Ein Sonettband von Ralf Meyer und Werner Makowski
Es gibt sie noch, und angesichts eines sich an seinem eigenen Gehechel gern überkullernden Literaturbetriebs wirken sie oft wie ein Wunder: anspruchsvolle, leuchtende Gedichte, die den Spagat zwischen den Zeiten wagen, der Gegenwartskultur in eine zeitlose Würde helfen, ohne ihr um des Auffallens um jeden Preis willen gedrechselte Hörner aufzusetzen. Mit ihren „Sonetten bei den Brombeeren“ ist es Ralf Meyer und Werner Makowski gelungen, die Höhe ihres jeweiligen Tons mit der Eingängigkeit schöner und frappierender Verse in eine Waage zu bringen, wie sie in der momentanen Lyrikszene ihresgleichen sucht.
Fernab jedes unnötigen Wortgekrümels findet sich auf 80 Seiten nicht allein das Zeugnis einer Freundschaft in Form eines ‚Zweidichterbuchs‘, es werden zugleich auf eine so kluge wie unnachahmliche Weise die Geschichten zweier Lieben erzählt, die sich in den Gebresten der Jetztzeit auf der Suche nach Halt und Sinn zu bewähren haben. Beiden Autoren stehen dafür jeweils 22 Texte zur Verfügung, die einmal Bogen, Schwebe, aber auch Feuerproben einer Beziehung beschreiben. Dezent und zugleich altmeisterlich mit Aquarellen von Frank Hauptvogel bebildert, ergibt sich so in der Synthese der drei beteiligten Handschriften ein literarisches, nicht zuletzt auch ein verlegerisches Kleinod.
Der Auftakt, aufgrund dessen dieses Buch entstand, ist dabei so einleuchtend wie reizvoll –es entspringt der Vision eines ihrer Verfasser: „Im Traum fügte sich zusammen, was bei wachem Bewußtsein getrennt bleibt. Ich befand mich in einer Bibliothek der Zukunft. Ich zog einen schmalen Band Gedichte aus einem Regal. ‚Anonymus – Die Brombeer-Sonette‘ stand auf dem Umschlag. Ich öffnete das Buch und las die erste halbe Zeile des ersten Gedichts.“ Die Verse des Traums, im Zustand der Wachheit nicht festzuhalten, mussten nachgebildet werden: ein Unterfangen, auf das sich Meyer und Makowski verständigten und das sie über eine Reihe von Jahren beschäftigen sollte.
Von 2003-2012 entstanden die Texte, Frank Hauptvogel stieg in die Arbeit 2011 ein, sein Beitrag bildet eine Auswahl aus einer Vielzahl Blätter. Während sich Meyer in seinem Part mit der Erfüllung der anspruchsvollen Form in den klassischen Maßen des romanischen wie des Shakespeare-Sonetts übt, hat Makowski für seinen Umgang mit dem Königsgedicht eine eigene Form entwickelt – seine Texte variieren die formalen Vorgaben und erzeugen so eine neue Facette des – inhaltlich wie metrisch – vorgegebenen Dreiklangs, spielerisch und ernst in einem. Vom Erfolg und der Kraft des Zusammenklingens beflügelt, verabredeten die drei ein weiteres Buchprojekt, das mittlerweile entsteht.
Die Rede in diesem beeindruckenden Texten, die sich großen Vorbildern schulen, ist dabei sowohl vom Erwachen wie vom Erhalten der Liebe; Leichtes und Frivoles schlagen dabei einen Kreis wie auch die Sichtung der Furcht vorm Verlust, der Nicht-Erfüllung der Träume. Dem Verlust des Erträumten wird etwa das Halten des Erreichten entgegengesetzt, ohne damit ins Schrebergartenhafte abzugleiten; die Welt der Gegenwart wird nach ihrer Tauglichkeit gewogen, das Bestehen auf Hoffnung und ‚edle Größe‘ geprüft. Die Pole werden im Maß gehalten und gleichen sich aus, das Korsett dieses Sprechens bietet ein Gerüst in ungewissen Jahren wie Raum für Desillusion („Das Wesen dieser Zeit macht uns verdrossen“), ohne von der großen Voraussicht fürs Künftige („Zum Beispiel fordern wir das Glück für alle!“) zu lassen. Das Sonett, das den ‚goldenen Schnitt‘ versinnbildlicht, hebt in seinem Dreischritt die Zeit-Anbrandung auf, zugleich befindet es sich und bewegt sich doch folgerichtig in der Ära, in der es seinen Niederschlag hat.
Es berührt und verwundert, wie souverän beide Dichter das fordernde Sonett-Maß in die Gegenwart transferieren und gleichsam eine Einladung an alle Liebenden und Schreibenden aussprechen, sich selbst in ‚Brombeersonetten‘ zu versuchen. Ausgehend von jenem Traum, der den ersten Vers des Buches gibt („Wann Sommer ist? Wenn man nicht schlafen kann“), haben Ralf Meyer und Werner Makowski ein Buch vorgelegt, das durch Liebe gehalten ist und, bei aller Zumutung, auf Schönheit besteht. Eine weniger ‚verdrossene‘ Zeit hätte dafür längst den Ehren-Titel „Gedichtband des Jahres“ vergeben.
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Sonette bei den Brombeeren von Ralf Meyer · Werner Makowski. Mit achtzehn Aquarellen von Frank Hauptvogel. Mitteldeutscher Verlag 2013
Weiterführend → Lesen Sie auch das KUNO-Porträt des Lyrikers André Schinkel.
→ Poesie zählt für KUNO weiterhin zu den identitäts- und identifikationstiftenden Elementen einer Kultur, dies bezeugte auch der Versuch einer poetologischen Positionsbestimmung.