Johann Georg Hamanns Geburtstag am 27. August 1730 den Veranstaltern ein Anlass, im Vorfeld der Magus Tage Münster 2013 noch einmal kurz über Hamann und Münster zu reflektieren.
Die Kutsche wartete schon vor der Tür des Hauses an der Ecke Alter Fischmarkt und Totengasse, heute Bült. Sie sollte ihn über Düsseldorf und Weimar, wo er Jacobi und Herder besuchen wollte, zurück nach Königsberg bringen. Doch Johann Georg Hamann, der berühmte Schriftsteller aus Ostpreußen, schaffte die Heimfahrt nicht mehr: am 21. Juni 1788 starb der „Magus in Norden“ fast achtundfünfzigjährig in Münster. Sein Grab befindet sich heute auf dem Überwasser-Friedhof, Teile des Nachlasses von Hamann liegen in der münsterschen Universitäts- und Landesbibliothek.
Der ostpreußische Querdenker in Münster
Im Brotberuf Übersetzer und Packhofverwalter am internationalen Königsberger Hafen, schrieb sich der Ostpreuße als Querdenker und als Kritiker der Aufklärung, zuvorderst seines lebenslangen Freundes Immanuel Kant, tief in die europäische Geistesgeschichte ein. Den „hellsten Kopf seiner Zeit“ nannte ihn Goethe. Mit diesem sprach die Fürstin Amalie von Gallitzin viel über Hamann, als er sie 1792 in Münster besuchte. Auf Einladung der Fürstin hatte der „Magus in Norden“ die mehrwöchige Reise auf sich genommen – um dann einen Großteil seiner Zeit in der Domstadt krank im Bett zu verbringen. Hamann wohnte am Alten Fischmarkt im Haus von Franz Kaspar Bucholtz, der wie die Fürstin für den Magus entflammt und sein Mäzen war. Durch eine mehr als großzügige Überweisung, die den Lebensunterhalt seiner Familie und die Ausbildung seiner Kinder auf Dauer sicherte, hatte er es Hamann ermöglicht, nach Münster zu kommen.
Nach einem Schlaganfall hatte der Magus ein „schiefes Maul“. Wasser in den Beinen machte ihm das Gehen fast unmöglich. Außerdem hatte er die Spätfolgen seiner sitzenden Lebensweise im Bauch und in den Knochen, eines Lebens als Genießer und Vielfraß, vor allem: als Bücherfresser. Ein Melancholiker war er zudem, der in keinem ihm adäquaten akademischen Beruf Fuß gefasst hatte. Sein Job am Hafen, den Kant ihm vermittelt hatte, ließ dem preußischen Beamten jedoch Zeit genug für‘s Lesen und Schreiben. An manchen Tagen tat er nichts andres, als prominente und abgelegene Publikationen auf seinem Amt am Lizent zu verschlingen, glühende Texte zu verfassen und Briefe über die brennenden philosophischen Fragen der Zeit an ferne Freunde wie Herder, Claudius, Lavater oder Jacobi zu schreiben. Fast erscheint seine Stelle wie ein bescheidenes Staatsstipendium, mit dem der Universalgelehrte und liebevolle, auf die Erziehung und Bildung seiner Kinder äußerst bedachte Vater seine Familie recht und schlecht unterhielt, die drei Töchter, den Sohn und seine Frau, mit der er ohne Trauschein zusammenlebte.
