Axel Kutsch, Herausgeber

Seit 1983

gibt Axel Kutsch Jahr für Jahr Lyrikantholo­gien heraus, die in ihrer Gesamtheit die Bandbreite der Lyrik im deutschen Sprach­raum vermitteln und jeweils umfassende Ein­blicke in das vielge­staltige zeitgenössische Lyrikschaffen der Jahre vor und nach 2000 ermöglichen. Der Eindruck, den ich, beispielsweise, bei der Lek­türe von Versnetze_fünf gewinn: Unbeugsam scheint der Überle­senswille des urigen Lyrikvölkchens im bildwild zerklüfte­ten deut­schen Sprachraum angesichts der weiterhin ansteigenden Buchflut zu sein, in der sich Millionen Versfüße tummeln. Ach Gott, schon wieder Gedichte, hör ich Peer Quer, den feinen kleinen Freund, Mrs Columbo ins Öhrchen flüstern, als er Versnetze_fünf auf dem Tisch liegen sieht. Aber, aber, meine Dame, mein Herr: ›Gedicht‹ und ›Gott‹, das geht doch, glaub ich, immer schon ganz gut zu­sammen, oder – etwa – nicht: ogottogott, weiß schon Ernst Jandl mit traumati­schen Pfunden zu schummeln.

Und, schwups, les ich bei Lutz Rathenow: Darf Gott göttlich sein? Tja, ich weiß nicht, was, Gott, hilf mir, soll es bedeuten, wer lacht hier / hat gelacht? Jedenfalls hab ich Lunte gerochen und folg, heiß auf Er­kenntnis, schwindlings der Schweißspur, that is blowing in the wind (bin nicht bloß Lyrik-, nein, auch Krimi­nal­tango-Fan), und les, die Nase millimeternah am Blatt (was, in erster Linie, wohl mit der sieben Jahre alten – kei­neswegs rosaro­ten – Brille zu tun hat) weiter und stolpre, mich flott bei Caroline Hartge einha­kend, über verdammt gottverlassene straßen, wo ir­gendwo ein erwogenes gottes geschenk – einfach so (oder ›so‹) etwa? – he­rumliegt.

Sieh da, sieh da, kaum erst hab ich mich, von der launischen Stimmung des Augenblicks be­zirzt (»Eigentlich könnte jedes Ge­dicht / den Titel ›Augenblick‹ tragen« ∙ Wisława Szymborska), auf die ›göttliche‹ Wortspielspannung eingelassen, schon werd ich von Versen weiter gegängelt, treff nochmals auf das Wörtchen ›gott­ver­lassen‹ – bei Chris­toph Leisten ist es dieser eine gottverlas­sene clochard, der sich, kommt durch­aus un/ge­legen, verwegen in den Kontext schlängelt, und folglich alles bestens mithin.

Schaun wir, wie es vorwärts – Stückwerk? weltwärts? (Halt!) – geht, ach, seht, dort steht schon bald Marianne Ullmann hilfsbereit am Wegrand (win­kend): Vom Himmel aus Landschaftstextur / als Lesart von Gott – ja, Menschen, die Gedichte schrei­ben, sind stets und immer Alteregoisten, lassen drum die Leser nie bedröppelt klamm im Regen stehn: Gott sei Dank – schreibt jedenfalls Gisela Noy.

Was hör ich? Gott redet mit dir dauernd im Park (Francisca Ri­cinski), und ist das nun gottes gnaden­willkür, wie Karl Rovers in den Raum stellt? (Mit gottesdienstlicher erneuerung hat es jeden­falls rein gar nix zu tun, wie ein paar Verse weiter zu lesen ist.) Ich laß die letzte/n Frage/n hier einfach mal: offen, ruf, mit Scarda­nelli: Komm! ins Offene, Freund!

Versnetze_fünfJetzt aber, du lieber mein Gott noch: darf es ein wenig / ohne Gott sein, wirft Elke Böhm, ziemlich hinterforschig, ein, was mich ein bißchen doch verstört (oder hab ich mich – verhört?), hab mich doch grad so gut ›eingerichtet‹ im Versnetzleben, nix scheint ei­nem heutzutag vergönnt, was sind das, o Gott, für Zeiten, sprecht! (»Keine hört mich, alles stille. Also ist es Götterwille«, hör ich Papageno jammern.) Also weiter, im­mer weiter, ach, um gottes­willen, schnapp ich bei Wolf­gang Haenle auf, denn das Gott­ver­trauen, das noch immer entzifferbar ist (Fritz Deppert) in diesen Ver­sen, führt mich schnur und stracks zu Richard Dove, der mir zeigt, wo Gott hockt: Südlich der Stadt, / wo Gott einst studierte.

Wer hätte das gedacht, aber so sind’s halt, die Gedichte, immer für die eine und auch schon mal die andere Überraschung gut (in ei­nem las ich vor ein paar Jahren, wie nicht die Titanic, nein, nein, der Eisberg unterging, und wenn das nun keine gottgewollte Fü­gung ist, dann glaub ich, wohl wahr, an gar nichts mehr), jeden­falls: Keiner weiß nie, wie sie denn wo aus- oder untergehn, und so sind auch diese Lyrik-Sammelbände fabelvolle FlunderWunder­Zun­dertüten – knallprallvoll mit Götterduft und Nabelschau (liegt hier ein Spötter in der Luft?), die Seit um Seite, Blatt um Blatt … am besten, Sie lesen wieder (siehe oben) selbst.

Joseph Buhl aus Gottmannshofen besingt den Abend des Goldtons, was, bei rechtem Lichte be­trachtet, unvergleichlich göttlich klingt, wann wird man je verstehn? Hoppla, du hast einen gott / über­sprungen, neckt Hartwig Mauritz (sein Wort in Gottes Ohr?), ich blättre zurück, find: nichts, ist das eine lyrische Finte? (Steck ich in der Tinte?) Will Autor mich auf Reimspur locken? Geht das nicht: ›Gedichte ro­cken‹? Kann auch als Leser ich mich verzoc­ken?

Ich laß das mal, um Gottes Himmels willen, dahingestellt sein (einmal muß es vorbei sein), werd jetzt, überhitzt, auf Wiedersehn rufend, einfach ein bißchen chillen gehn – in Maximilian Zanders Lichtspieltheater (Sperrsitz zwischen Jim Carrey und Morgan Freeman):

Nur ein bißchen Kino
 
Die meisten Esser lassen ihren Nachtisch stehen.
Die älteren Männer sehen entschlossen aus,
aber nicht zu­versichtlich.
Die Hände der Frauen streichen jetzt ständig
über Kinder­scheitel. Plötzlich gibt es
mehr Kin­derscheitel in der Stadt als je zuvor.
Die Physiker rechnen mit allem.
Kommissionen werden gebildet.
(Wo kommen die Schlangen her?)
Komisch, es gibt keine Staus.
 
Man ist auf Vermutungen angewiesen.
 
Bei­spiel: Gruppen von Achtklässlern,
ausgerüstet mit nanobots,
klingeln an Haustüren;
danach sind alle Ab­falltonnen voll;
vieles sieht seltsam aus. Indizien.
 
Ja, hätte man rechtzeitig die privatrechtlichen …
und die share holder … singt der Chorführer.
Zu spät, antwortet der Chor.
 
Jeder wird sich bei jedem einklin­ken,
Mensch und Maschine werden verschmelzen …*
 
Das ist das Mindeste –
 
Werden Sie ruhig ein bißchen wahnsinnig,
sagt der Doktor, nützen wird es nichts.
* zitiert nach einem Interview (1999) mit Ray Kurzweil, Erfinder, Wissenschaftler und Unternehmer.

Wieder einmal

stochert Axel Kutsch aus dem Bergh­eimer Tiefland ins 555 Meter hoch gelegene Sistiger Hinter­land – Wild­schweinen, Ne­bel, Gewitter, Sturm und weiteren natürlichen Un­wegsamkeiten zum Trotz. Er bringt die in jener Woche aus der Druckerei ge­kommene Lyrikan­thologie Vers­netze mit, ich geb ihm Ex­emplare der Litera­turzeitschriften orte und Zeichen & Wunder, wir hörn Schuberts erste und zweite, später die fünfte, siebte und achte Sin­fonie, rau­chen Zigarillos auf der Terrasse, gehn durch den Garten: ›Ein Buch ist wie ein Garten, den man in der Tasche trägt‹, spricht das arabische Wort, Kutsch staunt über die bei­den Hexen­ringe in der Wiese und die Menge kleiner und gro­ßer, runder und eckiger Steine, die ich auch während der ver­gangenen Monate bei Gängen durch Felder, Wie­sen und Wälder gesammelt und zu ge­birgsbach­ähnli­chen Ges­talten gefügt hab, wir laufen bis zum Waldrand, sichern Spuren bei Blitzlicht und Gegenwind, holen uns im gras­über­wachse­nen Gra­ben nasse Füße, genießen anschließend selbst­geba­ckenen Pflaumenku­chen und sprechen wie immer bloß, weiter Wort­spu­ren si­chernd, über DAS EINE (das bei uns die Ge­samt­heit der Literatur umfaßt, also Dramatik, Lyrik, Prosa, so daß wir auch über jüngst ge­lesne Ro­mane von Anna Katharina Hahn, James Joyce, Terézia Mora, Kath­rin Schmidt reden) das uns seit über 20 Jahren verbindet. Na ja, vor gut 20 Jahren fängt das alles ja gar nicht sooo pflaumenku­chenrund an. Was heute eine Freundschaft ist mit allem Pi­papo, beginnt seinerzeit als – Mißverständnis?

Ein gemeinsamer Bekannter macht mich 1989 auf den Herausge­ber Axel Kutsch auf­merk­sam, von dem ich bis dahin noch nichts gehört habe. Wie auch? Ich hab im Herbst 1983 mit Schrei­ben begonnen – es wundert vielleicht manchen Leser, daß ich in den Jahren 1983 bis 1987 fünf Romane ›für die Schublade‹ geschrie­ben hab – und 1988 auf Drän­gen des in Blankenheimerdorf leben­den Künstler­freunds Gunter Lorenz den ersten Ly­rik­band – Eife­leien – he­rausge­bracht (im Selbstver­lag, da ich in jener Zeit kei­nerlei Kontakte zur Welt der Literatur hab und auf keinen Fall unver­langt ein Ma­nuskript an einen Verlag ge­schickt hätt, diese Vor­stellung ist mir immer schon absurd vorgekommen).

Die eine Anthologie, von der ich damals weiß, die ich seit 1977 besitze und in der ich natür­lich immer wieder mit Begeisterung les, ist Das große deutsche Gedichtbuch, das 2008 mit dem neuen Titel Der Große Con­rady zum vierten Mal herausgegeben wird. Daß seitdem in die­sem Stan­dardwerk Gedichte von mir zu lesen sind, wundert nun mich wiederum (vor allem aus der Per­spektive frühe­rer Lebens­phasen be­trachtet) genauso wie die Tatsa­che, in mittler­weile 22 von Axel Kutsch herausgegebenen Lyrikan­tholo­gien vertreten zu sein. Denn, wie gesagt, am Anfang, 1989, holpert es: Ich schick Kutsch auf An­raten des Bekann­ten einige Gedichte für den ge­planten Sam­melband Wortnetze I – mein erster Versuch überhaupt, in einer Anthologie zu landen – und warte da­nach ge­nauso zuver­sichtlich wie vergeblich auf positive Antwort in Form eines Be­legex­emp­lars, das ich dem Postbo­ten hocherfreut aus der Hand reißen will.

Monate vergehn, bis ich dem gemeinsamen Bekannten, kummer­voll ob des nie er­füllten Wunschtraums, das Herz ausschütt. Er fragt kurzerhand und ohne mein Wissen bei Kutsch nach, der meine Gedichte wohl eher zufällig noch nicht weggeworfen hat – die An­thologie ist längst er­schienen – und mir freundlich mitteilen läßt, er hätte mich schon berücksichtigen kön­nen (hätte, hätte …), aber es gebe stets zu viele Einsen­dungen, ich solle mich nicht ent­mu­tigen lassen und es im nächsten Jahr wieder versu­chen. J Im nachhi­nein bin ich froh über die Verzögrung, bekomm ich so doch die Gelegenheit, den Blick auf Wort und Vers wei­ter zu schärfen und un­verd­rossen an dem zu arbeiten, was lebens­lang Ob­session des Gedichte schreibenden Menschen ist.

Wortnetze II

Wortnetze IIheißt die 1990 erschienene, Hans Bender und Rolf Dieter Brinkmann ge­widmete Anthologie, die die erste Anthologie überhaupt ist, in der Lyrik von mir erschei­nt: Auf Seite 111 stehn die beiden Gedichte, gleichsam potenzierte Schnapszahl, der Froh­sinn kann also auf den frostig eifelnden Höhenzügen des Rhein­lands seinen Lauf nehmen. Auch heut freu ich mich, wenn ich mit einem Beitrag in einem interessan­ten Sammelband vertreten bin, aber das ist kein Vergleich zum damaligen – grenzenlosen – Jubel: Ich kann es kaum fassen, hier neben Grö­ßen wie Hans Ben­der, Rolf Dieter Brinkmann, Erich Fried zu stehn, juchhu. Viele Auto­ren kenn ich nicht, und die Mehrzahl von ihnen treff ich seit Jah­ren nicht mehr in Lyrikanthologien an. Es ist ein Kommen und Gehen in der Welt der Literatur – ganz wie im richtigen Leben.

Etwas differenzierter betrachtet, denk ich, daß die späten achtzi­ger und die frühen neunziger Jahre des 20. Jahrhunderts auch in der Lyrikwelt Wendezeiten sind: Abgesehn von auch während der 60er und 70er Jahre fortlaufend auf hohem Niveau schreibenden Mara­thonpoeten wie Volker Braun, Beat Brechbühl, Hans Magnus En­zensberger, Elke Erb, Walter Helmut Fritz, Ernst Jandl, Wulf Kir­sten, Karl Krolow, Friederike Mayröcker, Christoph Meckel, Os­kar Pastior und manch andrer mehr, ich denk an den Mo­nolit­hen Rolf Dieter Brinkmann, aber auch an Nicolas Born und Jürgen Theobaldy, beginnen nach Jahren der eher laueren Winde die Ge­dichte wieder höhere Wellen zu schlagen, und viele Stim­men, deren Originalität und Qualität den nun deutlich anstei­genden Er­war­tungen, von Vorkämpfern wie Thomas Kling, Bert Pa­penfuß, Durs Grün­bein d. J. unmißverständlich manifes­tiert, nicht stand­halten, ver­schwinden auf Nimmerwie­dersehen im Orkus der schwarzen Lyriklöcher.

