Es thut mir leid, daß ich es gegeben habe, – es war ein höchst unbedachtes Versprechen. Ein Kapitel über Schnurrbärte! Ach! das Publikum wird es nicht vertragen können, das Publikum ist so überaus zart; aber ich wußte nicht, was ich that, und dann hatte ich auch das untenstehende Fragment noch nicht gesehen, sonst würde ich, so gewiß Nasen Nasen und Schnurrbärte Schnurrbärte sind (mag das Gegentheil behaupten, wer kann), diesem gefährlichen Kapitel aus dem Wege gegangen sein.
Sie scheinen schläfrig zu sein, Verehrteste, sagte der alte Herr, der die Hand der alten Dame ergriff und sie sanft drückte, während er das Wort Schnurrbart aussprach. Lassen Sie uns von etwas Anderem reden. – Keineswegs, erwiederte die alte Dame; Ihre Geschichte gefällt mir ungemein. – Damit bedeckte sie sich den Kopf mit einem dünnen Gazetuche, lehnte sich, das Gesicht ihm zugewandt, im Lehnstuhl zurück, schob beide Füße etwas weiter vor und sagte dann: Bitte, fahren Sie fort. –
Der alte Herr fuhr fort, wie folgt: Schnurrbart! sagte die Königin von Navarra und ließ ihr Knäuel fallen, als La Fosseuse das Wort aussprach. – Schnurrbart, Madame, sagte La Fosseuse, indem sie das Knäuel an der Schürze der Königin feststeckte und das Wort mit einem Knixe wiederholte.
La Fosseuse’s Stimme war von Natur weich und tief, sie hatte eine sonore Stimme, und jeder Buchstabe des Wortes »Schnurrbart« drang der Königin vernehmlich ins Ohr. Schnurrbart! rief die Königin mit einem Tone, als ob sie ihren Ohren immer noch nicht traue. – Schnurrbart, erwiederte La Fosseuse, indem sie das Wort zum dritten Male wiederholte. Kein Kavalier seines Alters, Madame, fuhr das Hoffräulein fort und nahm sich des Pagen mit Eifer an, – keiner in ganz Navarra hat einen so schönen – Was? fragte Margaretha lächelnd. – Schnurrbart, sagte La Fosseuse mit unbeschreiblicher Züchtigkeit. –
Das Wort »Schnurrbart« hielt es aus; – trotz des indiskreten Gebrauches, welchen La Fosseuse davon gemacht hatte, bediente man sich desselben nach wie vor in der besten Gesellschaft des kleinen Königreiches Navarra. La Fosseuse hatte nämlich das Wort nicht allein vor der Königin, sondern überhaupt bei Hofe und bei vielen andern Gelegenheiten mit einem ganz besondern, geheimnißvollen Tone ausgesprochen. – Margaretha’s Hof war zu jener Zeit, wie allgemein bekannt, ein Gemisch von Galanterie und Frömmigkeit, und da sich Schnurrbärte mit beiden vertragen, so hielt das Wort es aus; – was es hier an Terrain verlor, gewann es dort wieder, d.h. die Geistlichkeit war dafür, die Laien dagegen, und die Frauen waren getheilt.
Um diese Zeit war es, daß die herrliche Gestalt und die Schönheit des jungen Sieur de Croix die Aufmerksamkeit der Hoffräulein nach der Terrasse vor dem Schloßthore zog, wo die Wache aufgestellt war. Die Dame De Baussiere verliebte sich sterblich in ihn; La Battarelle desgleichen; die Witterung war dazu so günstig, wie sie nur je in Navarra gewesen. La Guyol, La Maronette, La Sabatiere verliebten sich ebenfalls in Sieur de Croix; La Rebours und La Fosseuse wußten es besser; de Croix hatte einen verunglückten Versuch gemacht, sich die Gunst der La Rebours zu gewinnen, und La Rebours und La Fosseuse waren unzertrennlich.
