Was ich schon lange sagen wollte. Ein Plädoyer für die Kurzgeschichte.

Der Weg ist einfach, wenn du klug genug bist, mit leichtem Gepäck zureisen.

Alice Munro, aus: „ Tricks“ 2004

 Lange hat es gedauert, bis die Schriftstellerin Alice Munro (*1931) nicht nur in ihrer kanadischen Heimat mit ihren Kurzgeschichten ernstgenommen wurde (Griller Prize), sondern auch für ihr Lebenswerk das sie diesem Genre gewidmet hat, mit der höchsten Auszeichnung, dem Literatur-Nobelpreis 2013, bedacht worden ist.

Back in the 1950s and 60s, when Munro began, there was a feeling that not only female writers but Canadians were thought to be both trespassing and transgressing. Munro found herself referred to as ’some housewife‘, and was told that her subject matter, being too ‚domestic‘, was boring. A male writer told her she wrote good stories, but he wouldn’t want to sleep with her. ‚Nobody invited him,‘ said Munro tartly. When writers occur in Munro stories, they are pretentious, or exploitative of others; or they’re being asked by their relatives why they aren’t famous, or – worse, if female – why they aren’t better-looking.

Margaret Atwood

Literaturkritiker und wie es scheint auch die Verlage, betrachten Kurzgeschichten noch immer als eine Art Übungsform für den Roman- quasi als die kleine Schwester der „großen Erzählform“. Die Entscheidung fiel damit nicht nur für die Autorin, sondern auch für die Würdigung der Form der Erzählung.

Wird die Nachfrage allgemein nach Erzählbänden – und nicht nur das Dutzend der Nobelpreisträgerin – nach der noblen Würdigung steigen dürfen?

Die Kurzgeschichte, wie sie begrifflich heute im deutschsprachigem Raum verwendet wird, wurde in der Zeit nach dem zweiten Weltkrieg wesentlich von der amerikanischen short story beeinflusst. Diese kam um 1820 in Amerika auf und griff damals selbst auf die europäischen Kurzformen wie Novelle, Anekdote, Kalendergeschichte und Essay zurück. Während sich also im amerikanischen Raum die Kurzerzählung großer Beliebtheit erfreute und auflagenstark in Magazinen, Zeitschriften und Anthologien begünstigt und gefördert wurde und innerhalb weniger Jahre zur beliebtesten literarischen Gattung in England und den USA aufstieg, befand/befindet sich die deutschsprachige Kurzgeschichte in einem Konkurrenzkampf zu anderen traditionellen Erzählformen, allen voran dem Roman.

Mir scheint, dass sie sich einmal für die Form der Story entschieden hat, weil sie diesen festen Boden braucht, um sich ganz und gar den menschlichen Eigenheiten und Abgründen stellen zu können.

Ingo Schulze

Der O. Henry-Preis, ein jährlich vergebener großer Literaturpreis für englischsprachige Kurzgeschichten, der nach dem gleichnamigen amerikanischen Schriftsteller benannt wurde, wird seit 1919 (!) verliehen. Ein angemessenes Anerkennungspendant für deutschsprachige Kurzgeschichten gibt es nicht, wenngleich mittlerweile sehr viele kleinere und größere Literaturpreise versuchen, aufgesplittert und auf den deutschsprachigen Raum verteilt, ähnliche Pionierleistungen zu leisten, wie bereits vor knapp 100 Jahren in Amerika. Doch ziehen die Verlage bei uns noch nicht so mit  wie im angelsächsischen Raum. Einen Erzählband als Debütwerk vorlegen gelang z.B. einer Judith Hermann 1998 (Sommerhaus, später) für den sie den Kleist-Preis und zwei weitere Preise bekam. Diesem Band folgte 2003 der Erzählband „Nichts als Gespenster“ von dem einzelne Geschichten 2007 für das deutsche Kino verfilmt wurden. Auch der dritte Band der 1970 in Berlin geborenen Autorin, „Alice“ , ist ein Erzählband und erhielt den Friedrich-Hölderlin-Preis. Tritt diese Judith Hermann, die eine große Verehrerin und Kennerin von Alice Munros Texten ist, im europäischem Raum in deren Fußstapfen, wird es ihr und ähnlich guten Kurzgeschichten-SchriftstellerInnen gelingen, auch die Verlage zu überzeugen, die Kurzgeschichten-Renaissance im deutschsprachigem Raum bedürfnisgerecht für die Leser und Leserinnen mitzutragen?

Werden die deutschsprachigen Verlage eine Reaktion auf diesen literarischen Markstein zeigen und mit einer Wendung reagieren?

Wer noch immer dazu neigt, den Erzählband als „Zweitbuch“ aufzulegen, anstatt in Zeiten der Schnelllebigkeit, in Zeiten der großen medialen Konkurrenz, in Zeiten in der geistige Nahrung – die Bildung über das Wort – nicht zum berechtigten Erstbuch werden lässt für die DebütantInnen unter den Autoren und Autorinnen ebenso wie für zunehmend interessierte Leser und Leserinnen, wird die Schere nicht zweischneidig schließen: der Konkurrenz zu schnelllebigen Medien wie z.B. dem e-book genauso etwas entgegen zusetzen wie dem „quality fastreading“, dem Hunger nach besonderen anregenden kurzen Leseeinheiten.

Was macht eine gute Kurzgeschichte aus, was hebt diese moderne literarische Form der Prosa von anderen Erzählungen ab?

Als Merkmale gelten Alltagsnähe, ein unvermittelter Anfang, meistens auch ein abrupter offener Schluss der keine eindeutigen Lösungen wie im Roman anbietet, das Erzählte zeigt analog einer Szene im Film einen Ausschnitt aus einem nicht erzähltem größerem Zusammenhang. Gerade die Kunst der Auslassung ist es, was dieses Genre als auch den in diesem Metier gewandten Schriftsteller ausmacht. In diesem Sinne bin auch ich bereits am Schluss angelangt und ende mit Anton Tschechow, der meinte: Je mehr du kürzest, desto häufiger wirst du gedruckt.

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Überblick über die deutschen Feuilletonrezensionen von Alice Munros Büchern finden Sie bei den Kollegen vom Perlentaucher.