus dem Augenwinkel, das zeigte Sie als einen Theatermenschen, es erinnert mich an die Theateraufführungen des Marquis de Sade im Hospiz zu Charenton …

26.12.2004

Schön, dass bei Ihnen zunehmend Normalität einkehrt. Das Leben ist uns nicht  gegeben, um es in Tristesse – es sei denn, es wäre eine künstlerisch-fruchtbare, eine kreative Melancholie – zu vergeuden.

Nun sind Sie schon Großpapa!

Das kann mir auch blühen. Die Tochter ist 21, hat einen festen Freund. Ich habe mich darauf eingelassen, mich mit allem abzufinden, auch wenn ich meine Tochter, die ein Pädagogikstudium absolviert, zuerst einmal im Beruf erfolgreich sehen möchte. Seit 14 Jahren bin ich nun geschieden, lebe allein, hatte aber immer Freundinnen. Bis jetzt, wo ich ganz zurückgezogen der Literatur als meinem eigenen Berg Athos lebe. Es fällt mir zunehmend schwer, etwas außerhalb der Literatur sonderlich wichtig zu nehmen. Das Leben ist einfach zu kurz – und im Grunde auch ganz schnell vorbei.

Wie meine Tochter mit ihren jetzt 21 so aufgedonnert an Heiligabend nur mal kurz reinschaute, um Ihre Geschenke zu holen, etwas zu verweilen, um dann zu ihrem Freund und dann gemeinsam in ein Lokal in Bietigheim zu düsen, und wie ich sie so sah: enge schwarze Jeans, stark ausgeschnittenes T-Shirt mit bauchfrei, alles so aufgedonnert und gar nicht im Stil des traditionellen 24.12., da dacht ich, dass ihre Mutter ja auch nicht älter war, als ich sie kennen lernte. Mit 22 waren wir verlobt … Es wiederholt sich alles, ganz schnell. Das Leben braucht uns nicht wirklich. Es inszeniert sich selber via Triebe. Bei der Literatur ist es ein wenig anders. Da werden Leute wie wir schon noch gebraucht …

Lieber Peter Valentin,

Sie wachsen mir immer mehr ans Herz! Ihre Bemerkungen zur Literatur sprechen meine Zunge. … Die Literatur, die Kunst, die Welt des Denkens (Philosophie und Politik) und die Erzeugung dessen, was uns eine Weile überlebt und andere erreicht und vielleicht antreibt – die sterbenden Hände, die andere sterbende Hände fassen und halten, dieser Anflug ewigen Lebens -, das ist das, was mich erfüllt, auch wenn mir klar ist, dass alles nur Zufälligkeiten der Evolution sind, allerhöchstens Scherze eines sich langweilenden Gottes, ungesehene Blüten ziemlich stabil wirkender Naturgesetze. Aber dieses Nichts ist alles, was ich habe. Es ist die Literatur (oder die Kunst in allen ihren Gattungen und Formen) die einzige wirksame Vernunft, die mir möglich ist.

Nun hat alles im Leben seine Zeit. Die Familie. Der Beruf. Und das Darüberstehende – besondere Interessen. Zwar wirkt die Familie nach, man wird Großvater, und eines Tages wird der Enkel von mir etwas haben, ich werde für ihn da sein. Auch Sie werden in einigen Jahren sehr wahrscheinlich mit der neuen Rolle konfrontiert sein. Immer wieder ist man ein wenig und ein wenig mehr in der Rolle des Vaters oder Groß-Vaters. Eigenartig das alles. Der Beruf aber geht zu Ende. Das wird für mich wieder ein Verlust sein, nicht aber so schwer wie der Verlust meiner Frau. Lebens-Lauf, Lebens-Stücke mitten in einer großen Tragikomödie, das alles weht mich jetzt viel schärfer an als zuvor. Das Stück, das ich mir schreibe und in dem ich spiele, in dem ich mit freiem Willen an den Marionetten-Fäden hänge – das kommt mir ziemlich absurd vor.

