Insider behaupten, es gebe in Deutschland mit der Reichshauptstadt und der Hauptstadt der Bewegung zwei Lyrikzentren, ich beobachte seit den Jahren nach 2000 einen andern Trend. Es erscheinen regelmäßig lebendige, originelle Lyriktitel in seit 2005 mit dem Label ›Hinterland‹ versehenen Gegenden − der in Sistig/Eifel beheimateten Edition YE, dem im rheinländischen Weilerswist agierenden Verlag Ralf Liebe, oder der Lößnitzer Sebastian Schmidt und seine Initiative Der lyrische Mittwoch. Heute stellt er ein Interview mit A.J. Weigoni vor.
Die in der Reihe Der lyrische Mittwoch präsentierten Dichter beschreiben einen Nicht-Stillstand. Sie versuchen mit der elementaren Geste des Schreibenden, die Sprache anzustoßen, in Schwingung zu versetzen, in Bewegung zu bringen; sie als Material zu verwenden, oder vielmehr als eigenständigen Körper, und sie zu vertwisten, zu Bocksprüngen und drolligen Saturnalien anzuheizen, anzureizen. In der Bandbreite dieser Publikationen zeigt sich, wie der Gegensatz von konventionell und experimentell aufgehoben wurde. Mit Metrum, Reim, lyrischen und prosanahen Formen wird in großer Unverkrampftheit umgegangen. Und doch lassen sich noch immer zwei Pole ausmachen, zwischen denen sich die Dichtung aus dem Hinterland bewegt: Einmal gibt es da eine eher dem Erzähl- als dem Materialcharakter zuneigende Dichtung, die alte Formen wiederbelebt, sich dem hohen Dichterton anlehnt, auch wenn sie ihn zuweilen ironisch modernistisch bricht. Und dann eine formengebärende Dichtung mit einer frechen, manchmal rotzigen, aus Vergangenheitssättigung und Gegenwartshingabe geborenen Sprache, die überrascht, vor den Kopf stößt, verführt. Die Lyrik, wie jede Kunstgattung, macht immer wieder glanzlose Zeiten durch. Diese Innitiativen bringen sie zum Leuchten. Ob Peripherie Zentrum oder Zentrum Peripherie ist, entscheiden die interessierten Leserinnen und Leser mit jedem neuen Gedichtband neu.
***
Weiterführend →
Hörbücher sind die herausgestreckte Zunge des Medienzeitalters