Ansätze zu einer fragmentarischen Betrachtung(sweise)
Fragen stellen fragen nach der Bedeutung von Worten von Bildern von Sätzen fragen nach dem was man sagt was man ausdrückt was man meint fragen nach dem was unausgesprochen bleibt nicht abgebildet wird oder abgebildet ist fragen nach dem Verborgenen nach dem Nicht-Entschlüsselbaren nach dem was einen verwirrt nach dem wovon keiner redet nach dem was man sich selbst nicht eingesteht nicht eingestanden hat seit Jahren nicht und noch nie in seinem bisherigen Leben Fragen stellen auf die man die gängigen Antworten bekommt diese Antworten hinterfragen fragen nach Fragen auf die man bis jetzt noch immer keine Antworten hat auf die es vielleicht gar keine Antworten gibt vielleicht wird oder muß man sprachlos bleiben ohne Worte bleiben ohne Worte zum Beispiel angesichts einer unbegreifbaren Ungeheuerlichkeit das Wort „Auschwitz“ kommt mir in den Sinn ein Wort ein einziges Sprachzeichen „KZ“ für etwas Unbegreifliches reduzierte Sätze reduziertes Sprechen reduzierte Sprechmöglichkeiten reduzierte Leben reduzierte Lebensschicksale reduzierte Lebenszeit reduzierte Lebenswirklichkeiten von Millionen von Menschen aus den verschiedensten Ländern und Kulturen von Menschen verschiedenster Herkunft und sozialer Stellung mit den verschiedensten Sprachen und Sprechweisen alles reduziert auf ein einziges Wort auf das Wort „Auschwitz“ und alle oder doch nicht alle wissen was damit gemeint ist oder wissen es auch nicht wollen es nicht mehr wissen manche leugnen das alles sogar sagen daß es keinen Holocaust kein Auschwitz gegeben hat damit auch nicht die vielen anderen Vernichtungslager wie Majdanek Sobibor Theresienstadt Bergen-Belsen Treblinka Mauthausen sagen das alles hat es nicht gegeben das alles ist nicht wahr dieses Wort ist ohne jede Bedeutung ist nur ein Zeichen ein Sprachzeichen für eine einzige große Lüge das sagen die welche wieder in schwarzen Hemden und mit Glatze und in Stiefeln marschieren die Hand zum Hitlergruß erhoben die mit gespreizten Fingern drei Biere bestellen ganz öffentlich und dabei grinsen und dann auch noch frech und unverschämt und unverantwortlich sagen das alles war nur ein Scherz das alles war und ist doch so gar nicht gemeint nein man war nur bei einer harmlosen Wehrsportgruppe nein man war nur beim Bundesheer war dort Jahrzehnte lang ein Oberst ein Kommandeur ein Vorbild und schließlich ist man von altem wenn auch Niederem Adel und trägt einen Namen auf den man stolz ist alles reduzieren auf die eigene Ansicht auf die eigene Meinung auf ein Außenseitertum in der Geschichtsauffassung ob man nun Irving, Gudenus, Strache oder Honsik ob man nun Edgar Siegfried Horst (Wessel) oder sonstwie heißt Kanaken heißen dann die anderen „Abklatschen“ sagt man für ein Spiel das meint einem Farbigen irgendwo in Gruppe nachlaufen in eine U-Bahn-Station ihn hetzen und dann niederschlagen und mit Stiefeln eintreten bis sein Körper blutüberströmt und für sein weiteres Leben als Krüppel am Boden liegt oder man bezeichnet die kleine Farbige als „Negerhure“ stellt ihr ein Bein daß sie mit ihren Einkaufstaschen hinfliegt auf die Nase und sich die Knie aufschürft dann lachen alle saufen noch ein Bier klopfen sich gegenseitig auf die Schultern das war doch wieder einmal eine Hetz das war ein Spaß so war es damals auch als Juden auf dem Boden knieten und den Gehsteig reinigten und der SA-Mann stolz in seiner neuen Uniform dahinter stand und grinste und sich so fotografieren ließ na Helene da schaust was ich geworden bin und welchen Respekt die Juden vor mir haben die knien vor mir jetzt auf dem Boden er gibt dem Universitätsprofessor einen kräftigen Tritt in seinen Hintern und lacht dabei Jahrzehnte später sagt er dann das war ja gar nicht schlimm gemeint das alles war doch nur ein Spaß und überhaupt sei das alles nicht mehr wichtig weil auch schon längst verjährt genauso wie die Erschießungen wie die Vergasungen wie die Ermordungen in den Vernichtungslagern und auch in Hartheim nein da habe er ein anderes Geschichtsbild und andere haben das ja auch er sei also damit gar nicht allein denn andere haben auch gesagt die SS-Kameraden seien tugendhaft weil sie zu ihren Grundsätzen stehen ein ganzes Leben lang gestanden sind sie könnten der Jugend mit ihrer Standhaftigkeit ein Vorbild sein denn Standhaftigkeit sei eine Tugend das Wort „Standgericht“ fällt mir da