Seit 1990 also hat Axel Kutsch regelmäßig von mir verfaßte Ge­dichte veröf­fentlicht und gehört damit zu den ent­scheidenden För­derern meiner Lyrik. Von Jahr zu Jahr wird un­sere Beziehung intensiver, wir beginnen, einander un­veröf­fent­lichte Ge­dichte zu zei­gen, antworten mit Gedichten auf Gedichte, schrei­ben einander im Verlauf der 90er Jahren zahl­reiche Briefe, die nach 2000 von den zahllosen E-Mail abgelöst werden, Besuche werden von Jahr zu Jahr regelmäßi­ger, so daß Axel seit vielen Jahren zur Familie gehört, was nicht nur Birgit, Andreas, Anna, nein, auch Bensch, Mrs Columbo, Kraus und Peer Quer sehr zu schätzen wissen.

Jeder Autor weiß, wie wesentlich es (nicht nur) für die literarische Laufbahn ist, auf Men­schen zu stoßen, die es zum einen gut mit einem meinen, zum anderen die pro­fessio­nelle Distanz wahren, wenn es um ›Probleme der Lyrik‹ geht. Die Litera­turgeschichte ist durchzogen von beredten Beispielen fruchtbarer Freundschaf­ten unter Literaten, die einander auf Au­genhöhe begegnen und guten Einfluß auf das Werk des anderen nehmen. Das Grundgesetz vom einsam vor sich hin Dich­tenden wird auf diese Weise regelmä­ßig außer Kraft gesetzt.

Als Kutsch 2002 mein Ma­nuskript Land Stadt Flucht lektoriert, herrscht diese Grund­stim­mung genauso vor wie im umgekehrten Fall, als ich den Gedichtband Stille Nacht nur bis acht durchseh. Da treffen sich Grundeinstellungen, die einander sehr ähnlich sind: Ge­dichte, die nicht vollständig die Er­wartungen er­füllen, lassen wir lieber außen vor. Und wenn’s nur ein Wort ist, das nicht stimmt: Das Gedicht (dessen verworfne Wörter zum Gedichtkern gehören wie die eingedachten hinter den eingebrachten) muß war­ten, bis ›das Wort‹ ge­fun­den ist, was im Einzelfall lange dauern kann – und gar nicht so selten wird es nicht ge­funden: Ein Ge­dicht schrei­ben heißt auch, es nicht zu schrei­ben.

Immer wieder ist Axel Kutsch mehr oder weniger erster Leser meiner Essays und Gedichte, vermittelt wertvolle Hinweise. Daß Einschätzungen dabei auch auseinan­der­gehn, ist ge­nauso selbst­verständlich wie die Tatsache, daß meine Zusammen­stellung von Anthologien naturgemäß anders aussähe und ich nicht unbedingt die Auto­ren bzw. Gedichte aus­wählen würde, die Kutsch in die Sammel­bände aufnimmt, und daß ich Autoren vermisse, von denen ich denk, ihre Ge­dichte hätten der Anthologie noch gutge­tan.

Am Subway
 
Miasmengewölk –
Magma am Grund des Geklüfts
für schüttere Zeit
 
scheppernde Notgroschen im
Pappteller rafft der Dichter –
 
Manfred Peter Hein

Beim Lesen reiß ich plötzlich die Augen untertassengroß auf, bad in Wörtern, es sind die Wörter, denen ich lesend oder schrei­bend auf der Spur bin, die Wörter, der Sound, die Schwin­gungen, zieh Se­kunden später die Stirn kraus, jubilier, um mir kurze Zeit später lauthals Luft zu ma­chen. ABER: Es ist Axel Kutschs Aus­wahl, nicht meine, nicht Hans Ben­ders, nicht Michael Brauns, nicht Christoph Buchwalds, nicht Karl Otto Conradys (Keine An­thologie vermag alle Erwartungen zu erfüllen), nicht Ha­rald Har­tungs, nicht die von Shafiq Naz oder Tom Schulz, nicht Hans Thills, nicht Jan Wag­ners, nicht Björn Kuhligks, nicht Ron Wink­lers, nein, es ist seine, Axel Kutschs ureigene Auswahl, die Ent­deckungen und Lü­cken zeitigt wie jede le­ben­dige, kenntnis­reich edierte An­tholo­gie – die immer auch Appe­titanreger für die an­dere Anthologie (in der ich prompt auf die Na­men stoß, die ich eben noch vermiß) und vor allem die Ge­dichtbü­cher der frisch entdeckten Autoren sein will. Lyriksammel­bände, gerade von heut, in diesen Zeiten krasser Un­über­sichtlichkeit, können nur exemplarisch sein – bei aller selbst­ver­ständlichen Of­fenheit, die im vorliegenden Versnetzfall nicht genug betont werden kann.

Die 31

bislang von Axel Kutsch herausgegebnen, im Lauf der Jahre immer vielgestal­tiger edier­ten, mehr und mehr unterschiedlich­ste Stimmen verschie­denster Altersstufen, ›La­ger‹, Nischen, Regionen präsentierenden Anthologien wirken wie As­sembla­gen, die ich als ly­ri­sche Einhei­ten mit viel­fälti­gen Topogra­phien rezi­piere. Na­türlich kann ich mir das ein­zelne Gedicht, um das es in erster Linie geht, wie die eine tiefschwarze Kir­sche aus dem über­vollen Baum heraus­pflücken, aber die Gesamtrezeption wäh­rend der jeweils eintägi­gen Lyriksauftour erlebe ich dermaßen berauschend und bewußtsein­wei­tend, daß es zur Sucht gewor­den ist, so lange weiter, immer weiter zu le­sen, bis die Buchsta­ben, feine Fischlein, vor den Augen zu schwänzeln, zu tänzeln begin­nen.

In den ausgewählten Gedichten, die augenbetäubend, bitter, chif­friert, dunkel, ent­rückt, flir­rend, gleißend, hölzern, in­tensiv, jovial, krüppelig, laublau, mehrsprachig, nackt, of­fen, pastell­gelb, quer, rat­ternd, strafzettelblau, tot, ungeladen, violett, welk, x-beinig, ybel, zaun­braun ausse­hn, daherkommen, klingen, riechen, schme­cken, sprechen oder wirken, zerrt der Antholo­gist mich durch wort­übersäte Boulevards und silben­gespickte Feldwege, hypoparatak­tisch angelegte Verbalstraßen und tiefge­hende Sinn­schächte, durch Sprachschluch­ten, in denen ich durch Vokabelgeröll und Wörter­schnee wate, der fällt in gro­ßen flocken in mein innenohrdurch die lüfte ener­gie sparen les ich über­gangslos und denk unvermit­telt: Von wegen! In zwei Gedichten muß ich dem Weltraum­schrott auswei­chen, will ich nicht von den Wörtern vernichtet, vom Schmutzen­gel in das grenzen­lose All des Univer­sums gerissen wer­den. Hinter den biegsa­men Deckeln dieser un­scheinbaren Buchob­jekte, die doch lediglich Samm­lungen deutschsprachiger Lyrik der Gegenwart beinhalten, verbirgt sich eine enorme, spektaku­läre, ungeheure Ver­dich­tung an Energie, die von mir in ihrer Gesamt­heit kaum zu erfas­sen ist.

Lies halt weiter, flüstert mir der österreichische Freund Karl Natie­sta ins Öhrchen, genauso wie er damals am Attersee lauthals Spring halt rein posaunt, als ich mein, das Wasser sei aber doch sehr kalt. So les ich ›halt‹ weiter und stoß am End auf Gedichte von Hans Eich­horn, der, dem Kälterwerden und den leeren Park­bänken trotzend, am Attersee lebt und schreibt: Karteileichen und Alumini­umsessel, / das fügt sich zu keinem Kurzschluß.

Nachts bei Vollmond
kannst du es mitunter hören
in den hohen Bibliotheken
dieses leise Knarren und Quietschen
wenn einer die Welt
aus den Angeln hebt und die Tür
nicht wieder zukriegt.
 
Ulla Hahn

 Das Spektrum der einsilbig oder kakophon, fest- oder freimetrisch, klar oder geheimnis­voll, ge­reimt oder unge­reimt, überhitzt oder unterkühlt, ernst oder ironisch, herb oder sanft, lässig oder forciert formulierten Gedichte in diesen Zeiten der nur noch ganz kleinen Verschiebun­gen, reicht vom her­kömmlichen Strophen­gedicht zur ex­perimentel­len Collage und visuellen Bricolage, vom Anag­ramm übers Lei­pogramm zum Paragramm, vom Kreuzge­reimten zum Alltagsparlando, vom Haiku übers Akrosti­chon zu Ode, Se­stine, Sonett und Terzine, vom Epig­ramm zum Sprich­wort, vom Vier­zeiler zum Erzählge­dicht, vom lyrischen Stimmungs­bild zum antilyri­schen Wort­schwall, von poli­tisch grundierten, mit suggesti­ven Bot­schaften garnierten Versen zur pri­vaten Poesie für öffentli­che Ohren, vom hermeti­schen zum of­fenen Ge­dicht, vom Block- zum Flatter­satz, von der assozia­tiv verkette­ten, überbordenden paradox-skuril­len Phan­tasmagorie zur (Rea­lität verfremden­den) lakoni­schen Inventur, vom Popge­dicht zum äthe­rischen, vom un­gelegnen Vers zum Gele­gen­heitsge­dicht, von der notgebornen At­tacke zur müßigen Be­sin­nung, vom rotzigen zum erhabnen Ton, von Allegorie über Met­ony­mie, Me­tapher und Em­blem zum Sym­bol – oder bewußt davon befrei­ter Lyrik, vom Non­sens zum Tief­sinn, von reiner Lyrik über Metaly­rik zum didak­tischen Lehr­ge­dicht, vom stillen und kurzen, um eine ein­zige Metapher ranken­den Ge­dicht zur hekti­schen, übers ganze Blatt verlaufenden Mon­tage, vom Stak­kato zum Ge­schmeidi­gen, vom surrealen Purzel­baum übers Disso­nante zum Volks­lied­haften, von der urba­nen Häuser­zeile zur rustikalen (zeit­gemäß fragmentierten) Sumpfdotter­blume.

Manches erscheint mir, in Augenblicken der Ungeduld?, geschwät­zig, macht sich breit auf der Seite, labert und wabert schier endlos fort, ich brech ab oder les es, jetzt erst recht!, ein zweites, drittes Mal, andres kommt einfach, karg, schlicht daher, zwischendurch darf ich sogar einmal grinsen, lachen, schmunzeln, hier und dort find ich flüchtige, frag­mentari­sche, unfertige Versu­che vor. Der Herausgeber Kutsch vertritt die Auffassung, daß eine Lyrikan­tholo­gien auch ›Talentschmiede‹, ›Ver­suchsla­bor‹ sein darf, kann, soll – die ausge­reiften, geglückten, originel­len Gedichte in Versnetze (›unerhörte‹ Verse, bei deren Lektüre mir der Atem stockt – wie etwa Paul Celans Du liegst im großen Gelausche – find ich selten bloß vor), in denen ich auf gute, nachhal­lende oder phantasie­volle Wörter wie Ar­beitsschuhe, Brombeere, Chi­märe, Dach­pfanne, Erinne­rung, Fluß­pferd, Gras, Hasel­strauch, Igel­ball, Jahresring, Kaffee­dampf, Lip­penpelz, Mund­höhle, Nebel, Oze­anflor, Paranuß, Qualm, Re­gen, Spargel, Teepolster, Unterkie­fer, Verschweigen, Wind, Xylo­phon, Ypsi­lon und Zwi­schenraum treffe, bleiben freilich tonangebend.

Auch das gran­diose Scheitern, das ich der routinierten Langeweile vor­zie­h, ge­hört dazu, ist es doch eine wesensgemäße Aufga­be lyri­scher Sam­melbände, Dichtung im Wer­den zu zei­gen, die Ent­wick­lung von Auto­ren zu proto­kollieren, die grundsätzli­che Wesens­form der Lyrik als word in progress augenfäl­lig zu machen. Voll­kommen wird das Gedicht – von den wenigen weltweit bekann­ten Würfen abge­sehn – nie, ob wir es nun in Einzeltiteln oder Sam­melbänden lesen.

Bewältigung
 
entschuldigens
wou is denn bidde
dä Adolf-Dürer-Platz?
 
Fitzgerald Kusz

2008, 2009 und 2010

schlägt der Anthologist Axel Kutsch gleich viermal zu: An Deutsch­land gedacht. Lyrik zur Lage des Lan­des, Versnetze. Das große Buch der neuen deutschen Lyrik, Vers­netze_zwei. Deutschspra­chige Lyrik der Ge­genwart sowie Vers­netze_drei. Deutschspra­chige Lyrik der Ge­genwart stellen, exem­plarisch, die farbenrei­che Palette deutsch­sprachigen Ly­rikschaf­fens mit bekannten und weniger bekannter Autoren aus Augsburg, Ber­lin, Cast­rop-Rauxel, Dortmund, Essen, Frank­furt und vielen, vie­len, vielen ande­ren großen und kleinen Orten im deut­schen Sprach­raum dar (der jüng­ste, Leander Beil, ist Jahrgang 1990, der älteste, Hans Bender, Jahrgang 1919) – so, wie wir es von Axel Kutsch, dem vielleicht kenntnis­reichs­ten Herausgeber deut­scher Ly­rik, seit 1983 kennen: In 31 An­thologien les ich die ra­sante Entwicklung und Lage der Lyrik der letz­ten drei Jahrzehn­ten nach (zwischen Ge­dichten der frühen 1980er Jahre und solchen von heute liegen – – – Wel­ten) – darun­ter, nicht zu vergessen, die drei bril­lanten An­thologien Blitzlicht. Kurzlyrik aus 1100 Jahren, Reißt die Kreuze aus der Erden! sowie Der Mond ist aufge­gangen, in de­nen sich auch Gedichte aus alten Zeiten fin­den.

im vorderhaus ficken die pfirsiche legt Konstantin Ames im fulmi­nanten Auftaktge­dicht zu Vers­netze_zwei los (es kommt noch tol­ler), doch gleich auf der nächsten Seite schaltet Ulrike Almut San­dig mit sehr ›schönen‹ Gedichten mehr als einen Gang zu­rück: eben noch radio gehört. du schaust geradeaus. der Motor macht leise geräusche. Wäh­rend die Mehrzahl der Menschheit die Stuben­fliege achtlos totschlägt, erweckt Rolly Brings sie in Musca dome­stica erst richtig zum Leben: ein dolles Ding. Bei Marianne Glaßer ist die Stille befahrbar. Franz Hodjak blendet mich mit grellem Neon­licht, jagt mir den dumpfen Lärm der Abrißbirne in die Oh­ren, bei Kath­rin Schmidt lief eine zweifach gebeutelte asyl­wöl­fin durch die bild­lichtung, bei Armin Steigen­berger stehe ich im wi­derschein da­hinbrausender endsil­ben.

