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Vorbemerkung der Redaktion: Mit diesem Kollegengespräch gilt es ein weiteres Versäumnis nachzuholen. Damals fehlte die Sparte Performance im Projekt Kollegengespräche.

A.J. Weigoni: War mich immer schon irritiert hat, sind Ankündigungen auf Plakaten mit dem Wortlaut: „Dichter*In X liest“. Dass ein Schriftsteller lesen kann, sollte man eigentlich voraussetzen, sonst könnte er nicht schreiben. Ich habe meine Auftritte als ‚Poetische Performances’ verstanden, gemäss der Definition: „Eine Performance entsteht, indem sie verschwindet.“ – Wie hältst Du es mit dem „Auftritt“?

Tonverbrechung: Elisabeth Fügemann, Lukas Truniger, Nicola Hein, Sophie Reyer

Sophie Reyer: Tatsächlich sehe ich meine Arbeiten immer auch als Partituren. Was soviel bedeutet wie: „Ich schreibe mit dem Ohr.“ Wer seine Texte hören kann, der kann sie auch lesen. Das Flüchtige an der Performance reizt mich sehr. Dass sie nicht versucht, ein Werk zu konservieren, sondern vielmehr das lyrische Destillat im Moment selbst zugänglich machen möchte, und dem Text gleichzeitig dabei hilft, sich aufzulösen. Mich erinnert das ein bisschen an manche indianische Stämme, die viele Wochen lange Bilder aus Sand streuen, nur, um diese dann in einem einzigen Moment wieder zu verwischen.

Weigoni: Zur Beziehung unter den Performern. Für mich waren die glücklichsten Momente, wenn wir nicht nur miteinander gespielt haben, sondern zugleich auch mit dem Material und wenn das Publikum das auch noch mitbekommen hat, war’s ein perfekter Abend. Gibt es für Dich ähnliche „Wohlfühl“-Momente?

Reyer: Besonders gern habe ich Auftritte, in denen eine Art Dialog, sei es mit Musikern, sei es mit anderen Schreibenden, sei es mit Visuals- wenn sie nicht zu sehr illustrierend arbeiten- oder Live- Elektronik, stattfindet. Klassische Lesesituationen hingegen finde ich immer wahnsinnig unspannend. Ich kenne meine Texte ja schon und habe sie hunderte Male durchgehört. Warum sie also noch einmal vorlesen?

A.J. Weigoni / Philipp Bracht, Photo: Dieter Meth

Weigoni: Es gehört anscheinend zur Wiederholkultur. Bei meinen poetischen Performances habe ich mit den Kollegen nie geprobt, sondern mich auf die Musiker, den Ort, und nicht zuletzt die Zuschauer eingelassen. Sicherlich sind dabei Fehler entstanden, aber Fehler verzeiht das Publikum am ehesten, weil diese Ausrutscher menschlich sind. – Eine der schönsten Auftritte hatte ich mit dem Posaunisten Philipp Bracht, den ich fünf Minuten vor dem Auftritt kennen lernte und im Rheintor einen der beglückensten Auftritte hinlegte. – Darf man Poesie in dem entdecken, was man in sich selbst entdeckt?

Reyer:  Ich denke, spätestens seit John Cage stellt sich diese Frage nicht mehr. Wenn alles Musik sein kann, dann kann auch alles Poesie sein. Sei es, dass sie einem als kaputte Bierdose auf der Straße begegnet, und, ja, sei es, dass sie als Gefühlswellen im inneren Erleben auf und ab schwappt. Wer mit den Augen eines Dichters schaut, der kann überall Poesie entdecken. Und gleichzeitig kann er auch über diese Poesie lachen, sie entlarven, sie umdrehen, aber zärtlich und liebevoll.

Weigoni: Nuja, ein Jeder ist nur dann ein Künstler, wenn er dann denne danach lebt. Du verzeihst, wenn ich insistiere: Darf das innere psychische Geschehen nach aussen verbracht und Gegenstand der Poesie sein?

Reyer: Ich denke, dass es bei der Produktion künstlerischer Arbeiten immer beides braucht: Die absolute, schonungsloseste Art der Innerlichkeit und gleichzeitig das kühle betrachtende Auge von Außen.  Zwischen diesen beiden Punkten oszilliert das schreibende Subjekt. Gegenstand wird dabei immer das innere psychische Geschehen sein. Wir kennen ja nur uns selbst.

Weigoni: Öm’et auf Neudeutsch zu sagen: Inner-space; es sollte zumindest so sein. Und selbstverständlich das, was sich nach aussen stülpt.

Reyer: Erleben ist immer subjektiv. Meiner Meinung nach ist es besser, diese Subjektivität zu thematisieren, sie auch zu hinterfragen, als ein Konstrukt objektiver Wahrheit vorzuschieben, das so nicht existiert und nie existieren wird. Denn wir Menschen nehmen das Leben immer durch die Filter unserer eigenen Wahrnehmung auf. Andersrum aber sind wir auch nie ganz wir selbst- was auch immer das heißt-, denn wir haben Programme und Verhaltensweisen erlernt, sind sozial geprägt, gesellschaftlich geprägt und so fort. Diese Tatsache wiederum macht eine Distanzierung zur eigenen inneren Welt im künstlerischen Werk meiner Meinung nach notwendig.

Weigoni: Ein weiteres Nachhaken: Soll ausschliesslich das sprachliche Geschehen, die Chemie des Sprachmaterials Gegenstand der Poesie sein?