ein die tausenden Todesurteile und Hinrichtungen aber alles hatte seine Ordnung alles war auf eine gültige Rechtsordnung gegründet sagt später dann ein angesehener Richter meint auch der Gerichtsgutachter meint der mit dem Ehrenkreuz für Wissenschaft und Kunst der Republik Österreich ausgezeichnete SPÖ-Genosse Primarius Dr. Heinrich Gross und lächelt mild dabei ich bitte sie man weiß ja wie solche Personen solche Patienten waren und mir fällt auf daß man da nie von „Menschen“ spricht nein das waren alles Fälle das waren Nummern die waren in die Arme tätowiert mein schon verstorbener Freund der Roma-Maler Karl Stojka und seine Schwester Ceija haben sie mir einmal gezeigt das war eine Nummer blaugrau noch immer sichtbar in der schon alten runzeligen Haut eintätowiert damals als sie noch Kinder waren in Bergen-Belsen oder anderswo nein das ist alles so nicht wahr das sei so nicht gewesen sagt der feine Herr mit Anzug und Krawatte und einem Tausend-Schilling-Hemd mit weißem Kragen vor dem Ausschuß ein jeder habe doch das Recht auf seine eigene Meinung doch Eduard Goldstücker brachte das auf eine richtige Formel wenn er sagte darüber gibt es keine Diskussion denn jede Diskussion bedeute da nur Zustimmung zum industriellen Massenmord immer noch die Vergangenheit immer nur die Vergangenheit sagt man mir das alles ist doch längst vorbei was soll das denn wir leben doch schon längst in einer anderen Welt ich stehe im Museum vor einem Bild vor einem Egger-Lienz-Bild „die Schnitter“ heißt es glaube ich bin mir nicht sicher ich stehe im Museum vor dem Bild „Schwarzes Quadrat auf weißem Grund“ ich bin in Moskau oder bin ich in St. Petersburg ich weiß es nicht ich kann mich nicht erinnern wo das war ich kann mich nur erinnern daß ich vor diesem Bild gestanden bin und auch vor vielen anderen Bildern im Laufe meines Lebens sich auch noch Bilder machen von vergangenem Leben anhand von Fotografien vergangenes Leben und längst verstorbene Personen sich wieder in Erinnerung rufen sein eigenes Verknüpftsein mit all dem da stehen wir zehn Kinder wie die Orgelpfeifen aufgereiht in Festtagskleidung wahrscheinlich Ostern auf einer Wiese und Mutter steht ganz vorne ist stolz auf ihre Kinder kann das sein und Vater hat uns fotografiert da sitzen wir auf unseren Rodeln im Winter ich stehe bis zum Bauch im Schnee da sind wir irgendwo auf einem Ausflug ich noch sehr klein kann sein es war im Krieg jedenfalls noch in der Nazizeit das sagt mein Vater ein Wort als Sprachzeichen „Nazizeit“ bedeutet dies und das für diesen oder jenen doch bedeutet auf alle Fälle eine Zeit bedeutet Lebenszeit Geschichte sich Bilder machen vom eigenen Leben und von dem von anderen von einem Leben in einer längst vergangenen Zeit dann ein Gedicht schreiben ein paar Sätze Prosa immer wieder die Worte Liebe Leben Tod Erde Himmel Wasser Schnee Abend Morgen Dunkel Nacht die Wege gehen Lebenswege sich erinnern an vergangenes Leben anhand von Bildern Lebensbildern sich ein Bild machen vom eigenen Leben vom Leben anderer erzählen vom Leben überhaupt etwas zur Sprache bringen davon sprechen nicht endlos alles ausbreiten nein kurz in Kürzeln in Sprachzeichen Lebensbilder in Sprachzeichen wiedergeben eben in Bezeichnungen mit Bezeichnungen und Worten immer wieder zurückkehren zu diesen Lebensbildern zu diesen Sprachzeichen zu diesen Worten solange man (noch) lebt solange man wach ist und nicht schläft „schlafe mein Kindchen schlaf ein“ ein Lied ein Lebensbild von damals unsere Köchin die von mir geliebte Fanni an meinem Gitterbett die Nazizeit die Bomben und die Angst der Krieg dann Frieden dann Schokolade dann Bananen dann Reisen und der Wiederaufbau dann auch ein neues Österreich die Amerikaner Russen Franzosen Briten die Demarkationslinie und Übergriffe Sibirien und Heimkehr ein neuer Anfang Einbeinige Einarmige und Blinde und das Verschweigen und Nicht-Reden das Sich-wieder-Vertragen wie mein Vater das nannte und dabei meinte nicht davon sprechen all dem ausweichen und der SA-Mann von damals und der SS-Mann von damals und das BDM-Mädchen als Erzieherin die mich gnadenlos schlägt und „züchtigt“ wie sie das nennt mein Aufbegehren meine Rebellion mein Sprechen meine Gedanken meine Gedankensplitter meine Sprachzeichen auf dem Papier als meine Zeichensetzung für (m)ein Leben für eine längst vergangenen Zeit.
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