Es ist also auch bei der Lektüre der bislang sechs Versnetze-Sam­melbände wie immer: Ich will doch ›ei­gentlich‹ bloß ein paar Sei­ten le­sen, stell Stunden später fest, daß ich noch nicht ge­frühstückt hab. Kutsch hält, was das Vorwort verspricht: Auch diese An­tholo­gie bietet eine span­nende Übersicht über Inhalte, Formen und Schreibweisen der facet­tenreichen aktu­ellen deutschsprachi­gen Dichtung quer durch die Generationen und Re­gionen. »Ge­dichte, die dem Bedürfnis nach Schlusszeilen bzw. Gedichtenden wi­der­stan­den« (Uljana Wolf, Jahrbuch der Lyrik 2009) haben darin ebenso ihren Platz wie Texte, die in eine Pointe münden, das ›klare‹ Gedicht steht gleichberechtigt ne­ben Poesie, die sich dem raschen Ver­stehen entzieht oder das eine oder andere Geheimnis nicht preisgibt.

NACH DEN WOLKEN: Die glänzenden
Maisfelder. Pfützen, Supermärkte.
Und das Lächeln der Poetin: Es ist
nicht normal, Gedichte zu lesen,
die man nicht versteht. Die Wolken
überholen die Berge. Ein Parkhaus,
das Wort.
 
Peter Kapp

Ich hab die von Kutsch besorgten Sammelbände stets gern neben den von Chris­toph Buch­wald ebenfalls seit Mitte der 1980er Jahre edierten Lyrikjahrbüchern gele­sen. (Siehe hierzu auch das Kapitel Wir sammeln, bis uns der Tod abholt in Aus dem Hinterland. Lyrik nach 2000) Die beiden An­thologisten unterscheidet unter anderem, daß Buchwald, bei aller Entdeckerfreude, von der ich bei der Lek­türe jedes einzelnen Jahrbuchs der Lyrik profitiere, insgesamt et­was mehr auf be­reits bekannte, so­genannte ›arrivier­te‹, in den Feuille­tons geprie­sene und mit Preisen be­dachte Autoren setzt, wäh­rend Kutsch besonders großen Wert darauf legt, in den abseits gelege­nen Dörfern und Städt­chen, Tälern und Hochlagen zu for­schen, um auch den zu­rückgezogen leben­den ori­ginel­len Autoren aus dem Hinterland eine Chance zu ge­ben. Ich kann ein artig Lied davon singen.

Ein paar Dutzend Anmerkungen von A bis Z mögen ›abschlie­ßend‹ das eine oder andere Schlaglicht werfen auf die 31 Lyrik-Anthologien, die Kutsch in den Jahren 1983 bis 2013 heraus­gege­ben hat. 1983 bis 2013: Das sind exakt 31 Jahre, 31 Antholo­gien in 31 Jahren … Wir sind also gespannt, wie es wei­tergeht. Mit gerade mal 69 Jahren ist Axel Kutsch noch so jung, daß wir ›getrost‹ noch manches erwarten dürfen.

Ansichten · Anzug · Augenblick · August · Auffassung · Aufbruch

ANZUG, KRAWATTE, KEIN ANZUG, KEINE KRAWATTE,
Blick aus der Straßenbahn als hättest du wie eh und je
 
nichts zu tun mit ihren Geschäften, als seist du noch
immer jener fremde Blick aus heftig schaukelndem
 
Bummelzug, sich nirgends einmischend, Unpartei, kein
Gesicht, kein Name, abgestellt zwischen Umspannwerken
 
und Warenkatalogen. Als seist du noch immer dieser
Zeichenstift, der, aufs Papier gedrückt seinen Tanz vollführt,
 
sprachlos, strichlos, mit oder ohne Krawatte, mit oder ohne
Anzug, fixiert auf die beiden Bremslichter in der Nacht.
 
Hans Eichhorn

Pro captu lectoris habent sua fata libelli – Je nach Auffassungs­gabe des Lesers haben die Büch­lein ihre Schicksale (Te­rentianus Maurus, 2. Jh. n. Chr.), les ich in Ivo Leder­gerbers 2011 im Frau­enfelder Waldgut-Verlag erschienenen Ge­dichtband Besuch bei einem Freund. »Besuch bei ei­nem Freund« – so mag eine Eigen­tümlichkeit der Lektüre des Sammelbands Vers­netze_vier be­schrieben sein, den ich während später August­tage, die Seen hell, die Himmel weich, les und der mir – wie die in den Jahren zuvor erschienenen Bände – durchweg die Empfin­dung vermit­telt, ich säß mit dem Freund zu­sammen und läs (be­spräch) mit ihm ge­meinsam die aus­ge­wählten Ge­dichte, Vorzüge dieses Verfassers hervorhe­bend, Haken und Ösen jener Verse in Frage stel­lend, wo­bei die jewei­ligen Auffassungen – entgegen des von Heidi Brühl bzw. Brings in die weite Welt hinein gesungenen Wun­sches, der mir in diesem Augenblick unweigerlich in den Ohren summt – auch immer wieder ein­mal auseinandergehen.

Im Herbst 2014 erscheint im Verlag Ralf Liebe in Weilerswist mit Versnetze_sieben der 32. der von Axel Kutsch herausgegebenen, zu­meist als Lyrikjahr­buch, ge­legentlich als historische Themen-Antho­logie edierten Lyrik-Sam­melbände, die er bis 2007 unter den ver­schie­densten Titeln veröffentlicht und die seit 2008 den­ Titel Versnetze tragen:

1 ∙ Die frühen 80er. Lyrik und Prosa · 1983.

2 ∙ Keine Zeit für Lyrik? · 1984.

3 ∙ Lebenszeichen 84. Lyrik · 1984.

4 ∙ Gegenwind. Neue Gedichte deutschsprachiger Autoren · 1985.

5 ∙ Ortsangaben. Lyrik · 1987.

6 ∙ Lyrik 87 · 1987.

7 ∙ Wortnetze I. Neue deutschsprachige Lyrik · mit Michael Rupprecht · 1988.

8 ∙ Wortnetze II. Neue deutschsprachige Lyrik · 1990.

9 ∙ Wortnetze III. Neue deutschsprachige Lyrik · 1991.

10 ∙ Zehn. Neue Gedichte deutschsprachiger Autor(inn)en · 1993.

11 ∙ Zacken im Gemüt. Deutschsprachige Lyrik der 90er Jahre · 1994.

12 ∙ Der Mond ist aufgegangen. Deutschsprachige Mondlyrik vom Barock bis zur Gegenwart · 1995.

13 ∙ Jahrhundertwende. Deutschsprachige Lyrik der Gegenwart · 1996.

14 ∙ Orte. Ansichten. Deutschsprachige Lyrik der Gegenwart · 1997.

15 ∙ Das große Buch der kleinen Gedichte. Deutschsprachige Kurzlyrik der Gegenwart · 1998.

16 ∙ Reißt die Kreuze aus der Erden! Lyrik in den Zeiten der Revolution von 1848 · 1998.

17 ∙ Der parodierte Goethe. Neue Texte zu alten Gedichten · 1999.

18 ∙ Unterwegs ins Offene. Erste Gedichte aus einem neuen Jahrtausend · mit Anton G. Leitner · 2000.

19 ∙ Blitzlicht. Deutschsprachige Kurzlyrik aus 1100 Jahren · 2001.

20 ∙ Städte. Verse. Deutschsprachige Großstadtlyrik der Gegenwart · 2002.

21 ∙ Zeit. Wort. Deutschsprachige Lyrik der Gegenwart · 2003.

22 ∙ Lunas kleine Weltrunde. Das Mondkarussell der Poesie · 2003.

23 ∙ Spurensicherung. Justiz- u. Kriminalgedichte · mit Amir Shaheen · 2005.

24 ∙ 47 & 11. Echt kölnisch Lyrik · 2006.

25 ∙ Versnetze. Das große Buch der neuen deutschen Lyrik · 2008.

26 ∙ An Deutschland gedacht. Lyrik zur Lage des Landes · 2009.

27 ∙ Versnetze_zwei. Deutschsprachige Lyrik der Gegenwart · 2009.

28 ∙ Versnetze_drei. Deutschsprachige Lyrik der Gegenwart · 2010.

29 · Versnetze_vier. Deutschsprachige Lyrik der Gegenwart · 2011.

30 · Versnetze_fünf. Deutschsprachige Lyrik der Ge­genwart ∙ 2012.

31 · Versnetze_sechs. Deutschsprachige Lyrik der Ge­genwart ∙ 2013.

32 · Versnetze_sieben. Deutschsprachige Lyrik der Ge­genwart ∙ Herbst 2014.

Bild · Blick · Buchstäblich · Blutberberitze · Beiträger · Bora

bora
 
mit der europastraße nach zagreb einen nachmittag
aus der ebene gesägt nachts hob sie sich
 
morsch von gedankeneinschüssen & den salven
der plastikplane über der vorvorgestrigen
 
grillkohle und MOSOR & KOZIAK alles gefallener abfall
vom mond gebröckeltes licht und irgendwo
 
landet (der flughafen wiedereröffnet) im tv-verminten
gelände der blick zurück ohne ziel
 
Marcus Roloff

Es ist Fama, daß Gedichte im zeitgenössischen Leben moderner Menschen kaum eine oder gar keine Rolle spielen. Das Gegenteil ist der Fall: Buchstäblich überall begegne ich attrakti­ven Wör­tern, Reimen, Sprüchen, Zweizeilern, Vierzeilern. SMS-Botschaften vor allem junger Men­schen geraten im­mer wieder zu verblüffend ly­risch verdichteten Kurzsequenzen, hat man mir gesagt. Ich erlebe nonstop Lyrisches in der Sprache des Alltags – an der Ecke, im Kiosk, an der Tank­stelle, im Supermarkt, in der Fabrikhalle, am Mittagstisch, auf dem Feldweg, im Wald, beim Fern­sehen, am Meer, im Internet »usw.« –, die unentwegt so überra­schend bild­haft daherkommt und voller über­mütiger Vergleiche, tollkühner Me­taphern, geistrei­cher Witze, hemmungsloser Über- und Unter­treibungen steckt. Und wieviel Lust am bildstarken, klangvollen Wort finde ich in den Fach­spra­chen vor – wie viele biologische Bezeichnungen, bei­spielsweise, tragen dieses Besondere in sich, das ich ›lyrisch‹ nenne: Blutberbe­ritze, Tausend­gül­denkraut, Teu­felskralle. Die Sprache der Wer­bung be­gleitet mich auf Schritt und Tritt mit zuge­spitztem Wort und eingängigem Bild, ganz zu schweigen von den zumeist ge­reim­ten, oft anspie­lungsreichen Texten der allgegenwärti­gen Songs der Hard­rock-, Hiphop-, Pop-, Funk- und Punk-Szene (usw.), die wiederum vor allem junge Men­schen wie selbstverständlich mitsingen. Die meisten von ihnen denken dabei wahr­scheinlich gar nicht dar­über nach, wie nah ihnen Lyrik und lyrische Sprache am laufenden Band sind, vor allem eingedenk der von Karl Otto Conrady so einfach und klar formu­lierten Ansage Lyrik muß nicht lyrisch sein, die die Bandbreite der Form(ulierungs)-Möglichkeiten im Gedicht ins Unendliche gleich­sam aus­dehnt.

Can · Careless · Chaos · Chaotisch · Comic

Chaos (vom griechischen χάος oder cháos) ist ein Zustand vollständiger Un­ordnung oder Verwirrung und damit der Gegenbegriff zu Kosmos, dem grie­chischen Begriff für die (Welt-)Ordnung oder das Universum. (Wikipedia)

Zu brav, zu eindimensional, zu leichtfertiges careless writing, denk ich beim Lesen eines Gedichts auf dieser, zu glatt, zu kon­ventionell, zu schwingungsarm bei einem Gedicht auf jener Seite, um unmittelbar auf das chaotisch-wilde Comic 3 zu stoßen, das von jenem lakonisch-lockren Sound durch­weht wird, den ich mir in Gedich­ten, denen er besonders guttäte, immer so sehr wün­sche. Und da wir gerade beim Buch­staben C sind – Billy Collins meint: One of the ridiculous aspects of being a poet is the huge gulf between how seriously we take our­selves and how gen­erally we are ignored by everybody else, während Noel Coward betont: Work hard, do the best you can, don’t ever lose faith in yourself and take no notice of what other people say about you.

Comic 3
 
An dem Tag (ein Dienstag),
an dem die Theorien anfingen
mit ihren Konsequenzen Ernst zu machen,
 
d. h. ein riesiger Schrödinger-
STRUMPF oder SCHLUPF (das weiß man nicht)
die Maschen der Raum-Zeit zerriß,
 
plötzlich alle top-Quarks TRUDELTEN
(Kramers), und zwar chaotisch, also
ein sog. von-Neumann-KUCHEN entstand:
 
eine Schönheit, aus der 1 Vögelchen flog
(vermutet ein Higgs-Teilchen), zwitschernd,
an dem die gesamte web-Wissensgesellschaft
sich zur ersten Weltorgasmusparty
im Internet traf, und ein gentechnisch
erzeugter JAPANER mit nachts nach-
 
wachsenden Extremitäten alle Kinder
entzückte … entstanden seltsame
Sorgen in uns; für kurze Zeit.
 