Reyer: Das Sprachmaterial hat sowieso immer auch ein Eigenleben. Zum Glück. In meiner Arbeit ist es eine Gratwanderung. Wie zähmt man die Worte, und wie lässt man sie gleichzeitig frei?

Weigoni: Nach meiner Erfahrung mit dem so genanneten Medium „Hörbuch“. „Wenn es Videoclips gibt muss auch die Literatur auf die veränderten medialen Verhältnisse reagieren.“, hatten wir in den 1990-ern postuliert. Es sind Literaturclips entstanden, die Sounds, Musikminiaturen, und Wortfelder beinhalten. Poetische Momente treffen auf industriellen Lärm, Licks auf Lyrik, Grooves auf Gebrummel. Gefragt ist die Idee pur ohne chemische Zusätze, der flüchtige Moment und kein bombastischer Furz. Künstler aus verschiedenen Sparten trafen aufeinander und arbeiteten zusammen, aber auch gegeneinander. Daraus entstehen Werkgruppen, die ineinander verflochten sind: Hörspiel als Bagatelle, Triviale Maschinen, Streetsounds, Hörspiel als Rough’n’Roll und das Hörspiel als Spiel.

Reyer: Das ist wie in einer Beziehung, ein Dialog eben zwischen dem Schreibenden und seiner Spielwiese aus Worten, Klängen, Bildern. Wenn der Dialog aufhört, wird es für mich umspannend. Wenn ich nur noch mein eigenes Konzept durchziehe, ohne auf das zu hören, was im Sprachmaterial angelegt ist, was es also in gewissem Sinne von mir „will“, dann verliert die Kunst ihre Spannung und ist nur noch Mittel zum Zweck.

Weigoni: Ist das dichtende Wort ein Produkt der Weigerung des Menschen gegenüber den Menschen wie der Herrschaft des Menschen über den Menschen?

Reyer: Das dichtende Wort bestimmter Dichter bestimmt. (Dieser Satz ist auch schon so was wie Dichtung, oder?)

Weigoni: Nie em Läwe würde ich mich als Dichter bezeichnen; eher als VerDichter!

Reyer: Was die Weigerung des Menschen gegenüber den Menschen betrifft, so weiß ich nicht, ob ich das in meiner eigenen Arbeit ausdrücken möchte. Ich denke, es ist eher umgekehrt: Ich möchte über meine Sprachversuche mit Menschen in Beziehung treten. Aber dass ich gegen die Herrschaft des Menschen über den Menschen anschreiben möchte, gegen jede Art der Herrschaft überhaupt – da steckt Herr drin, das ist mir alles zu stark männlich konnotiert und hat zuviel mit Macht zu tun – möchte ich unterstreichen.

Weigoni: Die Vorlage für eine Gender*Diskussion lasse ich mir als Cis-Mann entgehen und möchte abschliessend zum eigentlichen Thema Performance zurückkommen. Eine gute Performance hatte immerschon einen pflanzlichen Charakter, sie wächst im Kopf des Betrachters. Literatur ist somit nie abgeschlossen. Lässt sich so die Sinnfrage zwischen Bühne und Zuschauerraum im 21. Jahrhundert neu aufteilen?

Reyer: Auf jeden Fall, wie viele Beispiele im Theater-, Musik- und Performancebereich ja bereits gezeigt haben. Prickelnd und spannend finde ich es, wenn Sinn oder Bedeutung erst durch die Kommunikation zwischen Schauspieler und Zuschauer entsteht. Das skurrile Strategietheater Mimamusch beispielsweise thematisiert die Prostitution des Schauspielers direkt, indem es diesen im Rahmen eines Festivals jeweils nur einen Zuschauer „fangen“ lässt, vor dem dann gespielt wird. Fein finde ich auch Formate, die zum Mitbasteln anregen. In Moment arbeite ich mit der Gruppe „Sisyphos, der Flugelefant“ an dem Kindertheaterstück „Alle für Sarah“. Je nachdem, ob die jungen Zuschauer sich beteiligen oder nicht, ändert sich das Schicksal der Hauptfigur. Aber ich lasse mich auch von ganz klassischen, hierarchisch strukturierten Theaterabenden gern verzaubern.

Weigoni: Bedanke mich für das nachgeholte Kollegengespräch. Bussi, Baba!

 

 

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Prægnarien, Hörbuch von Philipp Bracht, Frank Michaelis und A.J. Weigoni. Eine limitierte Auflage von 50 Exemplaren ist versehen mit einem Original von Haimo Hieronymus. Edition Das Labor, Mühleim an der Ruhr 2013

Auf dem Cover finden wir paßgenau hingetuschte Porträts.

Hörproben → Probehören kann man die Prægnarien auf MetaPhon. Ein Video von Frank Michaelis und A.J. Weigoni hier.

 → Lesen Sie auch die Würdigung von Jens Pacholsky: Hörbücher sind die herausgestreckte Zunge des Medienzeitalters.

Weiterführend → Jeder Band aus dem Schuber von A.J. Weigoni ist ein Sammlerobjekt. Und jedes Titelbild ein Kunstwerk. KUNO faßt die Stimmen zu dieser verlegerischen Großtat zusammen. Last but not least: VerDichtung – Über das Verfertigen von Poesie, ein Essay von A.J. Weigoni in dem er dichtungstheoretisch die poetologischen Grundsätze seines Schaffens beschreibt.
PS: Nach dem Kollegengespräch über die Sparte Performance hat Sophie Reyer ihrerseits den Ball aufgenommen und hier zurückgespielt.