Ohne Unterlass

 

Die Literatur der Freiheit berauben, des Raumes, der Kreativität, sie zerfleddern; dann das Karge suchen, den Punkt, die Aussage: den Kern zusammenfassen, gestalten: die Kunst der Kargheit, der winzigen Plätze, der Miniaturen, getreu dem Motto „eure Beschneidung tötet nicht, sondern entfaltet neue Flügelschläge“. Indem ich die Begrenzung annehme, widerstehe ich ihr gleichermaßen, kreiere ihr zum Trotze.

Große Gedanken in Miniaturen erbauen, den Fitzel zutage bringen im Gesamtwerk, den, der die Kunst im Wesen zusammenhält; ohne Schnörkel, ohne Erklärung, ohne Hinweise auf das, was du denken sollst, wenn ich schreibe und du liest.

Umrisse, Skizzen, Momentaufnahmen entwerfen mit denen der Leser kreieren, die Fäden weiterspinnen oder sie bloß als Atemzug in der Eile mitnehmen kann, wie sie sind.

Mit 140 Zeichen ein Werk erschaffen, auf den Punkt bringen, womit sonst Luftschlösser gebaut werden, Seiten gefüllt; den Kern aus der Frucht höhlen, in einem einzigen Moment Gefühle, Gedanken, Phantasien sowie Widerspruch säen.

Kunst verwest nicht, doch fischt sie im Zeitgeist, bildet Bewusstsein, entfaltet, bleibt wachsam, erschafft neue Formen, holt alte wie den Aphorismus aus dem Netz und küsst die Zeit mit rotem Wein.

 

 

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Twitteratur, Genese einer Literaturgattung. Erweiterte Taschenbuchausgabe mit der Dokumentation des Hungertuchpreises. Herausgegeben von Matthias Hagedorn, Edition Das Labor 2019.

Weiterführend → ein Essay über die neue Literaturgattung Twitteratur.

Anmerkung der Redaktion: Anja Wurm betreibt den Blog 140 Zeichen, daher hat die Readaktion sie eingeladen einen Artikel zum Thema zu schreiben. In diesem Jahr ist Twitteratur ein Schwerpunkt auf KUNO. Dank des Kurznachrichtendienstes Twitter ist der Aphorismus in Form des Mikroblogging eine auflebende Form. Bestand die Modernität der lakonischen Notate bisher in ihrer Operativität, so entspricht diese literarische Form im Zeitalter der technischen Reproduzierbarkeit der Denkgenauigkeit der Spätmoderne. Es ist Twitteratur. Der in der Schwebe gelassene Sinn, die Produktion von Ambiguität – was für Roland Barthes Brecht im Theater geleistet hat, indem er die Sinnfrage zwischen Bühne und Zuschauerraum neu verteilte – findet sich in dieser Kunstform wieder.