Maximilian Zander

Duddel

Das Café Duddel vermittelt den Eindruck eines ge­mütlichen Wohnzim­mers, in das man sich verirrt hat. In einer sehr familiären Atmosphäre ge­nießt man hier klassisches Caféflair: (Locationsite.de/duddel.htm)

Wenn schon ein Kölner Café Duddel heißt, wär es doch eine ge­radezu sträfliche Vernachlässi­gung, wenn es kein Gedicht mit diesem Titel gäb. Aber, aber – es gibt eins, sehr wahrscheinlich dieses eine bloß. Und so ist also jetzt der Augenblick gekommen, mir Zeit für die Bereitstellung eines seit Jahrzehnten liebgewonne­nen Ge­tränks zu neh­men, einmal nicht an Brink­mann oder Ringel­natz zu denken, mich zurückzulehnen, um nichts als frohen Her­zens zu genie­ßen – wie damals in den 70er Jahren, als ich noch nicht ahne, wie tödlich Rauchen sein kann:

Mittags im Duddel
 
Wenn man im Café Duddel sitzt
sagen wir gegen Mittag
und die Sonne kommt gut rein
dann kann man durchs Fenster auf die nackten Schultern eines Mädchens sehen
nackte Schultern mit dünnem schwarzem Träger
nackte braune Haut strahlt durchs Glas in die Pupille.
Und man nimmt einen Schluck von dem Milchkaffee
und guckt rüber in die Ecke
wo Schatten ist
und eine Kerze auf dem Tisch steht.
Und hinter der Kerze sitzt ein rauchendes Mädchen
es sitzt allein am Tisch und blickt traumverloren vor sich hin
und es ist ein schönes Bild.
Und es gibt noch die abblätternden Farben an der Tür
die leicht offen steht
und die Musik von einer sanften Gitarre kommt aus den Boxen.
 
Es ist Mittag im Duddel
und die Sonne kommt gut rein
und du sitzt am Tisch am Fenster
und spürst ein angenehmes Gefühl in dir hochsteigen.
Die Kellnerin hat sehr lange und sehr blonde Haare
sie sitzt neben ihrem Freund auf dem Kaminsims des russischen Ofens
und der Mann streicht ihr sanft über den Kopf
man traut sich nicht – obwohl jetzt in Eile – »Zahlen!« zu rufen.
 
Ich lehne mich zurück
auf ein paar Minuten kommt es auch nicht an
nicht im Café Duddel
vor allem nicht gegen Mittag
wenn die Sonne gut reinkommt und man durchs Fenster
auf die nackten Schultern
eines Mädchens sehen kann.
 
Bert Brune

Editionsart · Ergänzung · Eisberg · Ende · Exemplarisch

Es bringt Poeterey zwar nicht viel Brot ins Haus /
Das drinnen aber ist / das wirfft sie auch nicht auß.
Friedrich von Logau (1605-1655)

Mittlerweile hat sich der von Shafiq Naz so liebevoll dialogisch und kenntnisreich edierte deutsche Lyrikkalender. Jeder Tag ein Gedicht neben dem Jahrbuch der Lyrik und Versnetze als gleich­sam dritte jährlich herausgegebene Lyriksammelbandkraft eta­bliert. Wird die erste Ausgabe von 2005 noch in erster Linie vom Club der toten Dichter dominiert, finden sich seit einigen Jahren unter den je­weils 300 Autoren rund 150 Zeitgenossen. Ich verglei­ch die Register der drei aktuellen Sammlungen von Buchwald, Kutsch, Naz und erkenne, wie wunderbar die drei Antholo­gien einander ergänzen. So tauchen, beispielsweise, Nora Gomringer, Marion Poschmann und Monika Rinck 2011 weder im Jahrbuch der Lyrik noch in Versnetze auf, im Lyrikkalender 2012 finde ich sie alle drei.

Wir können getrost davon ausge­hen, daß schon jede einzelne An­thologie für sich betrachtet mit ihrer spezifischen, eigenwilligen Editionsart exemplarisch die Bandbreite von bewährten, mehr oder weniger bekannten hin zu neuen, nahezu unbekannten Autoren vermittelt, aber eine gleichsam allumfas­sende Übersicht wird erst durch das Zusammenspiel aller drei An­thologien vermittelt, deren Her­ausgebern ich, selbstsüchtig, ein langes, langes Leben wün­sche, in dem die Lust aufs Herausgeben von Gedich­ten – trotz sicherlich manchen Verdrusses bei der wohl nicht immer lustigen Editionsarbeit – nie geringer werden möge. Versnetze-Herausgeber Axel Kutsch ist übri­gens das verbindende Glied in dieser außeror­dentlichen An­thologie-Kette, ist er doch als Lyriker immer wieder im Jahrbuch und regelmäßig im Lyrikkalender vertreten:

Was Gedichte dürfen
 
In diesem Gedicht sehen Sie
einen Eisberg versinken
und die Passagiere der Titanic
auf den Untergang trinken.
 
Nach der Ankunft erzählen sie
ihren Verwandten froh:
Stellt euch vor, wir reisten
mit Kate Winslet und Leonardo DiCaprio.
 
Doch die Verwandten
fragen sichtlich betroffen:
Ihr seid hier in New York
und nicht abgesoffen?
 
So ist es, wenn Eisberge
im Wege steh’n:
In Gedichten läßt
man sie untergeh’n.

Frei · Forciert · Fragiles Fragment · Fortgeschrieben

Die Absicht des Versnetze-Herausgebers war es auch dies­mal, ein mög­lichst umfassendes Panorama lyrischer Schreibweisen zu ent­wer­fen, in dem der bo­dennahe Vers ebenso seine Berechtigung hat wie der experi­mentelle Um­gang mit dem Wort. Leichter zugängliche Gedichte stehen neben hochkomplexen Arbeiten, Dissonanzen ne­ben Wohlklang, Epi­gramme neben seitenfüllenden Tex­ten, Scherz, Satire, Ironie neben tiefe­rer Bedeutung. Im Gegen­satz zu durchaus begrüßenswerten Sammelbän­den mit Ly­rik junger Autoren, die in den vergangenen Jahren erschie­nen sind, gibt es in den Versnetzen keine Al­ters­kontrolle. Poeten aller Gene­rationen sorgen mit immer neuen Texten für die pulsierende Vielfalt der gegenwärti­gen deutsch­spra­chigen Dichtung. Bei­spiele dafür finden sich in Vers­netze, einer Anthologie mit lyrischem Werk­stattcharak­ter, in reichem Maß. (Axel Kutsch)

free poesieFaszinierend die Vielge­staltigkeit, die seit Beginn der 1990er Jahre wieder zunehmend selbstver­ständlicher geworden ist in Gedichten, die im deutschen Sprachraum verfaßt werden. Axel Kutschs An­tholo­gien sind bekanntlich die ersten Versvehikel, mit denen ich vor gut zwanzig Jahren intensiver als in den Jahrzehnten zuvor, in denen Prosa die erste Geige spielte, durch die Welträume deutsch­spra­chiger Ge­dichte zu düsen beginne. Als ich mich 1999, in der Monographie Ohne Punkt & Komma. Lyrik in den 90er Jahren, erstmals an eine Bestandsaufnahme der Kutsch-Sammelbände wage, versuche ich, die verschiedenen vorge­fundenen Arten und Weisen von Gedich­ten in einem meh­rere Merkmale aufzählenden Satz zu­sammenzu­fassen. Jener Satz ist gleichsam Urzelle für das im Laufe der Jahre vom prosai­schen Satzge­füge zum lyrischen Essaygedicht gewachsene fragile fragment, das, von Fassung zu Fassung, in einem langen Atemzug die Bandbreite der Gestal­tungsmöglichkeiten einzufangen sucht, die ich in Vers­netze und den vielen anderen Lyrikanthologien im Laufe der Jahre an zeit­ge­nössischen Aus­drucks- und Formmöglichkeiten entdeckt hab:

the poem is a machine made out of words und das spektrum des zwischen hinterlandschlucht und zen­tral­straßen­flucht schwingenden so oder so also einsilbig oder wortreich fest- oder freimetrisch no verse is libre for the man who wants to do a good job alliterierend asso­nant ›poetisch‹ oder prosaisch sparta­nisch oder simultankaska­disch licht leicht luftig düster drückend dumpfig klangvoll sin­gend oder antily­risch quar­rend überhitzt unter­kühlt unterspült überspitzt und metaeuphorisch synäs­the­tisch und katachre­tisch standardisiert w∙ort∙spiel∙e­r∙i∙s∙ch konkret dialektal leichtfü­ßig oder ver­schleppt schlicht oder kraß rot­zig erha­ben jam­bisch trochä­isch dakty­lisch ana­pästisch erdig oder intel­lektu­ell ernst fin­ster knochig oder paro­distisch flimmernd rhapsodisch ironisch und sarka­stisch und zy­nisch schwärme­risch schüch­tern herb oder sanft heiter oder hypo­chond­risch läs­sig oder for­ciert (usw.) ge|form(ulier)ten je­des ba­nale be­deut­same ding des mikroma­kroda­seins aus nächster nähe der tota­len in blaugenauen blick nehmen­den vielfach konterka­rierenden gedichts in fie­sen zeiten bloß noch ganz kleiner verschie­bun­gen erstreckt sich naturgemäß als word in pro­gress vom eingewur­zelten bildrei­chen stro­phen­gedicht zur zusammengepurzelten proëmcollage und visuel­len brico­lage von ana- und epi- über lei­po- zum pa­ra­gram­m von lusti­gem klartext zu listiger ver­krall­horn­heutung von kreuz­paar­ge­reimtem zu all­tagspar­lando von weltum­spannendem haiku über akrosti­chon cento zu ode sestine sonett ter­zine vom zank­äpfelnden aphoris­mus zum maul­faulen sprich:­wort von tiefstapeln­dem ein­wort­ge­dicht über herun­terspie­lenden vier­zeiler zum balla­desken er­zähl- und ausschweifen­den langge­schichtge­dicht mais degas ce n’est pas avec des idées qu’on fait des vers c’est avec des mots von feuri­gen stim­mungs­versen zum wasser­um­wall­ten wort­schwall von poli­tisch grundier­ten mit suggesti­ven notbot­schaften schar­nier­ten versen über pure sture zur pri­vaten poe­sie für öffentli­che oh­ren hier tänzelnde bachdich­tung dort schwän­zelnde fachsprach­richtung hier kako­phoni­sche krachmischung dort hyper­boli­sche lach­lichtung hier de­rekonstruie­rende mach­dichtung dort gedankenweiche nach­sich­tung von herme­ti­sch verrätselten über dop­pelt gemoppelte zu of­fen struktu­rierten block­flat­ter­satz­strophen von assozia­tiv verkette­ten über­bordenden kuri­oskurri­len phan­tasma­go­rien zu (›rea­lität‹ ver­fremden­der) dra- lakoni­scher inven­tur von beat pop zum äthe­ri­schen gedicht vom verle­gen­heitsver­s zum gele­gen­heitsge­dicht von son­nen­strahl und thun­der­storm zum krenatürlichen flocken­flug von kinovati­ver sp∙r∙a∙c∙h∙­sch∙r∙öp­f∙ung zu kon­ge­nia­ler nach­empfin­dung hommage re­mix und an­ver­wandlung vom dich­tung aller länder und zei­ten in die unerhörte zange neh­menden gedicht des poeta doctus zum naiven no­tat des art-brut-tex­ters von der chiff­rierten zur intertextuel­len ver­flechtung von der notgebornen knottrigen atta­cke zur mü­ßi­gen be­sin­nung von allego­rie met­ony­mie em­blem und sym­bol zu salopplyrik ohne ›denn‹ und ›la­ber‹ vom absurd an­wutenden oxymoron zum grotes­k geifern­den para­doxon vom nar­benfrohen non­sens zum warz­weißen schief­sinn stimmt es oder glimmt es nicht from poems with to poems without punchline von sehr naturfei­ner strammfrom­mer graukrautpoe­sie übers schwer me­taly­rische gedicht­ge­dicht zum mehr tiktak­tisch klugen lehr­ge­dicht vom ge­nicht für o niemand über poets’ poetry für den einen zum gedicht für jeder­mann von stil­len um eine meta­pher bloß ran­ken­den versen zur schrillen hekti­schwil­den über unkenntlichen blatt­raum und weit dar­über hin­aus sich schwindeln­den ple­ophan­tastischen mon­tage oder wir­belwur­migen endlos­zeile vom stott­rigen s|t|a|k|­k|a|t|o zur ge­schmei­di­gen bijouterie vom surre­alen kopsterbölter über disso­nanz und lautlyrik zur tramagi­schen volks­liedstro­ph­e von turba­ner häu­ser­zeile bis zur frusti­ka­len zeitge­mäß f/·®/a|g*-›m‹e↔n⌂-tier-Δ÷t‼?¢e×n bezie­hungs­weise be­frem­delnden sumpf­dotter­blum ich gehe in ein anderes blau im schnee­ge­stöber von heute // der ›dichter‹ liegt vor hitze stockt der mut / in hei­ßen lüften ist kein wort dabei / die zeit der großen verse ist vorbei / und in den brüsten seh ich geizt die glut // der wurm ist nah hier hilft wohl bloß noch ducken / und sich mit schicken käm­men zu be­stücken / die fei­sten schrei­ber gehen schon an krucken / die drei­sten leser wollen sich ver­drüc­ken

Gedicht · Gegenteil · Geschichte · Gewicht · Gewichtung · Gesang

To have great poets, there must be great audiences, too. (Walt Whitman)

Die Formel für die Berechnung des spezifischen Gewichts des Gedichts ist noch nicht entdeckt. Das in meinen Augen viel schwieriger zu berechnende Gewicht der Seele wurde bereits 1907 von Duncan MacDougall ermittelt: Es beträgt 21 Gramm. Und so zanken In- und Outsider, Lyriker, Leser, Kritiker, Professoren und sonstige Lesewesen nach wie vor wie die Kesselflicker bei der Gewichtung von Gedichten – stets nach dem Grundsatz von Ulla Hahn postulierten Grundsatz Das Ge­dicht ist so harmlos und ge­fährlich wie der Leser selbst. Wie untröstlich, bei Maximilian Zander, der im übrigen den Vorschlag für die Klassifizierung: Lyrique, Lyrik, Lürick macht, zu lesen: Viele Damen und Herren, die Gedichte schreiben, müßten dies nicht tun, wenn sie nur recht­zeitig Klavierspielen gelernt hät­ten, oder Geige.