Was Sie von Ihrer Tochter schreiben, erfahre ich – anders – auch: Den Unterschied der Generationen. Sie deuten es mit Witz so: Das Leben inszeniert sich selbst. Die Triebe sind das Stück. Ja. Meine Frau war auch 22 damals. Aber ich habe die Literatur (die Kunst, die Musik …) nie verraten um der Triebe willen. Ich blieb immer ein ernster Typ. Deswegen brauch(t)e ich eine fröhliche Frau.

Ich liebe das Schweben, die Leichtigkeit im Leben, das Tanzen am Rand des Kraters. Ich hoffe, ich kehre dorthin zurück. Ich brauche es auch zum Schreiben.

Die Literatur – sie hat ja zum Glück einen starken Hang zur Kommunikation, die Korrespondenz wohnt sozusagen in der Literatur, auch die ungeschriebenen Briefe, die ungesagten Gespräche. Ich habe das große Glück, recht einige Menschen zu kennen, mit denen ich in einem dichten Dialog stehe.

… Ich werde das Bild, das ich aus meinen Augenwinkeln erfuhr, nicht mehr los: wie Sie im Seitenzimmer bei der letzten Lesung saßen und sahen und hörten – wie ein väterlicher Erzeuger und zugleich eine sorgende Mutter auf ihre Kinder sieht: Lebende Texte! Das ist ein schönes Bild in meinem Gedächtnis.

2.1.2005

Guten Morgen, lieber Ulrich Bergmann,

… es ist gewiss nachdenkenswert, wieso wir immer wieder von großen Plagen heimgesucht werden: als wäre das Leben nicht auch so schon mühselig und beladen genug. Große Überflutungen gehören nun mal zur Begleitmusik der Menschheitsgeschichte. Auf der andern Seite ist es der Sand, der alles unter sich begräbt oder die Lawinen in den Alpen.

In diesem mittleren Neckarraum, in dem ich lebe, ist alles klein und eng beieinander, es fehlt das Kolossale, wie mir einmal ein US-Bürger ein wenig von oben herab sagte. Aber es fehlen hier auch die großen widrigen Umstände, wie sie etwa Tornados mit sich bringen. Gott hat hier ein sanftes Gesicht, fast umgänglich zu nennen. Jahwe ist eine Ausgeburt der Wüste. Ein Gott der eigentlich nicht gibt, aber die Rache immer parat hat.

Lieber Peter Valentin,

… ich glaube, dass es Gott nicht gibt, dass wir aber Göttliches in uns tragen: Die Fähigkeit unser Leben zu gestalten und so uns selbst zu erschaffen. Ich empfinde mich als Schriftsteller wie ein Schöpfer – ohne Wahn. Ich bin Auctor (augere = vermehren), weil ich meine biologischen Determinanten, die ich nicht leugnen kann, wenigstens partiell übersteigen will. So gesehen ist mir Schopenhauers Philosophie, wenn ich sie mit Camus (Der Mythos von Sisyphos) verknüpfe, am nächsten. Daher meine Liebe zu Thomas Mann, den ich auch wegen seiner Sprache bewundere.

Ich kann ohne Sprache, ohne Kunst nicht leben, ich will Dichter (oder Schriftsteller) sein. Ich kann die Welt nur ertragen, wenn ich mein Leben so gestalte, dass ich die Welt in meiner Arbeit verändere, indem ich sie bewusster mache (auch als Lehrer). So gesehen teile ich Ihren Standpunkt, für die Dichtung zu leben, vollkommen. So ein kleiner Gott will ich sein. Das ist nicht vermessen.

Ich habe nur eine leichte Neigung zur Melancholie, gerade soviel wie nötig um zu schreiben, nicht mehr. Wenn ich ganz alt bin, verstärkt sie sich wahrscheinlich. Aber das dauert noch. Ich rechne mit einem langen Leben.

