Einleitend ein Zitat Nietzsches, welches ich im Bezug zur Gegenwart vertiefen sowie auf den Wahrheitsgehalt prüfen möchte:
Missklang zweier Konsonanzen. – Die Frauen wollen dienen und haben darin ihr Glück: und der Freigeist will nicht bedient sein und hat darin sein Glück.
aus: Menschliches, Allzumenschliches, Satz 432
Den ersten Satz »die Frauen wollen dienen und haben darin ihr Glück.«, gäbe heutzutage kein intelligenter Mensch mehr von sich. Heute provozierte ein solcher Ausspruch »Buh«-Rufe, Ausrufe wie »Macho«, »Showie«, bei Frauen »Ist sie blond?« oder Ähnliches. Eine Anmerkung hierzu am Rande, die Einteilung, die vor allem zu meiner Zeit von Frauen praktiziert wurde, der Männer, in »Softies« und »Machos«, ist natürlich genauso naiv wie das Aufteilen von Männern, der Frauen, in »Heilige« und »Huren«.
Frauen wollen dienen, der Freigeist nicht bedient werden
Nietzsches Aphorismen sind so erfrischend, da sie nicht schönreden, sich nicht an Kirche, Staat, Moral, unrealistischen Ideologien bedienen, sondern Begebenheiten unmissverständlich benennen. Er spricht die Machtgefälle an, deutlich, wie sie existieren, setzt entgegen, dass ein Freigeist diese ablehnt. In Morgenröthe kritisiert er Kant und Rousseau, die Ideologie, Religion zuarbeiten sowie vorhandene Machtgefüge stärken.
Im Zitat werden Mikroprozesse der Macht angesprochen, in der Art, wie sie in traditionellen Beziehungen zu Teilen heute noch herrschen. Nietzsche begegnet dem Machtgefälle mit einem klaren »Nein« des Freigeistes, er beendet das Spiel der Herrschaft und findet darin sein Glück, zunächst nicht jenes der Frau, sondern das des freien, modernen Mannes.
Zurück zum Zitat, das ich hier (möglichst) neutral in der Gegenwart zu betrachten suche. »Die Frauen wollen dienen« spricht nicht etwa, wie es auf den ersten Blick erscheinen mag, trotz der Abwertung, die im Wort »dienen« liegt, von der unterdrückten Frau, die zum Dienen gezwungen wird, sondern von einer gleichberechtigten oder gar mächtigen Frau (sie will dienen, setzt dies auch durch)) mit eigenem Bestreben und Durchsetzungsvermögen. Der zweite Satz impliziert, dass der gewöhnliche Mann sich diesen Beschluss auferlegen lässt, der Freigeist jedoch nicht, er findet sein Glück im Nicht-bedient-Werden.
Der Gottlose verneint mit Lust, ihm widerstreben Macht und Moral.
Nietzsche: Morgenröthe, S. 13
In dem die Frau den Willen hat zu dienen, nicht dazu gezwungen wird, sondern glücklich damit ist, deutet er hier bereits die Macht der Frau, die Macht des Dienens an, da es das Bedürfnis eines jeden sei, Macht zu erlangen, mit der Moral sollen bestehende Machtgefüge gestärkt werden. (Nietzsche: Der Wille zur Macht, Also sprach Zarathrustra)
Auch wenn Nietzsche gern verächtlich formuliert, zeigt er damit den bitteren Kern Wahrheit auf, der heute noch existiert. In dieser Zeit würde keine Frau in Deutschland von sich behaupten, sie fände ihr Glück im Dienen, trotz allem dienen viele Frauen ihren Männer, teilweise auch ihren Kinder weiterhin, objektiv betrachtet, freiwilliger denn je, allerdings in der Regel nicht ohne zu meckern, frustriert, unglücklich oder sogar depressiv zu werden. Woran liegt das? Betrachten wir das System Paarbeziehung und Familie näher.