Ich les in Versnetze neben hochkomplexen auch ausgespro­chen belanglos-schlichte Ge­dichte, in denen ich Elemente wie Bild­lichkeit, Brechung, Formbewußtheit, Klangkorrespondenz, Kon­trast, Listen­reichtum, Magie, Mehrfach­ebene, Metaphorisie­rung, Montage, Temperament, Schwingung, Sinnlichkeit, Sound, Überra­schung, Witz, Wortspiel »usw.« vermisse, die ich mir beim Lesen von Gedichten immer wünsche: ein Gewitter / wirft fun­kelnde Schlüssel / ins Zimmer, les ich heute bei Ernst Meister.

All das fin­det sich, mehr oder weniger, je nachdem, was notwendig erscheint, naturgemäß auch im gelun­genen schlichten bzw. lakoni­schen Gedicht, das ich überaus liebe: Ich hätte gern viele Ge­dichte so ein­fach ge­schrieben wie Songs, seufzt Rolf Dieter Brinkmann. Im übrigen finde ich Gedichte aller Stil­richtun­gen und Macharten gut – wenn sie gut gemacht sind. Aber: Was heißt ›gut‹, höre ich nun meinen Vater (1924–2006) flüs­ternd fragen, und, schon wie­der, scheiden sich die Geister.

Alarmsignal ist für mich, beispielsweise, die Verwendung einer Formulierung wie Und doch. Wer das ohne ironischen Hintersinn niederschreibt, wird, sehr wahrscheinlich, der Botschaft den Vor­rang vor dem Formalen geben. In sol­chen Momenten fühle ich mich vors Wort zum Sonntag ka­tapultiert, das ich als bekömmlich allerdings bloß in der Art und Weise empfinden kann, wie Otto, der außerfriesische Kirchen­mann, es mir so herrlich nahebringt.

Nun, was wollen uns diese Worte sagen, fragt der Außerirdische zum Schreien salbungsvoll, und gerade das will ich mich beim Lesen von Gedichten nie fragen, werde jedoch regelrecht dazu gezwun­gen, wenn ich Worte wie Und doch mit anschließender Auflösung vorfind, denn diese Worte wollen mir ungefragt und offenbar unbedingt etwas sagen, mitteilen. Ja, bin ich denn hier beim Kreuz­worträtsel oder was?! Ich muß mir so viel sagen lassen in diesem Leben, da will ich mir wenigstens die Welt der Gedichte als Freizone gönnen, in der ich mir nichts sagen lasse. Die Wörter sind, die Wörter scheinen auf, die Wörter klingen. And that’s that. Nichts, übrigens, da­gegen, wenn ein Gedicht darüber hinaus eine Geschichte erzählt – im Gegenteil.

An einem jener Abende vor ein paar Jahren befragt Marietta Slomka Herrn Westerwelle zum Libyen-Konflikt, und ich frage mich bei den Antworten die ganze Zeit: Nun, was denn wollen (sollen?) uns diese Worte sagen? Wir werden es nie herausfinden, und es ist an dieser Stelle und sonst wo auch nicht weiter wichtig.

Mehr lesen (Bücher sind natürlich gefährlich, zeigen Grenzen auf), sich intensiver mit Gedichten aller Arten, Weisen und Zeiten be­fassen, die Errungenschaften der Lyrik seit 3000 Jahren eigenen Ver­sen im besten Sinne anverwandeln lernen, ruft es unwillkürlich in mir, wenn ich die fast schon zu schlichten Verse vornehmlich älterer Jahrgänge les, die der exzellente Lyrikkenner Axel Kutsch offenbar ganz bewußt, wohlüberlegt und mit gutem Grund in An­thologien mit Werk­stattcha­rakter nicht ablehnt.

Und so taucht, unwillkürlich, erneut die Frage nach dem spezifi­schen Ge­dichtgewicht auf: Lieg ich bei der Gewichtung der von mir im stillen als Schwachstromzeilen­bruch abqualifizierten Tex­ten daneben? Legt manch andrer Leser gerade auf diese Texte beson­deres Gewicht? Emp­findet er, im Gegenteil, gerade die oft so kom­plex (und auf ihn verkopft?) wirken­den Gedichte jüngerer Jahrgänge forciert, seelen- und gewichtslos?

Lyrik­landschaften mit treib­sandi­gem Untergrund, vermintes Ge­lände. Allen Lesern mit zu vielen Sorgenfalten im Gesicht möchte ich in diesem Augenblick mit Charlie Chaplin, der einst meint, das Leben sei halb so schlimm, zurufen: Versnetze – halb so schlimm. Und wer eine Antho­logie anders edieren will als Kutsch, Conrady, Kuhligk & Co. – nur zu: Niemand hindert ihn daran.

UHREN ZOGEN MICH AUF.
Einmal trat ich auf eine Ameisenstraße
und löschte den Wald.
Ich saß auf einem Strohballen
und wußte noch nichts
von der Strichliste meiner Tage.
Mein Herz, hieß es,
habe man auf einer Drosselschmiede gefunden,
und der Gesang
kam schon näher.
Noch verschlossen,
fand mich das Gedicht.
 
Ulrich Koch

Haupt ∙ Heute · hänget · heilignüchtern ∙ Himmel · Herz · Hirn

Ein Tag im milden März 2014 · Mit gelben Birnen hänget / Und voll mit wilden Rosen / Das Land in den See · Ich les, ziellos, Dichtung ist Geometrie im wahrsten Sinne des Wortes (Lautréa­mont), in Frag­menten ∙ Ihr holden Schwäne, / Und trunken von Küssen / Tunkt ihr das Haupt / Ins heilignüchterne WasserOffen­bar ist es kei­neswegs leicht, ein großer Dichter zu werden (Ezra Pound) · Da ist das Gedicht, dort ist das, was es auseinanderlegt (Franz Josef Czernin) ∙ Die Arbeit bringt einen zur Raserei (Wla­dimir Maja­kowski) · Geh bloß zu deinen Papierfetzen zurück, deinen Silben (Brigitte Oleschinski) · Weh mir, wo nehm ich, wenn / Es Winter ist, die Blumen, und wo / Den Son­nenschein, / Und Schatten der Erde? ∙ In der dichtung ist jeder der noch von der sucht ergriffen ist etwas ›sagen‹ oder ›wirken‹ zu wollen nicht einmal wert in den vorhof der kunst einzutreten (Stefan George) ∙ Der Dichter, der im Begriff ist, ein Ge­dicht zu machen, hat die unbestimmte Empfin­dung, daß er in einem sehr fernen Wald auf eine nächtli­che Jagd geht (Federico García Lorca) ∙ Die Mauern stehn / Sprachlos und kalt, im Winde / Klirren die Fahnen.

DUNKELKAMMER träumen, rapid
eye movement wie ein vogel flöge
in die entsicherte landschaft
spreizen, das hirn weit, weiter
bis das denken zerstiebt
sperrig das ufer
federn, bleiche
lichtbrechende pfützen
pulsierend nur der rand der aussicht
der sich ins vage verliert
der schmale streifen meer
solider als der zögerliche himmel
der geile, tote salzgeruch unter
schwindender sonne
flatline – –
und das herz, der vogel schreit
sanfter, unerreichbarer körper
blass krallen sich finger
ins unterbelichtete
 
Andrea Heuser

Ineinander · Informatorisch · Interesse · Intuition

Die Stimmenvielfalt in Versnetze erscheint wichtiger als die Auslese. (Matthias Hagedorn)

Es gibt drei Arten von Anthologien. Die der ersten sind Dokumente der ho­hen Literatur, machen jedenfalls dar­auf Anspruch: Auswahlsammlungen, die von einem mehr oder minder berufenen Literaten nach Grundsätzen gemacht sind, die, eingestandenermaßen oder nicht, einen normativen Charakter haben. Sol­che Sammlungen kön­nen großes Interesse besitzen. Man braucht nur den Na­men des deutschen Dichters Rudolf Borchardt zu nennen, um an­zu­deuten, in welchem Grade sie eigentliche literarische Dokumente darstellen können und als solche der Kritik ausge­setzt sind. Die zweite und seltenere Gattung setzt sich rein informatorische Ziele. Ihr ist gemäß, daß der Heraus­geber anonym bleibt, wenn man es nicht überhaupt mit einer größeren Grup­pe von Editoren dabei zu tun hat. Die häufigste aber unerfreuliche Gattung ist die dritte; ein un­deutliches Ineinander eklektischer und in­formatorischer Gesichtspunkte sucht das nutzlose Spiel eines Unberufenen dem Publikum gegenüber interessant zu machen. Die vorliegende Sammlung ist ein reiner Typ der zweiten Gattung, die augenblicklich die willkommenste zu nennen ist. (Walter Benjamin)

Axel Kutsch bleibt als Herausgeber weder anonym, noch schart er eine Gruppe von Mitherausge­bern um sich, er überläßt jedoch, nach jeweils kurzem, sachlich formulierten Vor­wort den Gedich­ten, jedem einzelnen Gedicht, vorbehaltlos den Raum, in dem diese sich, Seite für Seite, entsprechend des Anordnungs­prinzips nach Postleitzahl und Geburtsjahrgang der Ver­fasser für sich präsentie­ren und miteinander arrangieren – je nach dem, wie es den Leser anspricht bzw. wie es ihm gefällt. Vers­netze, die Anthologie mit Werkstattcha­rakter setzt sich in erster Linie informatorische Ziele.

Ende vom Lied
 
der lange Marsch
durch die Intuitionen
 
knirschende Laute
aus der Hirnlandschaft
 
vor einer Winterwiese
abgestreifte Schuh:
 
das Glück, nicht mehr
dazuzugehören
 
Marcus Neuert

Jandl · Jugend · Judenstern

Die Rache der Sprache ist das Gedicht. (Ernst Jandl)

Ich vermiß Ernst Jandl, dabei ist er doch allzeit gegenwärtig, an­wesend, da. Wir sind einander nie persönlich begegnet. Schade. (Was genau ist das – ›schade‹?) Ich blick auf ein schwarzweißes Bild, in dem Jandl neben FM auf dem Bett in der Wiener Woh­nung hockt und, ganz ernst, in die Kamera schaut. Wenn ich einen Jandl-Vers les, werd ich an den Ort katapultiert, den Sha­fiq Naz the domain of poetry nennt. Ich les seine Bücher, Ge­dichte, Verse, Ge­danken immer und immer wieder. Mit ver­gleich­barer Passion les ich Friederike Mayröc­kers Verse und Zeilen. In der Kurzlyrik-An­thologie Blitzlicht von 2001 les ich:

an Ernst Jandl
 
will dir Schwalbe ausschneiden :
blaues BUNTPAPIER
himmelblau wie dein Herz
das ich entbehre
 
Friederike Mayröcker

Ich denk täglich an Jandls Gedichte, sprech die mir geläufigen gern vor mich hin. In den Kutsch-Anthologien Orte. Ansichten, Das große Buch der kleinen Gedichte, Blitzlicht und Spurensiche­rung ist er vertreten. Ich nutz den Au­genblick, nehm die vier Sam­mel­bände aus dem Regal, les die Jandl-Gedichte burgtheater (aus meiner jugend), camping, gewür­feltes ge­dicht, korrespondenz, lichtung, vater, komm erzähl vom krieg und schließlich

unterwegs
 
auf der straße zum belvedere
schritt ein bleicher hagerer mann
trug einen kaftan mit judenstern
wir blickten einander an
 
dieser blick war unsere rede
was sie ihm gab? mir gab sie mut
was ihm geschah, muß ich vermuten
von mir weiß ich: ich lebe

Klekwapufzi · Königin · Kontroverse · Kriegserklärung · Kroklokwafzi

[Sind es die Straßen]

Doch sind es die Straßen, die erzählen, / oder sind es die Menschen, die den Straßen / erzählen, sind es die Schuhe der Menschen / auf den Stra­ßen, die zählen, zählen die Straßen / die Schuhe der Menschen, oder zäh­len die Schuhe / die Straßen und die Menschen, die sie queren, / que­ren die Schuhe mit den Menschen die Geschichten / auf den Straßen, tragen die Schuhe der Menschen / die Geschichten der Straßen, wenn sie laufen, laufen / die Menschen mit den Geschichten der Straßen / an den Schuhen in die Häuser, wo sie leben, leben / die Ge­schichten der Straßen an den Schuhen in den Häusern / der Menschen, die dort wohnen, sind die Men­schen / für die Häuser, wenn sie schlafen, oder / sind die Häuser und die Menschen für die Straßen / sind es die Straßen

Sabina Lorenz

Allerhand Verse, Versarten gibt es, katalektische, akatalektische, brachykatalektische, sogar hy­per­katalekti­sche. Füße haben sie, allerdings kein Rückgrat, keinen Kopf. Keinen Kopf? Da fällt mir die Stelle im zweiten Akt von Frank Wedekinds Frühlings Erwa­chen ein, als Moritz seinem Freund Melchior diese Geschichte erzählt:

Es ist, als hörte ich Großmutter selig die Geschichte von der »Königin ohne Kopf« erzählen. – Das war eine wunderschöne Königin, schön wie die Sonne, schöner als alle Mädchen im Land. Nur war sie leider ohne Kopf auf die Welt gekommen. Sie konnte nicht essen, nicht trinken, konnte nicht sehen, nicht la­chen und auch nicht küssen. Sie vermochte sich mit ihrem Hofstaat nur durch ihre kleine weiche Hand zu verständi­gen. Mit den zierlichen Füßen strampelte sie Kriegserklärungen und Todesurteile. Da wurde sie eines Tages von ei­nem Könige besiegt, der zufällig zwei Köpfe hatte, die sich das ganze Jahr in den Haaren lagen und dabei so aufgeregt disputierten, daß keiner den andern zu Wort kommen ließ. Der Oberhofzauberer nahm nun den kleineren der beiden und setzte ihn der Königin auf. Und siehe, er stand ihr vortrefflich. Darauf hei­ratete der König die Königin, und die beiden lagen einander nun nicht mehr in den Haaren, sondern küßten einander auf Stirn, auf Wangen und Mund und lebten noch lange Jahre glücklich und in Freuden … Ver­wünschter Unsinn! Seit den Ferien kommt mir die kopflose Königin nicht aus dem Kopf. Wenn ich ein schönes Mädchen sehe, sehe ich es ohne Kopf – und erscheine mir dann plötz­lich selber als kopflose Köni­gin … Möglich, daß mir noch mal einer aufgesetzt wird.