Sie schreiben, dass Ihre Welt am Neckar klein und eng sei. Mag sein. Auch am Rhein ist nicht die große weite Welt, auch in Berlin nicht überall, und auch nicht in New York oder London oder Paris. Das Schicksal schlägt überall zu. Oder: Das Schicksal, unser eigenes, gestalten wir überall. Wir können heute überall ins Netzwerk der Literatur einsteigen. In diesem Netzwerk fühle ich mich versponnen und wohl. Es tut mir gut, mit Ihnen im Gespräch dieses literarischen Netzwerks zu sein.

8.1.2005

Lieber Ulrich Bergmann,

bekam gestern diese Mail von Anna Romas:

„Nach nur 3 Tagen bin ich wieder zurück aus dem Krankenhaus. Dies aus dem Grunde, dass alles schlimmer geworden ist: Metastasen in der anderen Lunge und in der Leber, alles inoperabel. Es gibt noch EINE Chance: Tabletten, die in Deutschland noch nicht zugelassen sind, mir aber vom Krankenhaus aus Amerika bestellt und als Studie verabreicht werden.

Peter, ich weiß nicht, wie schnell es jetzt abwärts geht, aber ich setze keine große Hoffnung in die Tablette, die bei 20% anschlagen soll. Ich will nicht lange leiden müssen.

Das Lob über meinen Text hat mich sehr, sehr gefreut. Eitel bleibt der Mensch bis hin zur Todesstunde.“

Was meinen Sie? Es scheint nun rasch bergab zu gehen. Ich will Sie um Himmels willen nicht betrüben! Mitfühlen – aber nicht mitleiden. Sie haben das ja alles hinter sich …

Herzlichst Ihr peter valentin

PS: Es ist Post an Sie unterwegs. Benkel hat seinen Essay noch nicht zugesandt. Aber das wird!

Holger Benkel, Lyriker und Essayist

Lieber Peter Valentin,

wir müssen davon ausgehen, dass es mit Anna Romas leider zuende geht. Ich habe AR persönlich nicht wirklich kennengelernt. Ich schüttelte ihr die Hand im Juli 2003, als sie den Forum-Preis erhielt. Erst im brieflichen Kontakt lernte ich sie kennen und da gefiel mir ihre Offenheit und die Zusammenarbeit mit ihr an dem Gedicht („gestammeltes ich“). Sie lud mich sogar zusammen mit meinem Freund Arthur ein bei ihr zu übernachten (Dezember 2003). Sie nahm auch meine Kritik an ihrem Roman gelassen hin – ich gab ihr nicht das Exposé, das ich Ihnen gab, aber ich meinte, Humor und Ironie gefielen mir nicht so sehr, und ich nannte ihr Buch LATTE MACCHIATO: MATTE LACHIATO … Das durchschaute sie nicht gleich (hielt es erst für einen unabsichtlichen Verdreher), aber dann schnallte sie es doch. Ich mahnte, schreiben Sie nicht so schnell, feilen Sie mehr. Sie antwortete mir damals, als sie noch keinen Hinweis auf ihre Krankheit hatte, immer wieder, sie habe keine Zeit, sie müsse so schnell schreiben. Solche Dinge erinnern mich an die unbewusste Sprache, die auch bei meiner Frau zum Ausdruck kam – sie hängte in der neuen Wohnung kein Bild in ihrem Zimmer auf! Nur ein Bild, das die Mutter unserer (künftigen) Schwiegertochter malte und uns schenkte, bevor sie an Unterleibskrebs starb: Einen Lebensbaum. Wahrscheinlich habe ich die frühen Anzeichen des sprechenden Körpers übersehen, als meine Frau noch ‚gesund’ war. Als Anna Romas vom Sterben meiner Frau erfuhr, war sie selbst erkrankt. Sie reagierte auf mein Leid, so gut sie konnte. Knapp aber herzlich. Mit Anna Romas verlieren Sie, verlieren wir eine sehr beachtenswerte Frau und Schriftstellerin.