Schreiben als „Magus in Norden“
Als „Magus in Norden“ machten Hamann Intellektuelle des 18. Jahrhunderts zur Kultfigur. „Sauvage du Nord“, Wilder des Nordens, nannte er sich bisweilen selbst und bekundete damit, dass er sich der herrschenden Ideologie seiner Zeit, ihrem „Atheismus“, den philosophischen Systemen und dem preußischen Staat nicht integrieren wollte. Hamann identifizierte sich mit dem Titel des Magus, der ihm nach den „Magiern aus dem Morgenland“, den Heiligen Drei Königen und Weisen der Bibel, gegeben wurde, die den Stern über Bethlehem sahen und sich zur Krippe Jesu aufmachten. Im abendländischen Norden schreibt Hamann als Christ, als „Philologe des Kreuzes“, und wird darin „der vergessene Ursprung einer Bewegung, die schließlich die ganze europäische Kultur überschwemmte“ (Isaiah Berlin). Vielleicht wäre ohne Hamann die europäische Geistesgeschichte anders verlaufen. So wirkte er auf Herder, Goethe, Wackenroder und Tieck, auf von Arnim und Brentano, Jean Paul, Kierkegaard und Grillparzer, später auf Ernst Jünger, Johannes Bobrowski oder Günter Eich, auf Paul Wühr oder Oswald Egger, um nur einige zu nennen. Avancierten Autoren und Denkern seit 200 Jahren Fundgrube, Wetzstein und Inspirationsquell, ist Hamann dennoch einer der „großen Vergessenen der Kulturgeschichte“ (Schleiferboom), einer der großen Unverstandenen und Missachteten, wohl weil seine Texte nicht einfach zu lesen sind.
Hamanns Wirkung bis heute
Gerade deshalb aber hält die Wirkung des Magus noch heute an. Nicht trotz, sondern wegen seiner unangepassten Persönlichkeit und seines „schwierigen“ Schreibstils, der fasziniert und ansteckt, auch wenn, vielleicht gerade weil man nicht alles sofort versteht und dem Inhalt auch kritisch gegenübersteht – vor allem jedoch, weil die Probleme, an denen Hamann in seinen Schriften wie ein Hund an einem Markknochen nagte, nach wie vor aktuell sind: zuvorderst Probleme der Sprache und der Kommunikation. Und weil seine Kritik an der Aufklärung zieht, selbst wenn man ihren christlichen Horizont nicht nachvollziehen will. So hat Hamann Argumente der Aufklärungskritik des 20. Jahrhunderts hellsichtig vorweggenommen. Der Magus in Norden ist zugleich konservativ-protestantisch und progressiv, er steht mit einem Bein fest im christlichen Barock, während das andere ins 20. und 21. Jahrhundert, in die Moderne und Postmoderne spielt. Hamann, der Stotterer, der zahlreiche alte und neue Sprachen beherrschte, kann noch immer Diskussionen über die Sprache auslösen, der Miss- und Unverstandene, der die „dunklen“ Texte schrieb, Fragen über‘s Verstehen aufwerfen und der Christ eine kritische Reflexion der Aufklärung und des rationalistisch-materialistischen Welt- und Menschenbildes initiieren.
Magus Tage Münster 2013
Mit den „Magus Tagen Münster“ erinnert die GWK-Gesellschaft für Westfälische Kulturarbeit an Johann Georg Hamann, indem sie Kernprobleme menschlicher Existenz zum Thema literarischer Projekte und interdisziplinärer Gespräche macht. Vom 16. bis 20. Oktober 2013 geht es um’s Verstehen. „Dass alle gleich viel verstehen sollen, ist unmöglich; aber doch jeder etwas und nach seinem Maß, das er selbst hat und das ich ihm weder geben kann noch mag“, bemerkte Hamann einmal. Nichts ist so selbstverständlich und so universal wie verstehen. Wäre es das nicht, könnten wir nicht leben. Doch auf die Frage, welchen Gedanken, welches Erlebnis und welche Erfahrung wir mit dem Begriff artikulieren, geraten wir ins Stocken: Verstehen versteht sich nicht von selbst. Bei den Magus Tagen Münster 2013 besprechen renommierte Experten aus Literatur, Kriminologie, Philosophie und Theater, aus Neurowissenschaft, Sprachmittlung, Forensischer Psychiatrie und Soziologie auf dem Reflexionsstand heutiger Forschung und Praxis Sinn und Bedingungen, Formen und Grenzen des Verstehens. In allgemeinverständlicher Rede.
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Ein großer Gast der Stadt – Johann Georg Hamann und die 3. Magus Tage in Münster (16. – 20. Oktober 2013)
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