Dienen im Kontext von Paarbeziehung und Familie
In der ersten Phase der Verliebtheit wird das Wort »dienen« oder »bedienen« durch »verwöhnen« ersetzt: beide Partner besitzen das Bedürfnis sich gegenseitig zu umsorgen (bedienen). Meiner Meinung nach ist dieses Verlangen bei Männern, wie bei Frauen, gleichermaßen vorhanden: das Paar beglückt in dieser Zeit das Dienen genauso wie das Bedient-Werden. Sofern beide die Fähigkeit besitzen, sowohl zu versorgen, als auch versorgt zu werden, befindet sich die Partnerschaft im Gleichgewicht, verläuft gleichberechtigt.
Diese Balance geht in vielen Bindungen irgendwann verloren, einer der Partner übernimmt die Rolle des »Hauptdieners«, während sich der andere in der Regel bedienen lässt. In den meisten Beziehungen nimmt auch heute noch die Frau die Rolle des Hauptdieners auf sich. Selbstbewusste Frauen sind damit nicht mehr glücklich, trotzdem nehmen sie diese Rolle häufig an. Doch warum ist das so, abgesehen von Traditionen und dem Geldmangel, sich für diese Aufgaben Bedienstete zulegen zu können?
Dienen und Fürsorge: ein Vergleich
Dienende Arbeiten wie kochen, Wäsche waschen, putzen etc. sind eng mit der Elternrolle und der damit verbundenen Fürsorge verknüpft. Die elterliche Pflege ist wichtig für die Entwicklung von Kindern. Diese fangen erst an Vater und Mutter als Bedienstete zu »missbrauchen«, wenn jene nicht merken, dass der Nachwuchs in einem Alter ist, in dem er bestimmte Formen der Beelterung nicht mehr benötigt, z.B. »missbrauchen« die Nachkommen die Eltern als Fahrdienst (Diener), um z.B. in den Sportverein zu kommen, obwohl sie längst auf einer Entwicklungsstufe angelangt sind, in der sie verkehrssicher laufen oder den öffentlichen Linienverkehr benutzen können.
Gleichberechtigte Beziehungen finden wir selten, wir verfügen über wenig Vorbilder für diese. Das bedeutet, wir sind gefordert, eigene Modelle zu entwerfen. Nach der ersten Verliebtheitsphase kehrt der Alltag zurück und damit auch die Aufgaben, die es zu verteilen gilt. Einiges verhandelt das Paar, anderes schleicht sich ein, passiert einfach. Doch warum übernimmt häufig noch die Frau die dienende Rolle, ist mit den unangenehmeren und aufwendigeren Arbeiten betraut, obwohl sie damit häufig überfordert sowie unglücklich ist? Eine Frau gab in einer Diskussion als Argument für gleichberechtigte, gerecht verteilte Aufgaben tatsächlich an, sie koche jeden Tag, dafür fahre ihr Mann das Auto regelmäßig zum TÜV. Ich möchte hier betonen, dieser »Beweis« einer angeblich gleichberechtigen Arbeitsteilung wurde von einer Frau geführt.
Stellen wir noch einmal die Begriffe Dienen und elterliche Fürsorge gegenüber. Beide bezeichnen, wenn sie zwischen zwei Menschen existieren, eine nicht gleichberechtigte Beziehung, ein Machtgefälle.
Die Beelterung bedeutet Macht, das Bedienen Machtverlust, obwohl es sich um genau die gleichen Aufgaben handelt, lediglich die Position ist eine andere.
In dem Ausloten, die Macht in einer Beziehung zu verteilen, bzw. zu übernehmen, könnte einer der beiden Partner denken, »wenn ich mich bedienen lasse, bin ich der Herrscher/die Herrscherin«, während der andere denken könnte »wenn ich die unangenehmen Arbeiten an mich reiße, dränge ich den anderen automatisch in eine kindliche Rolle, so habe ich die Macht«.
Beides ist folgerichtig, aus beiden Positionen heraus kann Macht ausgeübt werden. Schafft es eine Frau, den Mann, zu entmännlichen und durch ihre Fürsorge zum Sohn zu degradieren, besitzt sie die Herrschaft.
Gelingt es dem Mann, den Pascha zu spielen und sich bedienen zu lassen, hat er die Zügel in der Hand, die Frau wird entwürdigt und in eine abhängige Position gebracht, die weder ihrem Menschsein, noch ihren Fähigkeiten entspricht.
