An den Rändern der Sprache – Das neue Hörstück von Hans Georg Bulla
Es tut immer wieder gut, Texte zu lesen, die sich auf das Wesentliche konzentrieren; die unaufgeblasen einen ganzen Raum mit Spannung und Gedanken füllen. Dieser Raum ist das Zimmer, in dem ich lese und das Buch heißt »Märzwinter« von Hans Georg Bulla. Das Zimmer füllt sich auch mit Stimmen, denn es ist ein Hörstück für eine Frauen- und eine Männerstimme, Cello oder Bass, Percussion.
Die Sprache ist rhythmisch, eingängig und klar, der Inhalt umso vielschichtiger und nur mit dem, was ausgespart wird, zu fassen. Es geht um eine Begegnung von Mann und Frau, das meinen wir zu kennen, große Liebesgeschichten fangen so an, Romeo und Julia, Hölderlin und Diotima, Orpheus und Eurydike, all diese Geschichten beginnen mit der Liebe, bei dieser aber scheint es, sie würde genau an dieser Stelle aufhören. Keine dramatische Handlung mit Intrigen, Wirrungen, Kriegen nimmt ihren Lauf, ganz im Gegenteil: die Handlung hört auf, zumindest nach außen hin. Die Frauen-Figur erlebt allerdings eine Art Implusion, sie traut sich nicht, ihre Gefühle nach außen zu tragen, sondern verharrt in Zweifeln und Fragen. Die Sehnsucht richtet sich nach innen und vernichtet jegliche andere Bilder und Gedanken, zerfrisst letztlich die Lebensfreude, wird pathologisch. Das ist auch der Grund, warum die männliche Stimme nicht dem Mann gehört, der eigentlich die Hauptperson ist, sondern einem Therapeuten:
Bitte kommen Sie herein.
Geräusch: Schritte, Stühlerücken, Hinsetzen etc.
Bitte setzen Sie sich doch.
Wo Sie wollen.
Es ist Ihre Stunde.
Wollen Sie erzählen?
Und die Frauenstimme erzählt das Geschehen im Prinzip in mehreren dieser Sitzungen vom Ende her:
wissen Sie,
der lange Blick,
wie im Finger der böse Dorn,
mit dem fängt es an.
Dann breitet es sich aus,
im ganzen Körper.
Der Mann – nicht angesprochen, und umgekehrt, sie nicht ansprechend, anders als mit Blicken – ist irgendwann nicht mehr da (oder Moment: gab es doch einen kurzen Austausch von Worten / Wörtern / Silben / Einsilben?), ist wieder anonym mit der Welt da draußen verschmolzen, für immer verloren.
Gibt es zu der rätselhaften Geschichte, die der Mann oder ein Mann aus dem Fenster beobachtet, einen Zusammenhang? Ein Unfall an einer Bahnschranke, beim wiederholten Erzählen kommen Details hinzu, entsteht ein Bild vom Tod eines Mannes während eines Faschingumzugs.
Vielleicht bleibt in der Geschichte von Hans Georg Bulla etwas viel in der Schwebe, aber die Komposition, die mich an Bilder von Max Beckmann erinnert, in denen sich Mann und Frau, Verkleidete und Todesboten treffen, ist in sich dicht und stimmig. Märzwinter, das ist ein Winter, der fortdauert, wenn es eigentlich Frühling sein sollte, ein Frost, der einsetzt, obwohl oder weil eine zarte Annäherung Wärme verheißt, eine paradoxe Urangst, ein Urmisstrauen in uns.
Die Grafiken von Peter Marggraf sind zwar nicht direkt zu den Texten entstanden, erzählen aber genau von dieser Stimmung, in der die Worte verschwinden.
Solche Sätze habe ich gedacht,
habe sie in meinen Rechner getippt,
habe sie zu speichern vergessen.
Habe sie anderntags unter seinem langen Blick,
zu rekonstruieren versucht.
Am besten spiegelt diese Stimmung für mich die »Frau, die Arme vor der Brust gekreuzt«; auch Tote bettet man so.
Die Bücher aus der Reihe »i libri bianchi«, in der auch »Märzwinter« im Herbst 2013 erschienen ist, sind zwar mit Digitaldruck hergestellt, aber handgefertigt, mit Hardcover und Schutzumschlag – einfach schön.
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Hans Georg Bulla
MÄRZWINTER Ein Hörstück
Bilder von Peter Marggraf
San Marco Handpresse, Bordenau 2013