Friedrich Schiller schreibt im Brief vom 24. No­vember 1797 an Johann Wolfgang Goethe: Man sollte wirklich alles, was sich über das Ge­meine erheben muß, in Versen wenigstens anfänglich konzi­pieren, denn das Platte kommt nirgends so ins Licht, als wenn es in ge­bundener Schreibart ausgesprochen wird. Das mag ja alles sein. Kraus für sein Teil zählt jedenfalls die ›Kontroverse‹ zu seinen liebsten. Beispiel gefällig? Das Ge­dicht, das bislang noch nicht in einer Kutsch-Anthologie steht, schwingt bei mir und meinen Freunden Bensch und Kraus beim Lesen von Lyrik ganz oft unge­fragt mit, was, naturgemäß?, weitere ›Kontroverse‹ auslöst …

Das große Lalula
 
Kroklokwafzi? Semememi!
Seiokrontro – prafriplo:
Bifzi, bafzi; hulalemi:
quasti basti bo …
Lalu lalu lalu lalu la!
 
Hontraruru miromente
zasku zes rü rü?
Entepente, leiolente
klekwapufzi lü?
Lalu lalu lalu lala la!
 
Simarar kos malzipempu
silzuzankunkrei (;)!
Marjomar dos: Quempu Lempu
Siri Suri Sei []!
Lalu lalu lalu lalu la!
 
Christian Morgenstern

Lebenslauf · Leichtigkeit · lindgrüne Lufttänze · Lyrik

lehmslauf
 
wennsd aff di weld kummsd
gräichsd vuä deim geburds-
daddum ä schdernlä
wennsd schdirbsd ä kreizlä:
wos willsdn meä?
 
Fitzgerald Kusz

Ja, was will ich mehr? Was will ich mehr, was will ich mehr, man­ches will ich schon sehr, sehr. Beispielsweise : Lyrik – also:

Lufttänze

Sie stürzte und stand auf, setzte sich in Bewe­gung und fiel, er­hob sich, verlangte noch viel von den Füßen … Und wenn ihr an manchen schief hängenden Tagnächten nichts mehr gelang, war zumindest der Küstenwind da, der sie aufrich­tete. Aber nun schweigt seine wehende Zunge, und sie rührt sich von der Stuhl­kante, nur um auf dem sich weich anfüh­lenden Boden zu liegen.

Und umgekehrt. Je starrer der Rücken, desto rasender ihre Bli­cke, die auf dem Fensterglas bibbern und krabbeln, sich an den gealterten Stuckdecken stoßen, während ihr Hirn tot geglaubte Filmszenen auswirft, wie sie rudert, zum Beispiel, und den Flußweg der Klapperschnäbel durchkreuzt oder sich im spitz­gelben Heu wie eine Großkatze umwälzt, ein sinnlicher An­blick.

Sie erkennt sich wieder, und dennoch kommt es ihr vor, als sei sie nie so gewesen. Oder nur einsommerlang. Wie der über­schwängliche Maikäfer, ihr lindgrünes Haar durchstrei­fend. Gestern kehrte er zurück. Als wollte er nochmals vor­führen, wie sie aus sich, dem Überbleibsel, eine Lufttänzerin erschaffen könnte.

Mit welch einer Leichtigkeit läßt sich auf einmal der Stuhl zum Fenster schieben, ruft sie verwundert. Vielleicht lerne ich die passenden Drehungen schnell, und der Aufwind läßt mich dann fliegen.

Francisca Ricinski

Müll · Menschen · Möwen · Mütze · Mikrowelle

Unter Abfall bzw. Müll (schweizerisch auch: Keh­richt, österreichisch auch: Mist) versteht man nicht mehr benötigte Überreste im festen Zustand, was Flüssigkeiten und Gase in Behältern einschließt. Chemische Rückstände wer­den auch als Abfallstoffe bezeichnet. (Wikipedia)

Während ich Claudia Gablers Gedicht zu lesen beginn – Ich gehe durch die Straßen, als hätte ich den Müll / der ganzen Welt in mei­nem Kopf – schleichen sich, ungefragt, aus der Tiefe des inneren Rau­ms die Auftaktverse von Else Lasker-Schülers WeltendeEs ist ein Weinen in der Welt, / als ob der liebe Gott gestorben wär – heran und legen sich über die Gablerschen Wörter – ein faszinie­rendes Erleb­nis, das mich begeistert und nicht nur nicht vom Wei­terlesen dieses Gedichts ablenkt, son­dern jenes zusätzlich befeu­ert, und ich denk, lächelnd und frei nach Terentianus Maurus: Je nach Auffas­sungsgabe des Lesers haben die Gedichte ihre Schicksale.

Ich gehe durch die Straßen, als hätte ich den Müll
der ganzen Welt in meinem Kopf. Aber tatsächlich sind
meine Gedanken nur Punkte auf meinem Haus. Ich
 
ertaste die Fassaden und wünsche mir Handschuhe
aus Cashmere (so ist schon mancher Fuchs zum
Menschen geworden). Ich treffe auf ein Auto, das
 
allein seine Runden dreht. Das gibt mir Kraft und ich
mache ein Bild von uns zwei, das vom Reisen erzählt.
Im Hinterhof träumen die Möwen vom Strand, die
 
Töne dazu kommen aus der Mütze ihres Betrachters,
der wie ich ein Spaziergänger ist. Meine Mikrowelle
singt leise das Lied von der Berlin-Immobilie.
 
Claudia Gabler

Namen · Nimm · Nachtgeräusch

Name ist Schall und Rauch, Umnebelnd Himmelsglut. (Goethe · Faust)

Aus dem Alphabet der rund eintausendzweihundertneundundsechzig in Axel Kutschs 32 Lyrik-An­thologien versammelten Autorennamen springen mich Altschwa­ger · Buntrock · Cenefels · Dornheim · Eichhorn · Funke · Gutzschhahn · Heidebrecht · Ischebeck · Jungheim · Kudernatsch · Lichtenstein · Morgenstern · Nitzberg · Pockrandt · Quinkenstein · Rafflenbeul · Schröpfer · Tuckermann · Uhlenbruck · Vortmann · Wildenhain · Zornack besonders an, ich schreib sie auf, les sie laut, lausch, lach und jonglier: ›dorn‹ / ›horn‹ /›zorn‹ finden, wie von selbst, zusammen, ›fels‹ und ›stein‹, ›alt‹ und ›jung‹, ›hain‹ und ›stein‹, ›do‹ und ›isch‹, ›funke‹ und ›stein‹, ›berg‹ und ›heim‹, ›rock‹ und ›stein‹, ›vort‹ und ›nitz‹ …

nachtgeräusch
 
nimm meinen kleinen
vers an dich
 
mit diesem proviant komm durch
den lauten tag und leg
 
die stimmen ab, den staub
das raue tuch
 
nimm dir von meiner dunkelheit
so viel du brauchst
 
und bette dich
in meinen atem
 
Andreas Lehmann

Ohr · Opfer · Ortung ∙ Orte-Worte

Ich möchte die Gedichte schlichtweg verorten. (Björn Kuhligk)

Vielleicht sollte man das Konzept Orte abschaffen. (Uljana Wolf)

Ortung
 
Für Sigurd Paul Scheichl
 
Ein Rauschen im Ohr, es könnte
das Meer sein. Bald sind die Jungmöwen
flügge. Die Erinnerung sucht, was du nicht
 
sahst, als du es erlebtest und das nun
etwas anderes ist. Die See, gelangweilt fast, leckt
die Wunden ihrer Opfer, ist es Trauer, ist es
 
Verhöhnung? Nach heftigen Kämpfen
pissen übernächtigte Poeten ihr Bier
aus. Widersprüchliche Meldungen kommen
 
in Cabrios angerauscht, aus denen der Anhang
irgendwelcher Scheichs steigt. An der Erdachse
wird kräftig gebastelt, die Morgendrossel
 
knallt gegen die Fensterscheibe. Noch
verschlafen, suchst du deine Seele.
 
Franz Hodjak
 

zwischen den zeilen ∙ ist dada gar nicht mehr so weit weg ∙ abwe­sende vielfalt im dörflichen garten · im rinnstein · durch diese stadt der geisterfahrer · weit im festland · im fluß · zwischen den zweigen · auf dem rücken der naftaliberge · in der ägäis · liegen gleise blind in gräsern · uni­sono am fenster · im sonnenlicht an der wand · prachtvoll durch rußland · gänge treppen throne · taube thuja und mond ∙ am boden liegende muscheln ∙ das tal hinauf das tal hinab & über den berg · elbhang und rebe der pfad der hinausführt ∙ in den ängstebunker · über dem felsennest · made in china · aus schwangerem himmel · springt über den rand die dohle · in der bar st. tropez · unter den haufen­wolken · im wald · in der ausgesperrten landschaft ∙ dreht sich die erde indes weiter · hinter char­manten ecken · am tresen · im kino · im schatten des schilfs · in 300 millio­nen­städten · vom erdboden verschluckt · halt los im freien fall ∙ in gedächtnisgruben · und an den fensterscheiben laufen sich gesich­ter ab · die kom­plette wendel einer eisentreppe · den himmel ritzt der horizont · mit abrißbirnen reißen sie das himmelsgewölbe ein ∙ wir haben es nicht gewußt ∙ der vogel hinter glas kann nicht singen ∙ im schattentheater ∙ windräder drehen beschaulich ihre runden · auf die weiße lein­wand · am hinterkopf trennen sich die wege · die schornsteine des heizkraftwerks · laufen barfuß über stoppel­felder · bis zum

 
Bundesbeach Berlin
 
Übertragungsfehler meldet das iPad launig
Wie ein Bild das sich nicht übermalen lässt
 
Die Soprane quengeln
Reste von Roxy Music in der Luft
Ursula v. d. Leyen äußert sich erstmals zum Thema Intimrasur
 
Überall Lachsschlacke Spucksahne
Einige berichten vom Feuer im Fraktionsraum
Porzellanschweiß Piercings aus Nato-Draht
 
Und auch 9Live sendet nicht mehr
 
Markus Peters

Paar · Papageno · Poetische Plattform · Pferde · Poker · Pot · Prediger

park
 
der wollige schatten des pferds
auf dem fries
 
im kniehohen gras drunter
birnig gedanken
 
Heike Smets

»Wat is ene Sammelband?«, hör ich Physiklehrer Bömmel in der Feuerzangenbowle fragen, und ein neunmalkluger (angehender) Junglyriker von heute würd auf seine altkluge Art vielleicht (was naturgemäß auch ›vielleicht nicht‹ heißt, aber was heißt das schon …) so antworten: »Ein Sammelband ist eine Anthologie ist eine poetische Plattform.« Bömmel würd ob soviel Beredsamkeit wahr­schein­lich verdutzt gucken, grinsen und in seinem gemütli­chen rheinischen Akzent meinen: »Immer langsam mit de junge Pferde.« Womit sich der Witzbold gleich als feinsinniger Kenner deutscher Lyrik geoutet hätte. Stelle mer uns also mal janz dumm und saren eso: Die Anthologie ist Forum, Jahrmarkt der Eitelkei­ten, poetische Platt­form, Aussichts- und Leuchtturm.

Die Lyrik-Anthologie ist aber auch – Poker­runde: Die Lyriker setzen ohne Wissen um das Gedicht des Gegners vollen Einsatz auf die Gewinnchancen des eigenen Gedichts. Der Bluff spielt natur­gemäß auch beim poetischen Poker die Hauptrolle: Mancher Au­tor versucht die Co-Auto­ren durch verflucht forcierte Verse dazu zu bringen, aus dem Pot auszusteigen, obwohl er selbst ein eigent­lich schwaches Gedicht in der Hand hält. Beim Lesen kommt es zum Showdown, und jeder der tausend und hoffentlich mehr Leser entscheidet, welches Gedicht einem Paar, zwei Paar, Dril­ling, Straße, Flush, Full House, Vierling, Straight Flush oder gar Royal Flush vergleich­bar ist. Je nach Anthologie-Vari­ante hat der Herausgeber verschiedene Möglichkeiten, seinen Sam­melband zusammen­zustellen. Auch die maximale und die bevor­zugte Auto­renanzahl sind je nach Variante verschie­den.

In mancher mit allen Wassern des Mains gewaschenen Anthologie gewinnt nicht die beste Lyrik – High –, sondern die schlechteste – Low –. Wie? Wie? Wie? Ihr an diesem Schreckensort? Nie, nie, nie kommt ihr glücklich wieder fort, singen die drei Damen in der Zauberflöte. Nein, an solchem Port will ich mich denn doch nicht me­taphorisieren lassen, da schweig ich lieber, im Gegensatz zu Papageno, still.

