Ein Vierteljahrhundert ist der historische Bruch her, jene für diesen Kontinent unübliche, friedliche Übergabe eines Staatswesens zunächst in die Verantwortung der Hoffnung, dann ins treuhänderische Verwesen durch eine kräftigere Ordnung: die 89er Revolution. Wie ist die Hinterlassenschaft der ostdeutschen Landstriche, hier explizit in literarischer Hinsicht, zu bewerten, was ist in den 25 Jahren aus dem Ansehen ihrer ‚Leitfossilien‘ wie auch den immer noch im Nachklang des Phänomens DDR Lebenden geworden?
Dieser elementaren Frage geht Ulrich Kaufmann in seinem umfänglichen Kompendium, das Aufsätze, Gespräche, Auszüge aus Briefwechseln und Rezensionen zur Literatur der DDR wie vor allem ostdeutschen Autoren bis zur unmittelbaren Gegenwart enthält. Etwas anders als in den ‚gebrauchten‘ geht die Literaturöffentlichkeit der neuen Bundesländer mit einer Verschiebung der Wahrnehmung einher; jenseits der Metropole Berlin auch mit einem mühsamen Erhalten des Status quo, was seine Gründe auch in der geringeren ‚Wirkkraft‘ der Literatur in den heraufkommenden Iden der Nachwende hat.
Kaufmann, Mitglied einer renommierten Wissenschaftlerfamilie, gibt Einblicke in diesen ostdeutschen Literaturbetrieb – sichtbar wird dabei eine reiche Szene auch jenseits der großen Triftwege, wenngleich der Bestand an bedeutenden Autoren, der zu verhandeln ist, auffällt. So wird Brechts „Ur-Faust“-Rezeption verdeutlicht; Seghers, Becher, Strittmatter, Kant, Loest werden, als Antagonisten wie in der ihnen gemeinsamen Verlorenheit an die Literatur, gewürdigt wie die großen Erzählerinnen Christa Wolf und Brigitte Reimann; Wulf Kirsten, Harald Gerlach, Gisela Kraft, Volker Braun, Heiner Müller.
Einiges ist dabei einer aufregend persönlichen Wichtung (der man sich im Umgang mit Literatur, wenn man nicht aus Holz ist, nicht entzieht) untergekommen; nicht weniges ist Neuland, einiges diskutabel. Der Ulbricht-Becher-Aufsatz zum Beispiel birgt wohl auch heute noch manches an Diskussionsstoff. Eine Fundgrube ist überdies Kaufmanns Beschäftigung mit Wulf Kirsten, der als Dichter und nicht zuletzt Mentor sichtbar wird. Die Coverabbildung wie auch die einzige Innengrafik, zwei Arbeiten von Susanne Theumer, sind einem Werk wie der Person des bedeutenden Wahl-Weimarers gewidmet.
Was bleibt zu sagen? Dass es aus einem verschollenen Land über sein Ende hinaus Schreiber gibt, die es wert sind, gelesen zu werden. Dazu leistet dieses Buch, das mit Sichten zu Sigrid Damm, zur jüngsten Prosa Brauns ausklingt, einen Beitrag. Die Literatur in wieder ‚fiebriger Zeit‘, sie möge Existenz und Auskommen haben.
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Abgeschlossenes Sammelgebiet, Roman von A. J. Weigoni, Edition Das Labor, Mülheim 2014 – Limitierte und handsignierte Ausgabe des Buches als Hardcover
Weiterführend → Zur historischen Abfolge, eine Einführung. Eine Rezension von Jo Weiß findet sich hier. Einen Essay von Regine Müller lesen Sie hier. Beim vordenker entdeckt Constanze Schmidt in diesem Roman einen Dreiklang. Auf Fixpoetry arbeitet Margretha Schnarhelt einen Vergleich zwischen A.J. Weigoni und Haruki Murakami heraus. Eine weitere Parallele zu Jahrestage von Uwe Johnson wird hier gezogen. Die Dualität des Erscheinens mit Lutz Seilers “Kruso” wird hier thematisiert. In der Neuen Rheinischen Zeitung würdigt Karl Feldkamp wie A.J. Weigoni in seinem ersten Roman den Leser zu Hochgenuss verführt.