Matthias Kehle erhält den Thaddäus-Troll-Preis 2013. Der Förderkreis deutscher Schriftsteller in Baden-Württemberg (FdS) verleiht dem Karlsruher Schriftsteller und Lyriker diesen mit 10.000 Euro dotierten Preis für seinen Gedichtband Scherbenballett, der 2012 bei Klöpfer & Meyer erschienen ist.
In der Begründung der Jury heißt es: Matthias Kehle verdichtet Gesehenes, Gefühltes und Flüchtiges mit knapper und treffsicherer Sprache zu eindrücklichen Bildern. Durch Auslassungen und eine gekonnte Art der Zeilenbrechung ergeben sich auf engstem Raum Richtungswechsel und Vieldeutigkeiten. Kehles Gedichte brauchen keine großen Themen, sie sind Protokolle seiner Bewegungen in seiner Welt und seiner Blicke auf Momente mit ihrer je eigenen unerzählten Geschichte. Der lyrische Geist des leidenschaftlichen Bergwanderer, der einem breiteren Publikum durch seine Wanderbibel bekannt geworden ist, lässt sich für Augenblicke an oft völlig unspektakulären Orten nieder: neben einem Gipfelkreuz, in einem ICE, im Hotelzimmer, auf dem Weg in den Keller voller Erinnerungsfragmente. Kehle schaut aus dem Fenster, wandert durch die Stadt, ordnet das Erbe, hat die Wetterkarte im Blick und wartet auf den nächsten Sommer. Lyrischer Langeweile beugt Matthias Kehle mit feinem Witz vor, lächelnd liest man, was noch lange nachwirkt.
Mich wundert’s wie
Wunschbilder zu
Schlusslichtern werden
Dieser Lyriker hat eine Reife erreicht, die ihn locker in seinen Fundus greifen läßt. Kehle versenkt sich an oft ungewöhnlichen Erinnerungsorten tief ein in die Psyche des Badischen und entwirft dabei ganz nebenbei eine Kulturgeschichte der versunkenen BRD. Anwesend ist das Abwesende bei Kehle in der Bipolarität der unentzifferten Zeichen. Fesselnde Fiktion lebt vom Spezifischen, er kompiliert klug Zitate aus Forschungs– und Populärliteratur, Reportagen und historische Anekdoten. Als Flaneur entdeckt er auf neuen Wegen das Innere von Karlsruhe und Umgebung. Mit zergliederndem Blick beobachtet er Jogger und Fahrradfahrer. Daß ihm dabei jedes poetische Mittel recht ist und er selbstredend auch den Kalauer nicht verschmäht, demonstriert die Demut und völlige Dünkellosigkeit dieses Lyrikers. Für Proust bedeutet Erinnerung die Suche nach verborgenen Augenblicken des Glücks, für Kehle sind Erinnerungen gleichsam Sammellinsen für lyrische Stoffe. Dieser Lyriker ist ein Fraktalkünstler, das große Ganze setzt er aus eigenen Miniaturen zusammen und spiegelt ein lyrisches Ich in die Welt zurück.
Der Preis ist mit 10. 000 Euro dotiert und nach dem Mitbegründer des Förderkreises deutscher Schriftsteller in Baden-Württemberg Thaddäus Troll (1914 –1980) benannt. Troll hat sich Zeit seines Lebens nachhaltig für die Förderung von Schriftstellerkolleginnen und -kollegen eingesetzt. Der Förderkreis begrüßt es, dass der Thaddäus-Troll-Preis nach langer Zeit wieder an einen Lyriker vergeben werden kann. Der Preis war und ist als Förderpreis für solche Autoren gedacht, die mit ihren Werken eine breite Öffentlichkeit verdient haben, und die Jury des FdS ist sich einig, daß Matthias Kehle mit seinem bemerkenswert schön ausgestatteten Gedichtband, Scherbenballett, genau dorthin gehört – in die breite Öffentlichkeit.
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Poesie ist das identitätsstiftende Element der Kultur, KUNOs poetologische Positionsbestimmung.