Ein heiter-gelassenes klassisches Musikstück erklingt. Ein abgedunkeltes Fernsehstudio, in dem nichts den Zuschauer von dem ablenkt, um das es geht.
Ein junger Mann mit schmalem Gesicht, dessen Gelehrsamkeit noch durch die Brille unterstrichen wird, sitzt einer wesentlich älteren Frau gegenüber. Brillant formulierte Fragen, ebenso vollendete Antworten. Absolute Klarheit. Keinerlei Ausflüchte oder gar Banalitäten. Ernsthaftigkeit und Heiterkeit zugleich. Die Sympathie zwischen dem Fragesteller und der Befragten ist offensichtlich. Sie neigt sich ihm zu und schenkt ihm häufig ein offenes, geradezu strahlendes Lächeln.
Ruhe, Nachdenken und Schweigen im Rauch von Zigaretten. Keinerlei Hast. Der Interviewer fällt der Befragten nicht ins Wort oder schneidet es ihr gar ab. Im Gegenteil: er läßt sie in aller Ausführlichkeit zu Wort kommen. Günter Gaus befragt Hannah Arendt.
Es war das erste Gespräch aus der Reihe “Zur Person“, das ich sah und das mich sofort faszinierte. Wie unglaublich spannend, wie überaus informativ, wie intellektuell anregend ein Interview sein kann, wenn es auf so großartige und unübertreffliche Weise geführt wird wie von Günter Gaus.
Stundenlang kann ich diesem Mann, mit seiner unverwechselbaren Art sp und st zu trennen zuhören. Dass ausgerechnet ihm eine tückische Krankheit, die ihn viel zu früh “abberief”, seinen wunderbar sonoren Bariton nahm, ist eine Tragödie. Dass er sich davon niemals abhalten lies, auch weiterhin seine Interviews zu führen, zeigt die ihm innewohnende Kraft und Stärke.
Günter Gaus hat mit seiner Sendereihe „Zur Person“ das Interview auf ein Niveau erhoben, das seither niemals wieder auch nur in Ansätzen erreicht wurde. Vornehm-zurückhaltend und dabei dennoch immer wieder hartnäckig nachfragend ist der Stil dieses Herren so unendlich viel wohltuender und intellektuell anregender als der heutige unerträgliche Talk-Show-Zirkus. Wir müssen Günter Gaus dankbar sein für diese Sternstunden des deutschen Fernsehens.
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Ein unverzichtbares Zeitdokument: Die klassischen Interviews von Günter Gaus, herausgegeben von Manfred Bissinger. Set A: Politik 1963-1972, 5 DVDs; Set B: Politik und Kultur 1963-1969, 3 DVDs, München: Film 101 2005, zusammen 135,- Euro.
Weiterführend → Anmerkung der Redaktion: Heute vor 10 Jahren starb Günter Gaus.
→ Zu Beginn des Essayjahres machte sich Holger Benkel gedanken über das denken.
→ In 2013 unternahm Constanze Schmidt Gedankenspaziergänge.
→ Gleichfalls in 2013 versuchte KUNO mit Essays mehr Licht ins Dasein zu bringen.