Die Königin von Navarra saß mit ihren Frauen an dem gemalten Bogenfenster dem Thor des zweiten Hofes gegenüber, als de Croix eben hindurchschritt. – Er ist hübsch, sagte die Dame De Baussiere. – Er sieht gut aus, sagte La Battarelle. – Eine treffliche Gestalt, sagte La Guyol. – Nie in meinem Leben, sagte La Maronette, sah ich bei einem Offizier der Leibwache so schöne Beine. – Und wie er damit schreitet, sagte La Sabatiere. – Aber er hat keinen Schnurrbart, rief La Fosseuse. – Nicht ein Fläumchen, sagte La Rebours.
Die Königin ging sogleich nach ihrem Oratorium und dachte, als sie die Gallerie dahinschritt, den ganzen Weg an nichts Anderes; sie sann und sann. – Ave Maria †, was mag La Fosseuse nur meinen, sagte sie und kniete auf das Kissen nieder.
La Guyol, La Battarelle, La Maronette und La Sabatiere zogen sich auch in ihre Gemächer zurück. Schnurrbart! sagten alle Viere und verriegelten die Thüren von innen.
Die Dame Carnavalette ließ, ohne daß es Jemand merkte, den Rosenkranz unter ihrer Schürze durch die Finger laufen. Vom heiligen Antonius bis zur heiligen Ursula war kein Heiliger, der nicht einen Schnurrbart gehabt hätte – der heilige Franciscus, der heilige Dominicus, der heilige Benedict, der heilige Basilius, die heilige Brigitta – Alle hatten Schnurrbärte.
Die Dame Baussiere war ganz verwirrt davon geworden, daß sie zu eifrig über La Fosseuse’s Worte nachgedacht hatte; sie bestieg ihren Zelter, ihr Page folgte ihr; – das Allerheiligste kam vorüber, – die Dame Baussiere ritt weiter.
Eine Gabe! – rief ein Bettelmönch, – eine kleine Gabe! – tausend arme Gefangene flehen zu Gott und Euch um ihre Erlösung.
Die Dame Baussiere ritt weiter.
Erbarmt Euch der Bedrängten, – sagte ein frommer, ehrwürdiger Graukopf und hielt mit zitternder Hand eine eisenbeschlagene Büchse hin: – ich bitte für Unglückliche, edle Dame – für ein Gefängniß, ein Hospital, für einen alten Mann – für einen Schiffbrüchigen, einen Abgebrannten; – Gott und alle seine Engel mögen mir’s bezeugen, – es ist, um den Nackenden zu kleiden, – den Hungernden zu speisen, – den Kranken und Elenden zu trösten.
Die Dame Baussiere ritt weiter.
Ein heruntergekommener Verwandter verbeugte sich bis zur Erde.
Die Dame Baussiere ritt weiter.
Bittend, baarhäuptig folgte er dem Zelter; er beschwor sie bei ihrer früheren Freundschaft, bei den Banden der Natur, der Blutsverwandtschaft u.s.w. – Muhme, Tante, Schwester, Mutter, – um Alles in der Welt willen, im Deinet-, meinet-, um Christi willen gedenke mein, erbarme Dich meiner!
Die Dame Baussiere ritt weiter.
Halte meinen Schnurrbart! sagte die Dame Baussiere. – Der Page hielt ihren Zelter. Sie stieg am Ende der Terrasse ab.
Gewisse Ideen hinterlassen auf unserer Stirn und in unsern Augen gewisse Spuren; wir fühlen, daß sie da sind, und dadurch werden sie noch deutlicher. Man sieht sie, man liest sie und versteht sie ohne Dictionnaire.
Ha! ha! – hi! hi! riefen La Guyol und La Sabatiere, als jede von ihnen die Spuren bei der Andern gewahr wurde. Ho! ho! riefen La Battarelle und Maronette, denen es nicht besser ging. Pst! rief die Eine, – hscht! hscht! sagte die Andere, – still! still! eine Dritte – oho! die Vierte. – Um Gottes willen! rief Dame Carnavalette, – das war die, welche der heiligen Brigitta den Schnurrbart angehängt hatte.
La Fosseuse zog ihre Nadel aus dem Haarzopf und zeichnete mit dem stumpfen Ende derselben einen kleinen Schnurrbart auf die eine Seite ihrer Oberlippe, dann gab sie die Nadel La Rebours in die Hand. La Rebours schüttelte den Kopf.
