Ein wichtiges Buch, ein berührendes Buch, ein großartiges Buch, ein gut geschriebenes Buch. Gerade durch seine Einfachheit und Schlichtheit; ohne jedes Pathos, obwohl es vom Leiden handelt, von der Stigmatisierung einer Menschengruppe, von Menschen, die vom nationalsozialistischen Rassenwahn zu „Untermenschen“, ja zu „Ungeziefer“ erklärt wurden, von burgenländischen Österreichern, von seit Jahrhunderten im Burgenland ansässigen Roma.
Ein Buch, in dem die schrecklichen Leidenstragödien bei den wenigen Überlebenden des auch an den Roma und Sinti verübten nationalsozialistischen Völkermordes, streiflichtartig erhellt, für kurze Zeit aufleuchten. Sie werden anhand von Einzelschicksalen der Überlebenden (von ca. 360 Personen nur ein Dutzend) aus der ehemaligen Oberwarter Roma-Siedlung geschildert, deren Familien systematisch ermordet worden waren. Dennoch sind diese Überlebenden in ihre Heimat zurückgekehrt, wo sie dann wiederum jahrzehntelang so wie vorher „ausgegrenzt“, d.h. gedemütigt, verachtet, entwertet, unerwünscht abgeschoben wurden, an den Stadtrand. Neben der rauchenden und stinkenden Mülldeponie, in miserablen Unterkünften mußten sie hausen, im sozialen Ghetto, im Elendsquartier, im Niemandsland; in einem neuerlichen harten und demütigenden Überlebenskampf. Das ist die Schuld des Mehrheitsvolkes, der Bevölkerung, der Stadt Oberwart, des Burgenlandes, der Regierung, überhaupt jene der Republik Österreich.
Ein Erinnerungsbuch, ein Gedenkbuch; in liebevollem Verbundensein mit dem eigenen Volk geschrieben. Das Buch eines zutiefst Betroffenen, auch durch den gewaltsamen Tod seines Sohnes infolge des Bombenattentats vom 4. Februar 1995. Die Großeltern samt ihren Geschwistern, Verwandten, Freunden waren in den Konzentrationslagern ermordet worden, der Vater hatte sechs Jahre in verschiedenen KZ überlebt. Alle Zurückgekehrten waren lebenslang Opfer der rassistischen Unmenschlichkeit und der erlittenen Leiden. Sie waren von schwersten Traumata aus ihrer KZ-Zeit stigmatisiert. Und das bestimmte ihr weiteres Leben. Da ist das, was mit dem Wort „Wiedergutmachung“ alles an Verlogenheit abdeckt wird, eine einzige Verhöhnung. Und jene, die einst beim Abtransport der etwa 360 Roma aus der Oberwarter Roma-Siedlung unter fanatischen „Heil-Hitler!-Rufen“ geklatscht und die Roma angespuckt hatten, die saßen „nachher“ noch immer genauso wohlbestallt und unbehelligt in ihren Häusern, in ihren Ämtern, an ihren Schreibtischen, an ihrem Arbeitsplatz; sie alle waren hochangesehene Bürger dieser Stadt. So wie das überall war. Der Krieg war zwar verloren, Millionen waren in den KZ umgebracht worden, aber das Nazi-Gedankengut und der Rassismus hatten überlebt und verbreiteten sich weiterhin wieder. Nein, ein neues Österreich wurde nicht aufgebaut, ein neues Österreich ist nicht entstanden, das gibt es bis heute nicht.
Das sind jetzt meine Gedanken, das ist mein Urteil. Der Buchautor spricht nicht direkt davon, er klagt nicht an, nein, er läßt diese Bitterkeit nur zwischen den Zeilen durchschimmern, sie kommt aber hoch, sie ist da in ihm, auch als Verstörung. Aber er rechnet nicht ab und keine Schuld auf. Er zeigt jedoch an den Einzelschicksalen und deshalb umso eindringlicher und berührender auf, wie dieses Ineinanderverwobensein von NS-Ideologie und gewöhnlichem Alltagsrassismus – im konkreten Fall gegen „die dreckigen Zigeuner, die der Hitler vergessen hat zu vergasen“ (so eine Stimme aus der Nachkriegszeit) – weiter bestand; und den Nährboden aufbereitete, auf dem dann die Briefbombenattentate eines Franz Fuchs geschehen konnten. Und doch erstarrt der Autor nicht in Verbitterung, sondern schreibt dieses Buch und ruft darin auf zur Versöhnung, weil er selbst ein bewundernswerter Versöhnungsmensch ist.
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Atsinganos – Die Oberwarter Roma und ihre Siedlungen von Stefan Horvath, edition lex liszt, Oberwart, 2013