Lyrik im Zeitalter der Nervosität

 

Selten gab es so viele viel versprechende Talente in der anspruchsvollen Lyrik wie in diesen Tagen, selten eine so gut ausgebildete Lyrikergeneration. Und dennoch führt Lyrik ein Nischendasein. Die Einladung zu einer Verabredung mit meinem Publikum muß man erst einmal am Anschlag finden. Lyriker schreiben im 21. Jahrhundert Gedichte aus dem einzigen Grund, weil sie es wollen; und der ‚Sinnzerstreuungsbeauftragter im Zeilenkrieg‘ Ralph Pordzik weiß, worüber er textet. Er zeigt sich darin als denkendes, mitfühlendes, künstlerisches Subjekt auf Augenhöhe mit seinem Gegenstand. Die meisten in diesem Band versammelten Gedichte bestechen durch die Intensität ihrer Bilder und den Rückgriff auf unterschiedliche Dichtungstraditionen, die fremde Stimmen und Idiome in einer Sprache konzentrierten Ausdrucks und lyrischer Intensität zu einer inneren Welt erträumter Zusammenhänge verdichten. Die Dichter auf die sich Pordzik bezieht sind mehr als nur Vorläufer der Heutigen. Insbesondere auch der Radikalität wegen, mit der sie den Wert eines Gedichts von der Gewichtigkeit seines Sujets schieden und einzig an die Prägnanz der sprachlichen Umsetzung banden.

Der Gruss der Lyriker untereinander sollte sein: ‹Lass dir Zeit!›

Der Lyriker, wie involviert auch immer, ist der Abstandhalter par excellence. Die unpathetische Rede ohne metrischen Leierkasten gehört inzwischen zum Standard. Die durch Einfügung von Dingen aus entlegenen Kontexten und überraschende Metaphern erzielte Verfremdung zählt heute als surrealistischer Effekt ebenso zum Grundbestand dichterischer Verfahren wie der Umgang mit hyperbolischen und metonymischen Figuren, Bewusstseinsstrom, pointierte Raffung und profanisierter Symbolismus. In ihrem lakonischen Grundton verstehen sich Pordziks Gedichte zugleich als Provokation der klanglich wie stilistisch überholten Sprache der Poesie und erweisen sich als eine moderne Praxis des Schreibens, die durch ihre strenge, karge Grazie und ihren kunstvollen Gestus psychologischer Selbstüberwindung fasziniert. Dieser Lyriker ist ein filigraner Wortmetz, der sich jahrelang als Leser in den Höhen und Niederungen der Literatur getummelt hat und daran sein eigenes Handwerkszeug schärfen konnte. Seine Gedichte sind Explorationen in die Gelassenheit der Passivitätskompetenz. In diesem Band wimmelt es von Philosophien, dazu kommen Wortwitze und Wortspielereien. Genau genommen, ist es ein Wimmelbuch für Sprachverliebte. Es ist großartig, wenn sich Literatur so etwas traut, und es ist großartig, wenn sich ein Verlag traut, solche Literatur zu verlegen. Verabredung mit meinem Publikum ist ein von jener intellektuellen und poetischen Eigensinnigkeit, die vom großteilig in Fadheit genormten Gedudel des Gegenwartsliteraturbetriebes mit fataler Zwangsläufigkeit auf einen Außenseiterposten verbannt wird. Gelegentlich sollte man Verabredungen ernst nehmen.

 

 

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Verabredung mit meinem Publikum. Gedichte von Ralph Pordzik. Würzburg/Ingolstadt: Les Derniers Jours, 2012.

Weiterführend

Auf KUNO lesen Sie auch einen Rezensionsessay von Holger Benkel über Ralph Pordzik

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