Nietzsche erkannte bereits, diese Gefahren der klassischen Rollenteilung, heute gibt es Ausnahmen: Paare, die es fertig bringen, trotz des Modells der klassischen Arbeitsteilung, durch gemeinsame Aufgabenverteilung gegenseitigen Respekt aufrechtzuerhalten, gleichberechtigt zusammenzuleben: Die tatsächlichen Abhängigkeitsverhältnisse werden jedoch in der Regel offenbar, wenn die Frau gefragt wird, wie viel in ihre Rentenkasse eingezahlt, in ihre berufliche Weiterbildung investiert wird, sodass es sich hier lediglich um eine scheinbare, auf die Gegenwart begrenzte, die Zukunft ausblendende, Gleichberechtigung im System Familie und Staat handelt.
Dienen und Macht
Ob solche Machtverhältnisse bewusst angesteuert werden, ist nicht immer ersichtlich, jedoch fiel mir als Kind aus dem Bücherschrank meiner Großmutter ein dickes Buch in die Hände, wie sich Frauen verhalten sollen, um die Macht an sich zu reißen. Es enthielt Tipps, z.B.: zeige dem Mann nie, dass du intelligenter bist, besser Tennis spielen kannst als er (vor allem nicht vor der Hochzeit) und ähnliche Strategien, den Mann im Glauben zu lassen, er hätte die Führung, eine Anleitung den narzisstischen Anteil des Gatten zu füttern, um ihn blind für die tatsächlichen Machtverhältnisse zu machen, um ohne eine Auseinandersetzung führen zu müssen, die Vorherrschaft in der Familie zu erlangen. Die Macht der »Dummspiele« (Eric Berne), die heute häufig unbewusst genutzt wird, haben vermutlich in solchen Ratgebern ihre Tradition, dies beleuchte ich in einem der folgenden Aufsätze noch näher.
Es spricht Einiges dafür, dass die vorhergehenden Generationen sehr bewusst mit der Machtgewinnung innerhalb der Familie und Paarbeziehung umgegangen sind.
Sofern keine ausgehandelten, fairen Aufgabenteilungen existieren und so ein Ungleichgewicht in die Beziehung kommt, ist in beiden Positionen, sowohl die Herrschafts-, als auch die Unterdrückten-Rolle möglich. Weitere Konstellationen existieren im Machtgefüge, die häufig zu Kommunikations- und Eheproblemen führen, naheliegend sind zunächst folgende Macht- und Kommunikationsmuster:
Herrscherrolle: Dienerrolle
Elternrolle: Kindrolle
oder die Rollen kreuzen sich:
Herrscherrolle: Kindrolle
Elternrolle: Dienerrolle
Diese Rollenverhältnisse weiter auszuführen, würde den Rahmen sprengen, es ergibt sich bereits aus den erarbeiteten vier Konstellationen genug Konfliktpotential, das ich zu einem späteren Zeitpunkt noch ausführlicher bespreche, jedoch ist anzumerken, dass in den oben beschriebenem Machtgefügen, es schwer sein dürfte, den Respekt vor dem Anderen zu behalten, die Sexualität langfristig aufrecht zu erhalten, was sich aus Inzesttabu und dem Verbot für Sexualität mit abhängigen Personen ergibt, selbst wenn es sich hier nur um Rollen handelt, nicht um objektive Tatsachen, so entpuppen sich Rollen, die über Jahre, Jahrzehnte gespielt werden, doch zumindest zu inneren Realitäten (Tatsachen).
Der Freigeist lehnt laut Nietzsche dieses Machtgefüge ab, bleibt allein (oder versucht es besser zu machen), wobei es sich als schwer erweisen dürfte, ähnlich denkende, angemessene Partner zu finden.
Weiterführend →
Lesen Sie auch „Zarathustra • Revisited„. Zählung, Dichtung, Diagramme. Visualisiert von Hartmut Abendschein. Und Thomas Nöske versucht mit diesem Essay mit Nietzsche fertig zu werden.