Literatur und Schicksalhaftigkeit

Laudatio auf den Roma-Schriftsteller Stefan Horvath aus Oberwart im Burgenland/Österreich zur Verleihung des „Roma-Literaturpreis des Österreichischen PEN – zum Gedenken an Ceija Stojka“, bei der Buch Wien.

Wer ist Stefan Horvath, und was ist und bedeutet seine Literatur; für ihn, für uns? Er ist ein Gezeichneter, einer, den das Schicksal geschlagen und hart getroffen hat, sowohl ganz persönlich (durch den gewaltsamen Tod eines seiner Kinder) als auch dadurch, daß er als Rom nicht nur der Kulturgemeinschaft, sondern vor allem der Schicksalsgemeinschaft seines Volkes der Roma angehört. Seine Eltern waren sechs Jahre in verschiedenen KZ, haben diese überlebt. Von den fast zehntausend österreichischen Roma haben etwa 500 überlebt, von den etwa 360 Roma aus Oberwart sind 17 Überlebende „heimgekehrt“. Die Einen waren ermordet worden oder in den KZ umgekommen, die Anderen, die wenigen Überlebenden, waren für ihr ganzes weiteres Leben, das sie wiederum nur als Ausgegrenzte, als Zigeuner führen durften und konnten, stigmatisiert und traumatisiert. Aber man richtete sich eben wieder ein im Leben, im Alltagsleben, so gut es halt ging.

Stefan Horvath wurde 1949 in Oberwart geboren; er wuchs auf in der dortigen Roma-Siedlung am Rande der Stadt auf; in einem Land, in dem es – so wie fast überall – weder Mitleid noch Unterstützung noch Respekt für die Roma, für ein durch den Holocaust fast ausgelöschtes Volk gab. Nein, ganz im Gegenteil! Der Krieg war zwar beendet, aber die NS-Rassenideologie lebte zutiefst verwurzelt weiter in den Köpfen und Seelen viel zu vieler. Und die Vergangenheit wurde mit einem alles überdeckenden Schweigen, mit einem Verschweigen, mit einem Totschweigen zugedeckt. Und die Mörder und Rassisten lebten weiter mitten unter uns. Man baute alles materiell Zerstörte wieder auf, mit ihm auch eine Scheinwelt. Die Einen waren nirgendwo dabeigewesen, die Anderen, die Opfer, kämpften nach dem Überleben um ihr Weiterleben. Sie blieben allein (gelassen) mit ihrem Schicksal, allein in ihrer Trauer, in ihrem Schmerz. Die Einen verdrängten die Wahrheit und ihre Schuld, die Anderen, die Opfer, verdrängten ihr Schicksal, um weiterleben zu können. Und alles war fast so, als wäre vorher nichts geschehen.

„Der 4. Feber 1995 hat mich aus meiner Schweinwelt gerissen“ – schreibt Stefan Horvath im Vorwort zu seinem ersten Buch „Ich war nicht in Auschwitz“ (2003). Und fährt wie folgt fort: „Bei diesem mörderischen Anschlag wurde auch ein Kind von mir getötet und beim Anblick der vier Opfer ist mir klar geworden, dass mich meine Vergangenheit eingeholt hatte. Eine Vergangenheit, die ich jahrelang verdrängt hatte. … Und seit diesem Augenblick glaube ich auch die Stimmen der Toten meiner Volksgruppe zu hören, die in den Konzentrationslagern umgekommen sind. Menschen, die ich nie kennen lernen durfte, weil sie im Dritten Reich erschlagen, vergast und verbrannt wurden. … Und all diese Geschichten und Gedichte, die ich seither schreibe, sind eigentlich die Geschichte und das Leiden meiner Volksgruppe während der NS-Zeit und bis heute, … Ich bin das Sprachrohr der Toten geworden … .“

Das also ist die Selbstsicht und die Selbstbezeichnung von Stefan Horvath; eines bisher jahrzehntelang handwerklich Tätigen, der durch ein einziges Ereignis, durch einen schweren Schicksalsschlag, der ihn schlagartig aus einer Scheinwelt herausreißt, zur Literatur kommt. Und es ist keine „Erinnerungsliteratur“ im üblichen Sinn, die er verfaßt. Nein, seine Literatur ist von dieser persönlichen und kollektiven Schicksalhaftigkeit seines Volkes zutiefst geprägt. Ja, das ist überhaupt der einzige Anstoß zur Literatur und sein einziges Anliegen zugleich. Es geht ihm darum, ein eindrucksvolles und bleibendes Zeichen zu setzen gegen das Vergessen und für alle Zukunft; vor allem auch für die Jugend. Und es geht auch darum, der Opfer zu gedenken; auch jener Opfer, die zwar überlebt, aber die doch nicht ein solches Leben gehabt haben, wie sie es gehabt hätten ohne ihre schrecklichen KZ-Erlebnisse und deren Folgen. Und es geht auch darum, die Stimme gegen jede Art von Rassismus zu erheben und nicht nur für Toleranz, sondern für Anstand, Gleichberechtigung und Respekt, für die Menschenrechte zu kämpfen und darauf hinzuweisen, daß diese unverzichtbar mit Menschenwürde und auch mit einem Rechtsstaat verbunden sind.

Stefan Horvath tut dies mit seiner Literatur. Und er tut es mit Entschiedenheit und zugleich mit höchster Sensibilität. Er tut es berührend und bewegend. Er tut es aber auch und vor allem als ein wirklicher Dichter und Schriftsteller. Seine Literatur wird allen Anforderungen, die man unter einem Qualitätsanspruch an Literatur stellt, gerecht. Er ist ein Schriftsteller, der gerade in seiner mit aller tragischen Schicksalhaftigkeit verbundenen Literatur niemals in hohles Pathos abgleitet, sondern der schreibt, was ihn bewegt und ihm auf der Seele lastet. Und das ergreift uns und bewirkt auch etwas; und zwar nicht nur Empathie. Stefan Horvath ist ein Schriftsteller, dem auch wir etwas schulden, mehr als nur unsere Anerkennung. Aber als sichtbares Zeichen doch auch für diese, verleiht ihm der Österreichische P.E.N.-Club, eine weltweite Menschenrechtsbewegung von Dichtern und Schriftstellern, im Gedenken an ihr PEN-Mitglied, die in diesem Jahr verstorbene Roma-Künstlerin, die Sängerin, Dichterin, Malerin, KZ-Überlebende, Zeitzeugin, Menschenrechtsaktivistin Ceija Stojka als dem ersten Preisträger den „Roma -Literaturpreis“ 2013, zu dem wir ihm in Dankbarkeit sehr herzlich gratulieren.

 

 

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