My Pokerface
 
ringsum
nur geschiebe von
leinwänden der entwurf
einer groß
artigen landschaft mit
 
(blut und gedärm)
 
draußen fallen die blätter
innen blättert das leben
seine letzten herztöne
auf den tisch und
möchte sehen
 
Peter Ettl

Qualheimat · Qualm · Qualmwolke · Qualwolke

Umgangssprachlich wird dichter, undurchsichtiger und gegebenenfalls dunk­ler Rauch als Qualm bezeichnet. (Wikipedia)

Ohne die exorbitante Qualmwolke über Sistig am späten Vormittag des 9. April 2011, die Peer Quer und ich beim Verlassen des Hau­ses, ohne Ah­nung, daß ich kaum zwei Stunden später mit der Nie­der­schrift ei­nes Gedichts befaßt sein werde, unmittelbar als Qual­wolke emp­finden, wär das an dieser Stelle eingefügte Gedicht nicht qualm über sistig tituliert. Es hieße jedoch auch nicht so, wenn mir nicht das eng­lische Wort qualm in den Sinn gekommen wäre, das u. a. die Bedeutungen ›Skrupel‹ und ›Zweifel‹ hat. In ›Skrupel‹ steckt wiederum der ›Rüpel‹, der dieses große Feuer mit offenbar feuch­tem Holz und nassem Laub entfacht hat, in ›Zwei­fel‹ natürlich ›Ei­fel‹. Als Grübelmensch paß ich vielleicht ganz gut in diese rauhe Gegend, die ich zwar als Wahlheimat betracht, dabei auch – natur­gemäß – als Qual­heimat erleb. (Zunächst) fünf Tage lang tu und mach ich, bis es, irgendwann, zur vorlie­genden Form mit dem dreizeiligen Langvers findet.

Gern send ich neue Gedichte an den einen oder anderen befreun­deten Auto­ren­kollegen – im vorliegenden Fall an Axel Kutsch und Ulf Stolterfoht –, um lyrikdienliche Hinweise zu erhalten, die ent­weder meinen naturgemäß noch von der Euphorie des Schaffens­prozesses beeinflußten Ein­druck vom neuen Gedicht bestätigen – oder nicht. Das Feedback ist im vorliegenden Fall von der Art, die nicht als geheime Offenbarung eingeschlossen bleiben muß, so daß ich das Gedicht im Juli 2011 mit fünf weiteren als Angebot für den Abdruck in Vers­netze ein­reich. Axel Kutsch entscheidet sich schließlich für bensch ∙ endlich, blaupause · fortrocken und kraus – und nicht für

quer im qualm über sistig
 
gleich nach der schalen tsunamizornradioansage reiben tausende bur­katragende regie­rungstote augenstrahlende zeugen auf vertei­digen flüchtlingstruppen bei zu­sammenstößen asylarbien
 
mit wadenlosen rohgebärden gegen die draufgängri­sche elf der fe­mensteinwüste wo möglich kom­men islandkräfte zum grimmi­gen widerstandseinsatz rückkehr zur formalität geht weiter
 
fragt sich quer: sind massenkarambodemonstrationen gegen un­herrscher ver­gleichbar mit sehr be­fristeter nachbebenlage im viel­kampf­zer­fah­renen japan (klecks im akw onagawa) was grassiert
 
wenn regierung ungekühlt licht macht leiden kind und flegel schwer kopflose tote von adschdabija fukushima mad­rid paris rom smolensk tschernobyl bleiben im interview un­eins
 
über kryptonstrontiumtritiumuranschlammdammplage wer­den na­tospezi­alpup­pen gegen palästi­nenser­klage nur pro­testieren zwecks stratelegischem waf­fen­sparpaketatstreit mit ai weiwei
 
verschleppt goubattagarabo heitere ar­beiter im fatalen lampedu­sapflich­teinsatz be­schlie­ßen herzver­zerrte guerillagruppen blind of­fenbar ge­heime durchhaltepa­rolen [lauft ∙ rennt ∙ weg]
 
versprechen stellen übereinanderstürzende räuberzi­vilrebellen vage blutver­seuchte visa gau gau das schweigeminutenspiel ist gau­lands­meldungen der letz­ten ∙ sieben ∙ aktiven ∙ ruhetage

 

Rascheln ∙ Rausch · Rarotonga · Rhetorik · Rhythmus · Rostkopf · Rostzwerg

Benn, Eich, Huchel – read one line and you are in the domain of poetry. (Shafiq Naz)

Ich les Lyrik-Anthologien weiter­hin so, wie sie geliefert werden: von der ersten bis zu letzten Seite, gleichsam in einem Zug. Und auch die Lektüre von Versnetze_sechs versetzt mich nach wenigen Seiten in den Rausch, der hier zu beständigem kopfnickenden Be­jahen, dort zu kopf­schüttelndem (virtuellem) Bearbeiten von Ver­sen und Strophen führt. Da gibt es kein Halten mehr. Die Zeit des alle anderen über­ragenden grandiosen einzelnen Gedichts, das sich wie von selbst ein­prägt, scheint, längst, längst, vorbei zu sein. Sel­ten der Fall, daß sich ein Gedicht für 15 Minuten dermaßen in den Vordergrund drängt, daß es für alle Gedichte, die in den 15 Minu­ten danach geschrieben werden, zum Vorbild werden könnte. Ja, es wird viel geschrie­ben. Jakob van Hoddis erschrieb sich mit Welt­ende Welt­ruhm im deutschen Sprachraum. Die Anthologie mit dem Arbeits­titel: This Is Just to Say mit jeweils von den Autoren selbst ausge­wählten sechs bis acht Gedichten stell ich mir in die­sem Augen­blick vor, die mich vom Gegenteil dessen überzeugen könnte, was ich soeben ge­mutmaßt hab. So bleibt, wie Freund Kraus gern betont, letztlich stets alles

in der schwebe
 
kraus schlug ∙ in der tat brutal ∙ die augen auf
schon kam ∙ mittelwelle kanal sieben ∙ wie immer
die nachricht vom ende der welt
 
der held lachte ∙ dachte: na bravo
rieb sich ∙ allein zuhaus ∙ infam ∙ die hände
hörte posaunen von vogelsang
 
alsdann: hunger ∙ qualgefühl in der kehle
im kühlschrank blieb ∙ J ∙ kolossaler kracher ∙ die eine
blankgelbe ∙ blendend feine ∙ kleine mirabelle
 
kraus trug sie ∙ auf die schnelle ∙ ins schonzimmer
las weiter in der amsel von glanmore
und bat ∙ keine menschenseele ∙ um vergebung
 
daß er lebe

In der Anthologie »Beständig ist das leicht Verletzliche«. Gedichte in deutscher Sprache von Nietzsche bis Ce­lan, 2010 bei Ammann in Zürich erschienen, schreibt Herausgeber Wulf Kirsten im Nachwort: Jede noch so ausführliche wie jede noch so verknap­pende Gedichtsammlung muß zum Konstrukt geraten, gemessen an dem überreichen Fundus. Wie jede Gattung bedarf auch das Ge­dicht, das »die Beständigkeit des leicht Verletz­li­chen« (Oskar Loerke) in vielen Spielarten vorführt, mehr oder weniger kunstvoll variiert, einer Lebenskultur, auf der es zu gedeihen vermag. Diese wiederum trägt den pyramidenförmigen Bau, dessen Basis ge­meinhin außer Be­tracht bleibt. Doch ohne ein solches in die Breite laufendes Erprobungsfeld und ein entsprechendes geistiges Klima sind Gipfelleistungen schwerlich zu erreichen.

Inmitten des herdigen Rudels der Gedichte stoßen mich Wörter mit ihren Schnauzen an. In blaupause · fortrocken verwend ich das Wort rostkopf, bin deshalb in diesen Tagen möglichervor­zugsweis sensibilisiert für Rostwörter und stoß schon im ersten Gedicht in Versnetze_vier (von Andrea Brincker aus Banz­kow) auf verrostete posten, im zweiten (von Stephan Reich aus Berlin) auf blut schmeckt wie rostiges eisen, im dritten auf rostlos, ach nein, rast­los. So steckt Rost, ich weiß es wohl, in vielen Wör­tern, Phä­nome­nen. Find ich in den Gedichten Trost? Keineswegs verwun­derlich jedenfalls, daß ich in Saza Schröders 2011 in der Itzehoer edition footura black erschienenem und eben vom Post­boten aus­gehän­digten Gedichtbuch AchKindheitduschrecklicheSüße gleich am Anfang auf den Rostzwerg stoß. Wenig später klingelt’s erneut, Shafiq Naz, Herausgeber des deutschen Ly­rikkalen­ders, steht mit den Druckfahnen des neuen Kalenders vor der Tür, und zack, am 19. Januar schlägt’s schon wieder 13: In Christa Wißkirchens Ge­dicht Verirrter ICE steht der Rostzaun im Weg. So roste ich weiter vor mich hin und denk an Sarah Kirsch und die Droste. Und an Robert Frost. Und an Hendrik Rost. Vielleicht ein Gläschen Most? Glasnost. Was wohl bringt die Post? Vor ein paar Wochen wars Hansjörg Schertenleibs November. Rost. Aber zu­rück zu Versnetze, in diesem Fall Versnetze_fünf, in denen ich in Marlies Blauths hinterem Schrank, links den Rostgeruch einer Währung, die nicht mehr gilt, wahrnehme, während in Peter Kapps Gedicht ein Bagger mit rostiger Schaufel seiner Arbeit nachgeht. (In Daniela Danz’ ›flammneuem‹ Gedichtbuch V find ich die Verse wir treten leis in die Remise und rücken / was dort rostet vorsichtig ins rechte Licht …) Genug gerostet. Andres ist angesagt: In Jürgen Beckers Ge­dicht Fea­ture aus Versnetze hör ich, wie es ›raschelt‹ und ›Rolla­den runtergehn‹: Winter­gewitter und Seitenzahlen für leere Seiten / Raschelt es, sind es die Tauben im Laub / Kirschen kannst du nicht pflücken gehen / Rol­laden runter und die Katze haut ab … Und – wann wird schon mal ein Gedicht in Rarotonga mit Rhythmus, Rhetorik von Richard ge­schrieben? Ich find’s in Versnetze_fünf:

Überlieferung
                für Michael Hamburger
 
Chaos, das weite, gute, des Ozeans,
Aus dem, äolisch, Inseln sich lösen; viel
Später, zum ersten Mal, ein Sprechen,
Diesseits des Chors, von den eignen Nöten.
 
Alkäos, der von Stürmen, Seekriegen, sang,
Ist, bis auf Trümmer, untergegangen; es
Bleibt uns ein Rhythmus, träge, eilend,
Leicht wie der Wind auf der Insel Lesbos.
 
Hölderlin, auch gebrochen, vermochte nicht,
Die hochgeschwungne Bahn zu vollenden; doch
Noch in dem gelben Turm im Alter
Fand er Asyl in Alkäos‘ Strophe.
 
Hamburger, durch den Holocaust wurden die
Lebensgrundlagen gründlichst zertrümmert dir;
Darum dein Streben, alle Fäden,
Alle Freundschaften intakt zu halten.
 
Früh hast du jedes Versmaß der Welt beherrscht;
Doch das Mißtrauen gegen Rhetorik ließ
Karg deine Lyrik werden, schmucklos,
Stimme verdrängter Natur dann schließlich.
 
Im Krieg schon, sechzig Jahre lang, hieltest du
Hölderlin fest die Treue; nicht deinen Wunsch,
Sondern sein Metrum übertrugst du,
Noch als er, spät, bei Alkäos Trost fand.
 
                Rarotonga, Cook-Inseln, August 2010öldeHölHä
 
Richard Dove

Sammelband · Sandbank · Schatten · Schwermut · Spuk · Strom

Spuk
 
Schatten stürzt auf Schatten
     hinter vorgehaltnen
Händen hehres Gesicht
     Würgeengel auf den
Gemahl der Einsamen
 
Weißes Katzentier nur
     Hilfe gegen den Spuk
 
Manfred Peter Hein
 

In den Anmerkungen zu Ivo Ledergerbers Gedichten in Besuch bei einem Freund les ich: Thomas von Aquin (um 1225–1274), Domi­nikaner, Theologe, Philosoph. Empfiehlt gegen Grübelei und Schwermut beten, weinen, erkennen, Gespräche führen, schlafen, sich freuen und baden. Baden, ja, in Wörtern baden, auch Vers­netze befrein mich beim beinah ununterbrochenen Lesen der Ge­dichte von Grübelei und Schwermut, immer wieder schwappt eine Wörterwelle über mich hinweg, so daß ich, herrlich, den Boden unter den Füßen verlier, ich tauch ein und unter, wate durch Untie­fen, ruhe auf Sandbänken aus, um mich doch schnell wieder in die Versfluten zu stürzen. Und da ist sie wieder, die nicht zu brem­sende Leselust, die wegen allzuschlichter Gedichte auf dieser oder jener Seit, über die ich schnell hinweg­les, nicht vergeht, zu stark ist der Strom swingender Sequenzen, wuchtiger Wör­ter, flotter Verse in vielen originellen Gedichten.

Tag · Takt · Tausendfüßler · Tiere · Titel · Trinker · tiptop · Triesen

dass Tiere bilderbuchreif oder wie
aus dem Werbeprospekt einer Sekte um uns herum
schleichen mit einem Lächeln auf den Lippen Lippen
dass wir nicht aufhören uns langsam langsam
 
Kerstin Becker

Während ich über Words, like nature, half reveal and half conceal the soul within (Alfred, Lord Tennyson) sinnier, kommt die Post, und ich fisch Judith Scha­lanskys Bildungsroman Der Hals der Gi­raffe aus der Verpackung. Auf dem naturleinenen Cover ist neben Autor, Titel und Verlag die Röntgen­aufnahme einer Giraffe ohne Kopf zu sehn, die Tennysons Diktum auf merkwürdig be­eindru­ckende Art und Weise bestätigt. Ich leg das Buch zur Seite, greif zu Vers­netze und begeb mich auf die Suche nach Tieren. Wo sind Die Made, wo Der Panther, wo The Raven, und – taucht gar eine Giraffe auf? Frappierend, gleich im ersten Gedicht der Anthologie – im landhund­geheul: nirgends – bietet Andrea Brinc­ker Tiere in üppiger Fülle:

& ich sitze dort am fenster und ich werde
den hund sehn, seinen aufgedunsenen körper
im leeren rattenloch [kein ausstellungsthema]
verlassne hütten in schuppen/schichten
die tote katze unterm blechdach, sie hätte
doch man zierte sich

 Tatsächlich, da ist ein Panther. Ich entdeck ihn in einem Gedicht von Bertram Reinecke. Und dann geht es los: Im über weite Strec­ken auch immer wieder tierarmen Ver­lauf bevölkern Adler · Am­selin · Ar­chaeopteryx · Bär · Biene · Bus­sard · Drossel · Eber · Einhorn · Eintagsfliege · Eule · Fisch · Froschkönig · Gecko · Giraffe · Hahn · Haustier · Hering · Hummel · Imme · InsektenJurave­nator · Käfer · Kakerlake · Kana­rienvogelKinderschaf · Kniekehlchen · Kolibri · Kolkrabe · Korallen ∙ Krähe · Kranich · Krokodil · Kuckuck · Kuh · Larven ∙ Lachs · Laich · Li­belle · Löwe · Mam­mut · Maulwurf · Meerschweinchen · Meise · Men­schenaffe · Mondfisch · Möwen ∙ Nachtigall · Nashorn · Nerz · Pirol · Pythia · Rabenkrähe · Reh · Reiher · Rind · Rohrdommel · Säugetiere ∙ Schaf · Schäferhund · Schildkröte ∙ Schlange · Schmetterling · Schnecke · Schwalbe · Schwan · Silberfisch · Sperling · Spie­gel­flügler · Spinne · Süßwas­serforelle · Tanzbär · Tapir · Taube · Tau­sendfüßler · Termite · totes Tier · Tucan · Turteltaube · Vogel · Vögelchen · Vöglein · Wacholderdrossel · Wolf · Zebra · Zebra­fisch · Ziege · Zikade ∙ Zwerchka­ninchen und andres Getier in immer wieder verblüf­fenden Konnotationen, Kontex­ten und Kor­responden­zen unter Aufsicht des Tierbändi­gers in Frank Schab­lewskis Gedicht den Versnetze-Zoo.