23.1.2005

Liebe Mitglieder, liebe Freunde,

insofern Sie nicht bereits durch die Familie Romas benachrichtigt wurden, ist es mir eine traurige Pflicht, Sie über den Tod von Anna Romas in Kenntnis zu setzen.

Wer die Umstände näher kannte, weiß, dass schon seit längerer Zeit nur noch geringe Chance bestand, dass sie ihren Kampf gegen den Krebs siegreich beenden würde. Trotzdem hat sie bis zuletzt mutig um ihr Leben gekämpft, hat alle Behandlungen über sich ergehen lassen, aber sich auch gewünscht, dass die Leiden ein Ende nehmen mögen. So ging mit dem heutigen Tage ein Martyrium zu Ende, das über ein dreiviertel Jahr von Lebensangst, Hoffen, Bangen und schierer Verzweiflung gekennzeichnet war. Wer Anna kannte, wusste um ihren Überlebenswillen. Sie hing nicht nur einfach am Leben: es war auch so viel Leben in ihr, so viel schöpferische Kreativität, die sich verwirklichen wollte, dass es fast undenkbar schien, dass am Ende der Tod obsiegen würde. Anna Romas war bis zuletzt bei klarem Bewusstsein. Ihr Geist wurde nie besiegt. Ich darf Sie ermuntern zu lesen, was sie in Eremitage 9 schrieb. Als Schriftstellerin war sie keineswegs auf einem absteigenden Ast. Im Gegenteil! Da war noch viel drin! Insofern ist der Schmerz groß. Trifft er doch nicht nur den Verlust eines befreundeten Menschen: Es ist auch das Dahinscheiden eines großen literarischen Talents! Ihr Körper ist von uns gegangen, aber ich bin mir sicher: ihr Geist bleibt unter uns lebendig! —

peter valentin

Lieber Peter Valentin,

Anna Romas ist tot! Ich bin sehr froh, dass ich das Wenige mit ihr zusammen arbeiten konnte.

24.1.2005

Lieber Ulrich Bergmann,

Anna Romas schrieb mir am 11.01.05: „… danke für deine Worte. Ab Mittwoch bekomme ich die Tablette, die viele Nebenwirkungen verursachen wird. Laut meinem Onkologen bekomme ich sie so lange, bis ich wieder therapiefähig (Chemo, Strahlungen) bin. Ob ich diesen Tag erlebe? Wahrscheinlich nicht, aber ich, die ich mich immer mit Zeit, Tod, Sein auseinandergesetzt habe, bin erstaunlich ruhig. Könnte ich diese Ruhe und Gelassenheit meiner Familie übergeben. Sie sind alle so fertig und ich fühle mich so schuldig, weil sie meinetwegen leiden. Nachts bin ich nicht so ruhig, denn da hat das Unterbewusstsein das Sagen. Ja, nachts schreit Leid und all das Versäumte schauerlich um Hilfe.“ —

Auf diese Zeilen hab ich ihr dann nicht mehr geantwortet, zu greifbar war, dass es nun zu Ende ging, dass Worte nicht mehr helfen konnten, dass sie nun in ein Stadium des unerbittlichen Ernstes eingetreten war, wo sich eigentlich nichts mehr sagen lässt. Dies musste ich akzeptieren, alles andere wäre einer Gotteslästerung gleich gekommen. Anna hatte das Glück noch hier geläutert zu werden. Darum konnte sie sagen „bin erstaunlich ruhig“ …