Die Dame Baussiere hustete dreimal in ihren Muff hinein. La Guyol lächelte. Pfui! sagte die Dame Baussiere. Die Königin von Navarra tippte sich mit dem Zeigefinger ins Auge, als wollte sie sagen: ich verstehe Euch alle.
Das Wort war zu Grunde gerichtet, – so viel war dem ganzen Hofe klar. La Fosseuse hatte ihm eine Wunde versetzt, und davon konnte es sich nicht wieder erholen. Es machte zwar noch einige Monate lang schwache Versuche, sich aufrecht zu erhalten, dann aber fand es Sieur de Croix an der Zeit, Navarra zu verlassen, weil ihm der Schnurrbart ganz fehlte; – das Wort wurde unanständig und war nicht mehr zu gebrauchen.
Das beste Wort der besten Sprache der besten Welt hätte unter solchen Umständen gelitten. Auch schrieb der Curate d’Estella ein Buch, worin er das Gefährliche der Nebengedanken darlegt und davor warnt.
Weiß nicht alle Welt, sagt d’Estella am Schluß dieses Werkes, daß vor einigen Jahrhunderten das Wort »Nase« in den meisten Ländern Europa’s dasselbe Schicksal hatte, wie jetzt das Wort »Schnurrbart« im Königreich, Navarra? – Seitdem hat sich allerdings das Uebel nicht weiter verbreitet, aber haben nicht Bette, Polster, Schlafmütze, Nachttopf je und je auf der Kippe gestanden? Sind nicht Hose, Schlitze, Hahn und Zapfen noch jetzt der Gefahr solcher Nebengedanken ausgesetzt? – Uebertreibe man nur die Schamhaftigkeit, die doch eine der edelsten Tugenden ist, und sie wird ein reißender und brüllender Löwe werden.
D’Estella’s eigentliche Meinung ward nicht verstanden; man folgte einer falschen Spur und zäumte den Esel beim Schwanze auf. – Und wenn die Fanatiker der Schamhaftigkeit und die Wollüstlinge ihr nächstes Kapitel halten, so erklären sie vielleicht auch dieses für eine Zote.
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The Life and Opinions of Tristram Shandy, Gentleman; kurz Tristram Shandy, ist ein zwischen 1759 und 1767 erschienener Roman von Laurence Sterne
Das Buch ist eine ebenso wilde wie witzige Abschweifung über Ausschweifungen, Philosophie sowie über Familien-, Kunst- und Kriegsgeschichte in der Tradition von Rabelais und Cervantes. Als Romanheld bringt es Tristram Shandy nur bis zur ersten Hose, die den Kleinen damals im Alter von vier bis fünf Jahren angezogen wurde. Dafür beginnt seine Karriere früher als gewohnt, gleich mit der Zeugung. Als Erzähler führt er ein übermütiges Eigenleben, und trotz seinem bösen Husten ist er kein Griesgram. Er setzt sich die Narrenkappe auf, reißt hier ein Kapitel heraus, weil es so gut sei, dass alle anderen dagegen abfielen, läßt dort eine Seite frei, damit der Leser darauf ein Bild seiner Geliebten malen kann; verhökert mittendrin die Widmung des Werkes meistbietend, verstrickt sich stehenden Fusses in monströse Abschweifungen, setzt die buntesten fremden Textflicken ein und stellt immerzu die Chronologie auf den Kopf. Jede Linearität der Erzählung ist aufgekündigt; dafür werden wir ständig auf den Prozess, den Moment des Schreibens verwiesen. Das Medium ist die Botschaft. Seine Vorbilder sind Rabelais, Erasmus, Montaigne oder Burton. Die Diatribe des Letzteren gegen die grassierende Unsitte des Plagiats hat er wortwörtlich: plagiiert. Kein Wunder, daß ihn viele experimentierfreudige Romanciers der Moderne und Postmoderne als Ahnherrn betrachten. Arno Schmidt erklärte es zu einem der „zehn größten Bücher, die bisher in englischer Sprache geschrieben wurden“. Neben dem Rolls Joyce und Beckett sicher ein Fixstern am Literaturhimmel. Friedrich Nitzsche bezeichte ihn gar als Der freieste Schriftsteller.