Rosenkavalier Unchained

Der Wagner-Kenner Christoph Waltz wird im Dezember in Antwerpen Richard Strauss’ Rosenkavalier inszenieren. Diese Oper gilt als süssliches Schmankerl für Stimmfetischisten und Ausstattungs–Kulinariker, in dem Richard Strauss und sein Librettist Hugo von Hofmannsthal sich ein ziemlich artifizielles Maria–Theresia–Wien herbei träumten und der Komponist seinen Hut tief vor Mozart, besser gesagt vor seinem Verständnis von Mozart zog. Im FAZ-Gespräch mit Eleonore Büning entpuppte er sich als eifriger Operngänger, der auch Neue Musik nicht scheut – wohl aber ein allzu krasses Regietheater:

Ein Regisseur muss erst mal eine Geschichte erzählen wollen. Dass das schiefgehen kann, ist erlaubt, und manchmal ist es sogar gut. Wenn ich aber eine andere Geschichte erzähle, als die von Strauss und Hofmannsthal, dann brauche ich ja nicht unbedingt deren Stück herzunehmen, nur, damit ich was zum Verbiegen habe! Dann kann ich doch gleich meine eigne Story erfinden.

Hofmannsthals Libretto zum Rosenkavalier lehnt sich an den Roman Die Abenteuer des Chevalier Faublas von Jean-Baptiste Louvet de Couvray und Molières Komödie Der Herr aus der Provinz an.

Die handelnden Personen hat Hofmannsthal als dramatische Figuren geschaffen, sie stehen dem Menschen näher als der Theaterfigur herkömmlicher Art. Die Personen entstammen dem französischen Roman und haben Vorbilder in den Figuren der italienischen Commedia dell´arte. Sie sind aber nicht mehr nur reine Typen wie dort und stehen außerdem in einem engen Beziehungsgeflecht. Die Menschennähe der Hofmannsthalschen dramatischen Figuren spricht daher den Zuschauer sehr stark an und lässt ihn mitfühlen. Hofmannsthal schildert später in einer Rückschau die Anfänge des „Rosenkavalier“ folgendermaßen:

Die Gestalten waren da und agierten vor uns, noch ehe wir Namen für sie hatten: der Buffo, der Alte, die Junge, die Dame, der ‚Cherubin‘. (…) Aus dem ewig typischen Verhältnis der Figuren zueinander entsprang die Handlung, fast ohne daß man wußte, wie. Einer braucht den andern, nicht nur auf dieser Welt, sondern sozusagen auch im metaphysischen Sinn. (…) Sie gehören alle zueinander, und was das Beste ist, liegt zwischen ihnen: es ist augenblicklich und ewig, und hier ist Raum für Musik.

Hofmannsthal schuf jedoch menschennahe Figuren mit menschlichen Zügen, mit Humor, mit einem gewissen Schicksal, mehr als er vielleicht selbst ahnte, durch seine Sprachkunst, die er den Figuren in den Mund legt. Daher steht der Zuschauer der Handlung und den Figuren nicht gleichgültig gegenüber. Man nimmt als Zuschauer Anteil am Bühnengeschehen, wie nur bei ganz wenigen Stücken. Darin mag das Geheimnis des Erfolgs und der Liebe der Zuschauer diesem Meisterwerk der Musikbühne gegenüber bestehen. Hofmannsthal erfand für dieses Stück eine eigene Sprache, die dem wienerischen Dialekt nahe steht. Der Text selbst gehört heute zur Weltliteratur, und das ist unter den Texten (Libretti) für die Musikbühne sehr selten.

Hofmannsthal betonte auch, dass der Text nicht versuchen wolle, die historische Zeit des Rokoko wieder auferstehen zu lassen:

Vielmehr sei „mehr von der Vergangenheit in der Gegenwart als man ahnt. Dahinter war der geheime Wunsch, ein halb imaginäres, halb reales Ganzes entstehen zu lassen, dies Wien um 1740, eine ganze Stadt mit ihren Ständen, die sich gegeneinander abheben und miteinander mischen, mit ihrem Zeremoniell, ihrer sozialen Stufung, ihrer Sprechweise oder vielmehr ihren nach den Ständen verschiedenen Sprechweisen, mit der geahnten Nähe des großen Hofes über dem allen, mit der immer gefühlten Nähe des Volkselementes.

Der Rosenkavalier ist ein Gegenwartsstück, bezogen auf das Österreich der Zeit um 1910. Es lässt sich als Kritik auf die Sitten der Donaumonarchie lesen – der Hofmannsthal selbst aber doch anhing – oder als eine Apologie des heiligen Ehestandes: Im Stück verborgen liegt eine konservative Tendenz, die Verkommenheit des Ehebrechers und Lüstlings zu entlarven und zu demontieren, um am Schluss die eheliche Liebe triumphieren zu lassen. Sophie betet vor der Ankunft des Barons zu Gott: „Die Mutter ist tot und ich bin ganz allein. Für mich selber steh ich ein. Aber die Ehe ist ein heiliger Stand“. Das Verhältnis zwischen Liebesrausch und ehelicher Bindung ist im Stück selbst nicht so eindeutig, wie es den Anschein hat; der junge Octavian trägt auch gewisse Züge des Lüstlings Baron Ochs; Sophie ist keine keusche Braut, sondern lässt sich verführen, obwohl sie zur Ehe versprochen wurde. Ob die Ehe zwischen Sophie und Octavian am Ende tatsächlich geschlossen wird, bleibt offen. Hofmannsthal selbst machte einmal die Aussage, was er über die Ehe zu sagen habe, habe er in seinen Komödien gesagt. Für ihn war die Ehe das christliche Sakrament. Diese Aussage sollte der Ansatz zur Deutung des Werkes sein. Christoph Waltz über seinen Ansatz:

Was man jeden Tag im Fernsehen sehen kann, finde ich, ist noch viel mehr erfundene Zeit und erfundene Situation. Ich denke mir, wir können heute schon ganz gut damit umgehen, dass etwas erfunden ist oder, besser gesagt, wir haben mit dem Erfundenen mittlerweile mehr Erfahrung als mit dem Nicht–Erfundenen. Das ist alles unwirklich im „Rosenkavalier“, ja, aber es ist eben auch Theater. Und noch mal zum Unterschied zwischen Theater und Oper: Bei einem Text kann man immer sagen, dass wir etwas zwischen den Zeilen lesen. Wir fragen uns als Schauspieler: Was lasse ich durchscheinen? Und so weiter.  Das ist nicht nur durch Betonung oder Phrasierung oder Dynamik zu erzielen, das ist eine gedankliche Sache. In der Oper aber kann man gleich mithören, was da zwischen den Zeilen passiert. Man kann in der Musik sogar zugleich Gegensätzliches hören!

Ein weiterer Ansatz ist das Faktum „Zeit“. Hofmannsthal lässt die Feldmarschallin über die Zeit reflektieren, wie sie dahinfließt und was sie bewirkt, im Schicksal des Menschen und im Menschen selbst.

***

Mehr Informationen auf der Hompage der Oper Antwerpen.