… Achten Sie, wonach Sie greifen. Auch in Ihrem Alter kann man sich bei Frauen noch sehr die Finger verbrennen. Und hüten Sie sich vor nichts mehr als vor großen Verliebtheiten, die alles durcheinander wirbeln, uns vorgaukeln, als wäre Glück nun nur noch durch diese Verbindung möglich … Sie haben sich – und damit sind Sie vom Schicksal reich beschenkt! Der Rest ist Begleitmusik! Wenn Sie als Romancier reüssieren wollen, müssen Sie Ihren Kopf frei halten – und auch Ihr Herz. Denn alles hat einen, seinen Preis. Ihre Geliebte sollte nun einmal die Literatur sein. Nehmen Sie also bitte die Frauen nicht so wichtig. Verteilen Sie wenigstens Ihre Gunst! Auch wenn eine Frau gern die Einzige sein will. Frauen wollen so gern besitzen, aber Sie müssen das nicht zulassen. Entdecken sie den Vagabunden in sich, den unsteten Wanderer. Werden Sie zum Schmetterling … Alles Feste haben Sie hinter sich. Aus und vorbei und das wird – wenigstens so – nicht mehr.

3.4.2005

Lieber Peter Valentin,

… Übrigens denke ich andauernd übers Bottwar-Tal nach. Sie haben mich in diese offenbar reizvolle Landschaft geführt und mir aber nicht die Bottwar gezeigt – im Gegensatz zum Ludwigsburger Schloss. Jetzt zieht es mich an, dieses Täl’le, aber auch Marbach, wo ich seit meiner mittleren Kindheit nicht mehr war. Ich freue mich, Sie wiederzusehen Anfang Juli – und dann wieder mal zu einem exquisiten Wein in einem der Halb-Täler so versteckter Neckarzuflüsschen.

Lieber Ulrich Bergmann,

schön, dass Sie so rasch nach Hause kamen und die Autobahnen frei waren!

Bei der letzten Jury-Abstimmung kam es zu einer recht hässlichen Intrige gegen mich, aus der mich mein Freund WM rettete, was ich ihm nie vergessen werde! Man hat in so einem Club ja nicht nur Freunde; es gibt immer auch Abweichler, Abspalter, Opposition bis hin zum Intrigantentum. Damit lebe ich seit Anbeginn. Gefährlich wirds nur, wenn sich zu viele Stimmungsmacher gegen einen zusammenraufen. Dann muss man rasch reagieren. Eine solche Reaktion war die Erhöhung der Jury auf 9. Damit dürfte bis auf Weiteres wieder Ruhe eingekehrt sein. … Die Zeit im lieblichen Bottwartal verging wie im Fluge. Aber immerhin kam doch etliches zur Sprache.

Lieber Peter Valentin,

ich sehe Sie jetzt immer vor mir mit dem Handy am Ohr, wie Sie die e-mails abhorchen wie ein U-Boot-Fahrer, der die Dechiffriermaschine ins Hirn hält. Aber auch das Glas roten württembergischen Weins, bottwarisch gewürzt …

5.4.2005

Lieber Ulrich Bergmann,

… da haben Sie eine schöne Metapher für mich gefunden: der Funker auf einem U-Boot, der die Morsezeichen der andern abhört, selbst seine Funksprüche vom Stapel lässt. Ein wenig fühl ich mich schon so – wie auf einem U-Boot. sagen wir einfach mal im Ozean des Geistes. Der Ozean, das U-Boot sind schon was Einsames, noch mehr die Situation des Funkers an Bord. Auf ihn kommts an! Wenn er versagt, das Herannahen der feindlichen Kriegsschiffe nicht mitbekommt, dann ist das ganze Unterfangen mitsamt U-Boot verloren!

 

 

Weiterführend →

Es herrscht die Annahme, das Netzwerk sei erst mit dem Internet erfunden worden, es gab jedoch eine Zusammenarbeit von Individuen bereits auf analoger Ebene. KUNO dokumentierte den Grenzverkehr im Dreiländereck.

Ein Kollegengespräch von A.J. Weigoni mit Bruno Kartheuser finden Sie hier.

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