Triesen
 
Geruch gärenden Geldes, verdächtige Kühe. leise
Gesten des Steinbrechs. die Hügel führn den Tag
hinters Licht auf lauter Straßen. am Kreisel küssen
sich, in Anfällen limegelben Widerscheins, recht
 
leidenschaftslos die Busse. geschlendert wird nicht
die Straßen sind lang, mit querverlegten Horizonten
alles so wohlbetoniert. so im Takt. die frühen Trinker
im Café: aus den Poren der Zeit gepreßte Bauern
 
deuten sie auf die Vorgärten: tiptop gepflegt
deuten sie auf den Himmel: der hängt an der Dialyse
deuten sie auf die Jugend: die dort skatet, tiefe Züge
 
inhaliert vom ewigen Frittierfettdunst des McDrive
wie die Jugend in aller Welt, auf den beschlagenen
Bildern unserer geliebten Überwachungskameras
 
Stan Lafleur

Uhrzeigersinn · Ulysses · übergroße Übertreibung

Auch die Leidenschaft für Gedichte ist eine maßlose Übertreibung der Gefühle. (Gerd Sonntag)

So what? Ich leb schließlich nur einmal, und bei all den Kümmer­nissen des Daseins, die mich immer und immer wieder herunter­ziehen wollen (wohin, frage ich mich, wohin), genehmig ich sie mir, dreimal täglich, wenn’s sein muß, gern aber auch rund um die Uhr, diese »maßlos über­trie­bene Leidenschaft für Gedichte«. Ich gönn mir ja, ehrlich und Hand aufs Herz, sonst nichts (au­ßer der vergleichbaren Leidenschaft für Romane). Nach der Lektüre von Versnetze ist es wie­der soweit, und Mrs Columbo kommt angerast, um zu sehn, was denn nun schon wieder los ist, als ich offenbar wild geworden durch die Bude hops.

officer
 
ulysses mit der weichen handschrift streut zucker auf den cappuccino.
im uhrzeigersinn sinken die kristalle in die haube von schaum.
übergroße braune tasse. ist er denn nicht im dienst
wie kann er sich ritual leisten & das vor allen leuten.
 
zuhause die klamme wäsche. sein trockner funktioniert nicht,
stromausfall. aber zurück wünsche er sich nicht. endlich sei der hund
gefangen. die lautstärke, wenn er tobte. habe sich im dorf aufgehalten
bei cousins. ja, das sehe denen ähnlich.
 
einer schneeflocke beim schmelzen auf meiner fingerkuppe zusehen.
beistehen bei der auflösung einer komplizierten form in einfacher,
überall erhältlicher wärme.
 
ulysses sucht die ausländische frequenz, eine art muezzin ertönt.
leiergesang auf die kaputte stadt, in die wir nicht mehr kommen.
ulysses wischt sich schaum aus dem schnurrbart.
 
Vesna Lubina

Versnetze · Vernetzung · Verbindung · Vorlauf · Vorwort

Der Vernetzungsgrad berechnet sich, indem die Zahl der Interaktionspartner und damit der überhaupt möglichen Interaktionen zur Zahl ihrer tatsächlichen Interaktionen in Beziehung gesetzt wird. (Wikipedia)

Versnetze schafft großräumige Verbindungen im deutschen Sprachraum und darüber hinaus: Die Vernetzung der Generationen und Regionen ist wieder, jeweils mit dem jüngsten Autor begin­nend, großräumig nach Postleitzahlbereichen vorgenommen wor­den – vom Osten (0/1) über den Norden (2/3), Westen (4/5), Süd­westen (6/7) bis in den Süden bzw. Südosten (8/9). Das finale Versnetz »Kleiner Grenzverkehr« enthält neue Gedichte von deutschsprachigen Lyrikern aus Österreich, der Schweiz, Frank­reich, den Niederlanden, Bel­gien, Finnland und den USA.

vorlauf
 
im vorlauf aller wege
rückwärts nach rom
spur der steine
liegen gleise blind in gräsern
bodengeländer eines marsches,
im sucher des nachtsichtgeräts
zeigt die infrarotstrahlung
das kommende futur
geflickte zunge
nächster track
 
Elke Cremer

Wir · Wasser (wahrhaft wahnhaft Wunderlich) · Wörter · Wörter · Wörter

Hin und wieder taucht Kastanie in Versnetzen auf, Kiesel oft. Auf der fortgesetz­ten, immerwährenden, unauf­hörlichen Suche nach klingenden, lautmalenden singenden, summenden Wörtern · Wör­tern · Wörtern in Gedich­ten, werd ich in Versnetzen immerfort fündig, stell 24 (uralte · brandneue) Wörter an die­ser Stelle aus: Aschezeit · Brausepulver · Cocktail · Drosselschmiede · Erdreich · Finger­knöchel · Ges­pensterbirke · Haar­büschel · Implosion · Juni­schnee · Knospenknall · Lippenschneise · Muschelscherbe · Na­delkissen · Opfer­stein · Plüschsessel · Quecksilbersäule · Röhricht · Sonnen­untergangsaugen · Taudttensch­tülle · Unzugänglich­keit · Vo­gel­stimme · Wolkenbruch · Zwangsbeatmung. Und springe nun ein­fach – mit Vera Schindler-Wunderlich –

Ins Wasser
 
Du meine Bewandtnis, wir saßen am
Rhein, sprachen ins Wasser und zählten.
Kronleuchter glühten grün am Ufer:
fünfzehn, Kiesel elefantengrau: vier
Hände voll, Arbeitsstunden: zahllos,
Schiffe: den Bauch einst voll mit Römern,
Germanen, Granit, Fleisch oder Holz.
Und welche Bewandtnis hat es mit
den feuerroten Kränen? Sie neigen
sich, sie füllen die Zeit mit Figuren.
 
Dreißig Kugeln Licht an der Decke,
sagte ich, beschienen dreißig Sprecher
und hundert vorübergehende Papiere
pro Tiger im Saal. Man beugte sich
und schwankte wie die Kräne: Ja, ja,
hin und her! Und welche Bewandtnis
hat es mit Anträgen, Schlüssen, Titeln
und mit den hellen Kugeln? Es waren
Kronleuchter, aber sie konnten sich nicht
durchsetzen. Fielen sie ins Wasser?
Was sollten wir denn tun?
 
Später der Himmel: als hätte man
Möhren, Malven und Zitronen in Licht
verwandelt, an die Decke geworfen
und wieder hinab ins Wasser, auf dem
Papierschiffe trieben.

Zeit(-Wörter) · Zeiger · Zorn · Zwangsbeatmung · Zwischen den Zweigen

 Zwischen den Zweigen / erscheint ein Gesicht / und verschwindet / für alle Zeit, les ich bei Clemens Schittko, Zeit nehmen für den russischen Tee, endet meine Michael-Ham­burger-Hommage still he is turning. Der amerikanische Autor Paul Zimmer empfiehlt: I urge this upon young poets when they ask me: Be patient with your careers and with your poems. It is fatal to rush the process. Lesern von Versnetze und anderen An­tholo­gien (oder dieses Essays), bei denen dieses Gedicht, jene Gewichtung, dieser Gedanke, jene Grü­belei Ungutgefühle wie Unmut, Ver­druß, Wut verursachen wollen, leg ich Theo­dor Fontanes Gutwörter ans Herz:

Überlass es der Zeit

 
Erscheint dir etwas unerhört,
bist du tiefsten Herzens empört,
bäume nicht auf, versuch’s nicht mit Streit,
berühr es nicht, überlaß es der Zeit.
Am ersten Tag wirst du feige dich schelten,
am zweiten läßt du dein Schweigen schon gelten,
am dritten hast du’s überwunden;
alles ist wichtig nur auf Stunden,
Ärger ist Zehrer und Lebensvergifter,
Zeit ist Balsam und Friedensstifter.

Was sind das für Versnetzzeiten? Windige Zeiten, les ich bei Mar­cus Neu­ert, bald ist teezeit bei Vesna Lubina, die Uhren tragen ihre Zeiger durch die Zeit bei Michael Wil­den­hain, in welche der zeiten / gerieten wir da bei HEL, die Zeit / pfeift / auf den Rollen­tausch / im Schwarzwald bei Mario Wirz, in Zeiten, / die Welt gemacht … bei Hans Weßlowski, gewickelt in Die Neue Zeit von gestern bei Christoph Kuhn, und wie die zeit sich verirrt, / zu irren vermag und wir bergen den tag vor der zeit bei Stefan Heuer, Zei­chen aus Zeiten in denen das Wichtigste nicht geschah bei Julietta Fix, zeitgleich trafen sich / zum nachmit­tags­konzil / die stare bei Reinhard Kiefer, kein Schatten wies die Zeit bei Ludwig Verbeek, der Staub ruht für gewisse Zeit bei Tobias Falberg, die Zeitplanung zerbricht bei Sabine Römmer, um diese Zeit fällt draußen Regen bei Adrian Kasnitz, die letzte instanz der zeit schweigt und schickt seine brandung aus bei SAID, sich Zeit nehmen bei Ralf Thenior, ein fein strukturiertes Lichtbild im Zeit­raum /der Farbe bei Jür­gen Nendza, Die grau verwitterte / Unruhe der Zeit durchsichtig wie eine / Lüge bei Volker Demuth, aus den Poren der Zeit bei Stan Lafleur, obdachlose Zeiten und in dunklen Zeiten bei Horst Sam­son, beizeiten ableben bei Nikolaus Dominik, erregte Zeiten und am Drehkreuz der Zeit bei Manfred Peter Hein, die Zeit läuft hinter unseren Rücken ab bei Irena Habalik, ich stand als Zeitgenosse für die ZEIT und er war zu sehr an Zeit und Reim gebunden bei Dieter Höss, wir fanden nicht die Zeit bei Raymond Dittrich, die Tot­zeit aus Zählrate minus / Zukunft bei Bar­bara Zei­zinger, Scheiterhau­fen als / Glühendes der Zeit / nacht­umkämmt / zwischen Zinne und /Vergissmeinnicht bei Otmar Matthes, Zeit alles abzuspeichern bei dag-mar, die Maschen der Raum-Zeit zer­riß bei Maximilian Zan­der, in der die Zeit mich / duldend vor sich schiebt bei Robert Schaus, das ge­dicht bannt nicht / deine zeit bei Christoph Leisten, und meine Sinne, /die du alle Zeit / betörst mit deinem Scheitel bei Jürgen Völkert-Marten, von urzeitlichem Ge­tier bei Me­lanie Arzen­heimer, termitenzeit bei Rainer Komers, Kerl, sie füllen die Zeit mit Figuren bei Vera Schindler-Wunder­lich, im Glast Asche­zeit unter den Füßen und zerrinnt die Zeit der Tauben im Nachtre­gen bei Willi Achten, reden in dieser / beispiel­losen Zeit bei Bri­gitte Fuchs, dreht sich die zeit um bei Andreas Noga, es ist längst Zeit bei Peter H. Gogolin, verflüssigt die Zeit / zu Wasser bei Frank Schablewski. So vergeht, verweht die Zeit beim Lesen der Ge­dichte, die Axel Kutsch in Vers­netze zu einem großen Ganzen ver­sammelt. Und indem ich mich, die letzten Sätze schrei­bend, kaum verharrend, Essay, Lesern adieu zu sagen, in Luft aufzulösen be­ginn, dem Gedicht das letzte Wort, das weite Feld überlassend, taucht unge­fragt, stracks aus dem Nebel­nichts, schließlich noch die nun nicht mehr zu beantwortende Frage auf: Vielleicht ist Leben, Lesen, Lyrik, letzten Endes, wie Danilo Poc­krandt in einem Ge­dicht in Vers­netze behauptet, ›nichts‹ als bloß: Täuschung // Die­ser Tag war Zwangsbeatmung / war das verlöschende Licht / in den Zweigen, vorm Haus / die Plakate, die Radiostimmen / jodelten weiter: ja wir sind klein / wir leben in unseren Köpfen / dünsten dreimal die Woche /Gemüse – nach dem Verstummen / wurde un­tergepflügt, roch / weit im Fest­land seltsam / nach Meer

 

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Anmerkung der Redaktion: Theo Breuers Porträt ist der zweite Teil des Essays Axel Kutsch spannt Versnetze übers Wortland und erschien zunächst in Matrix 36, die sich schwerpunktmäßig dem Lyriker und Herausgeber Axel Kutsch widmet; nach der Würdigung Friederike Mayröckers (Matrix 28) und dem Sonderband zu Hans Bender (Matrix 29) ist Matrix 36 die dritte von Theo Breuer edierte Matrix-Ausgabe.