Ein gelber schmutziger Himmel, ein gelber schmutziger Himmel ein gelber schmutziger Himmel, ein mieser gelber dreckiger, schmutziger Kölner Himmel, ein mieser Himmel, ein verdammter Scheißdreck von Himmel, ein mieser gelber schmutziger Kölner verfluchter elender Kackhimmel, ein von Lichtfetzen verkackter Himmel.
Rolf Dieter Brinkmann
In den sechziger und siebziger Jahren des 20. Jahrhunderts soll es Menschen gegeben haben, die Angst vor Rolf Dieter Brinkmann hatten. So haben Kölner Buchhändlerinnen angeblich Schweißausbrüche bekommen, wenn er den Laden betrat. Ein weichgespülter Zeitgenosse war er sicher nicht für seine Umwelt. Davon konnte auch Marcel Reich-Ranicki ein Lied singen. Der zornige junge RDB hatte nämlich 1968 in der Akademie der Künste in Berlin mit einem Buch auf ihn gezielt und dabei erklärt, dass er ihn erschießen würde, wenn dieses Buch ein Maschinengewehr wäre. Die lebensbedrohende Attacke mit bedrucktem Papier veranlasste den allgewaltigen, Bildschirme und Zeitungsseiten füllenden Großkritiker zu dem Urteil, dass Rolf Dieter Brinkmann »ein ungewöhnlich ordinärer und abstoßender Mensch« gewesen sei.
Offenbar ist die Angst vor RDB noch immer so groß, dass manche Germanisten einen weiten Bogen um das Werk des 1975 im Alter von 35 Jahren tödlich verunglückten Dichters machen. In der dunstigen Abgestorbenheit Kölns, wo er seit 1962 gelebt, gelitten und gelegentlich auch gewütet hat, gibt es sogar Deutschlehrer, die sich beharrlich weigern, seinen Namen überhaupt zu kennen. Wenn man sie auf Brinkmann anspricht, fällt ihnen allenfalls die Schwarzwaldklinik ein – und sonst nichts.
Ganz anders verhält es sich da bei ihrem Kollegen Dieter Liewerscheidt, einem Oberstudienrat für Deutsch und Geschichte. Er kennt nicht nur den Namen, sondern schreibt auch über die Poesie und die heutige Rezeption in der Öffentlichkeit des Autors von Westwärts 1&2 sowie weiterer Lyrik- und Prosabände. In der renommierten Germanistenzeitschrift Wirkendes Wort veröffentlichte er vor einiger Zeit unter dem Titel Pop und danach. Rolf Dieter Brinkmanns Lyrik in ihrem Dilemma einen Beitrag, der sich als das eigentliche Dilemma erwies. Liewerscheidt glänzte darin unter anderem mit einer Feststellung, die wenig Anlass bietet, ihm so etwas wie Durchblick zu bescheinigen: »Abgesehen vom Kultstatus in einer kleinen Fangemeinde genießt sein Werk heute den Bekanntheitsgrad eines Geheimtipps.«
Kleine Fangemeinde, Geheimtipp – man könnte solchen Unsinn ignorieren, wenn er nicht in einem angesehenen Fachblatt für Germanisten publiziert worden wäre und somit zur Meinungsbildung von Menschen beiträgt, die das geistige Niveau junger Leute erheblich mitbestimmen. Offenbar hatte Dieter Liewerscheidt bei seiner realitätsfernen Einschätzung Kollegen vor Augen, für die Brinkmann ausschließlich eine Fernsehfigur ist, die einst im Schwarzwald quotenträchtig liebte und operierte.
Diese Zeitgenossen gehören nicht zu den rund 22 000 »Fans«, die bisher Westwärts 1&2 gekauft haben – fraglos ein Bestseller in der Literaturgattung der kleinen Auflagen. Ihnen ist auch entgangen, welche Wirkung RDB gerade nach dem Erscheinen der erweiterten Neuauflage dieses legendären Lyrikbandes im Jahr 2005 hatte. So wurde 2006 ein Kinofilm mit dem Titel Brinkmanns Zorn fertiggestellt, der auch als DVD vorliegt und im WDR-Fernsehen gezeigt wurde. Außerdem gab es 2005 und 2006 in Bremen und Köln wochenlang Ausstellungen, in denen man sich über das Leben und Werk Rolf Dieter Brinkmanns informieren konnte. 2008 erschien in der edition text + kritik ein Band mit dem Titel Schnitte im Atemschutz, in dem Freunde und Weggefährten über ihre Erfahrungen mit ihm berichteten. Weiterhin tragen Lyrik- und Brinkmannkenner wie Theo Breuer oder Jan Volker Röhnert mit ihren Beiträgen über Leben und Werk des Dichters bis in unsere unmittelbare Gegenwart dazu bei, dass er nicht nur von einer kleinen Fangemeinde wahrgenommen wird. Kaum noch zu überblicken sind die zahlreichen Zeitungs-, Zeitschriften- und Lexikonartikel, die sich bis heute mit ihm befassen. Und auch für Autoren der jungen Generation bieten die Werke des ungestümen Genies anregende Bezugspunkte, so unter anderem für Gerald Fiebig, Norbert Lange, Tom Schulz und Jan Wagner.
Wenn es Germanisten gibt, die nicht einmal seinen Namen kennen, bedeutet das also keineswegs, dass Brinkmanns Werk heute den Bekanntheitsgrad eines Geheimtipps genießt. Vielleicht sollte Dieter Liewerscheidt einmal über den Gartenzaun schauen. Dort gibt es eine Farbe, die sich erheblich von den tristen Grautönen mancher Kollegen unterscheidet – sozusagen ein anderes Blau.
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Anmerkung der Redaktion: Dieser Kommentar erschien ursprünglich in der Literaturzeitschrift Matrix 36, deren Schwerpunkt dem Lyriker und Herausgeber Axel Kutsch gewidmet ist.
Weiterführend → Ein Blick ins KUNO-Archiv: Lesen Sie auf KUNO eine Betrachtung der Jugendsünden des RDB. Aufzeichnungen eines Abgeschriebenen von Jamal Tuschik. Einen Besuch des RDB-Hauses, von Enno Stahl. Auch Sophie Reyer hat sich in der Domstadt auf die Spuren von RDB begeben. Einen Artikel über Das wild gefleckte Panorama eines anderen Traums, Rolf Dieter Brinkmanns spätes Romanprojekt, von Roberto Di Bella. Theo Breuer gelingt es, dem Mythos nachzuspüren, eine angemessenere Würdigung Rolf Dieter Brinkmanns wird man kaum finden!