Radiohead Re:written

Britpop war eine Reaktion auf Grunge und Shoegaze und bot eingängigen Alternative-Rock mit Einflüssen von britischem Pop, Glam Rock und Indie-Pop. Die Bewegung brachte Bands wie Oasis, Blur, Suede und Pulp in den Mainstream und prägte die Cool Britannia-Ära.

Bislang habe ich mit großmäuligen Lads nichts anfangen können, die behaupten, sie hätten mit so genanntem Brit-Pop das Rad der Pop-Geschichte neu erfunden. Dank eines befreundeten Lehrers höre ich jedoch mit großer Freude die Combo Radiohead und besonders des Stück Everything in Its Right Place, mit dem melancholisch angehauchten Gesang von Thom Yorke.

Für eine Pop-Band ist die Herangehendweise zur Produktion bemerkenswert. Yorke schrieb Everything in Its Right Place auf dem Klavier. Radiohead arbeitete daran in einem herkömmlichen Bandarrangement, bevor er es auf einen Synthesizer übertrug. Damit hebt sich dieses Stück erheblich von anderen Pop-Produktionen ab, es verfügt über Synthesizer, digital manipulierten Gesang und für Rock über ungewöhnliche Taktarten.

NME verglich es mit elektronischer Musik, die mit „Minimalismus und allerlei Glitch-Gruseligkeit“ und „seltsam hymnischer Traumlandschaft aus Ambient-Keyboards“.

Everything in Its Right Place stellte eine Änderung des Stils und der Arbeitsmethoden von Radiohead dar und verlagerte sich hin zu einem – für eine Rock-Band – gewagten, experimentelleren Ansatz. Der Komponist Steve Reich interpretierte den Song für sein 2012 erschienenes Album Radio Rewrite neu. Steve Reich traf den Leadgitarristen Jonny Greenwood zum ersten Mal im September 2011 beim Sacrum Profanum Festival in Krakau, Polen, wo Greenwood mit dem Ensemble Modern Reichs Electric Counterpoint spielte. Reich war sehr beeindruckt von Greenwoods Leistung und seinen vielfältigen Interessen als Komponist und Bratschist. Über Greenwoods Partitur für den Film There Will Be Blood sagte Reich:

Hier ist ein Typ, der auf Messiaen steht. Ich hätte nie gedacht, dass es von einem Rocker geschrieben wurde.

Nach dem Festival erkundete Reich zum ersten Mal die Musik von Radiohead. Er beschrieb sie als „eine wichtige und innovative Rockgruppe“ und „definitiv eine der besten Bands überhaupt“ mit „wunderschönen“ melodischen Elementen. Zwei Lieder waren ihm besonders einprägsam: Everything in Its Right Place aus dem 2000er Album Kid A und Jigsaw Falling into Place aus dem 2007er Album In Rainbows. Reich beschrieb „Jigsaw“ als „ein wunderschönes Lied“ mit „ausgefeilter harmonischer Bewegung“. Und er beschrieb Everything in Its Right Place als „sehr reichhaltig … sehr einfach und sehr komplex zugleich“. Auch er bemerkte die ungewöhnliche harmonische Bewegung des Liedes:

Es war ursprünglich in f-Moll und es kommt nie auf einen Akkord an, der f-Moll-Akkord wird nie angegeben. Es gibt also nie eine Tonika, es gibt nie eine Kadenz im normalen Sinne.

Reich bemerkte auch, dass das Wort Everything der Dominante und der Tonika folgt: „Die Tonika und die Dominante sind das Ende jeder Beethoven-Symphonie, das Ende von allem in der klassischen Musik … Ich bin sicher, Thom hat es intuitiv getan, und „ich bin mir sicher, dass er nicht darüber nachgedacht hat … aber es ist perfekt, es ist alles.“

Wenn man sich die krämpfigen Versuche aus Rock meets Classic vor Ohren führt, ist diese Grenzüberschreitung zwischen Rock und Minimal-Music von großem Respekt und künstlerischer Neugier geprägt. Hier ist etwas seltenes entstanden: Neues.

 

 

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Radio Rewrite, von Steve Reich, 2012

In Rainbows, von Radiohead, 2007

Kid A von Radiohead, 2000

Weiterführend Punk ist eine Cover-Version des Rock’n‘Roll, der Style und die Haltung sind ebenso wichtig wie die Musik. Wir verorten auf KUNO die erste Punk-LP mit dem Bananenalbum. Oder war es doch eher der Garagenrock? – Lässt sich von MC Five (Motor City Five) oder den Stooges der verschwitzte Proto-Punk der New Yorker Proll-Combo ableiten? Oder hatte der testosterongesteuerte Punk gar eine Ur-Mutter? Würden das die Nerds unter den Musik-Kritikastern überhaupt zugeben? – Der Titeltrack des Albums ist der mit Abstand spektakulärste und zeitloseste Titel des Album. Bis heute ist Blank Generation der Song, der wohl größer ist, als die Band, die ihn produziert hat. Dies ist das beste Album, das die Buzzcocks nie gemacht haben. Kaum ein Song beschreibt den beginnenden britischen Punk besser als „Oh Bondage Up Yours!“. Es ist ein Zeichen von Chuzpe, wenn sich eine von Männern dominierte Szene, eine Combo von Frauen The Slits nennt. Waren die Pistols die erste Boy-Group? Johnny Rotten predigte Anarchie, The Pop Group praktizierte sie. PiL has his future in a British Steel. Klingt die Trostlosigkeit des Rust Belt nach Punk oder Industrial Folk? Eine weitere Seitenbemerkung über den Industrial-Punk der Nine Inch Nails aus Cleveland, Ohio. Tuxedomoon entwickelten einen experimentellen Sound, der seltsamer war als der ihrer Zeitgenossen aus den 80ern, indem er Jazz und hypnotisierende Elektronik auf eine Art und Weise einbezog, sie spielten einen hypnotischen Synth-Punk. Eine Würdigung der südafrikanischen Tekkno-Punks Die Antwoord. – Gegen Fresh Fruit for Rotting Vegetables hört sich alles andere wie Pop an. Retten kann uns die Schönheit der Tenorstimme des Punk. Zu Monarchie und Alltag gibt es einen Bericht zur Lage der Detonation. – Polka trifft auf Punk und möglicherweise waren es die Violent Femmes, die den Gitarren-Schrammelpunk erfunden haben. Weitere ungelöste Fragen: Stellen die The Ruts mit einem Album das Lebenswerk von The Clash in den Schatten? Wann hört der Substance von Punk auf? Wann beginnt der Post-Punk? Ist das bereits New Wave? Oder stellt Polyrythmik den Höhepunkt dar? Die Alben von Wire stellen in beeindruckender Weise dar, was aus Punk eigentlich hätte werden können.