Literatur, die sich nicht mehr auf die Seiten eines Buches bannen läßt…
ORF 1991
Der Rock-n-Roll ist das Leitmotiv für den Ausbruchsversuch. Viel wurde in den letzten Jahren über Popliteratur geschrieben, Widersprüche durchziehen dabei Selbstverortungen. Die Referenzpunkte sind durchsetzt von Alltags- und Popkultur, Spezialisten- und Nerdwissen. Ein weithin unbeachteter Aspekt ist dabei, daß maßgebliche Impulse für die Entstehung einer Popliteratur vom Rheinland ausgingen. Am Anfang standen die Autoren und Übersetzer Rolf Dieter Brinkmann und Ralf-Rainer Rygulla, die ab Mitte der 1960er Jahre in Köln lebten und von hier aus mit der legendären Anthologie Acid der amerikanischen Beat- und Untergrund-Literatur deutschlandweite Aufmerksamkeit verschafften. Sie machten Literatur zum Sprachrohr einer Radikalkritik an den Verhältnissen.
Pop als distinktiver intellektueller Selbstentwurf
In Düsseldorf betrieben A. J. Weigoni und Frank Michaelis im Akademie-Umfeld mit der Literatur eine multimediale Hörspielerei zwischen Performance, Theater und Lesung. Bereits 1991 legte dieses Duo die zum Schlagwort gewordenen Literaturclips vor. Diese unabhängige Literatur changiert zwischen Ausgrenzung und Respekt. Den Hörbuchpionieren kommt damit das Verdienst zu, die Lyrik nach 400 Jahren babylonischer Gefangenschaft aus dem Buch befreit zu haben.
Als geformte Performance bezeichnete Thomas Kling das Hörbuch, hier trenne sich kurz und schmerzlos die Spreu vom Weizen. Deshalb solle den Mund halten, wer nicht ‘vorlesen’ kann, oder zu faul zum Üben ist.
Diese Literaturclips mögen heiße Luft sein, sind aber angereichert mit purem Sauerstoff. Sauerstoffhappen, eher Häppchen, die den Ohrganismus am Überleben halten. Das frühzeitige Erkennen, daß in der Kürze der einzelnen Beiträge der Erfolg zum langen Atem liegt – beim Produzenten vielleicht, beim Zuhörer gewiss – ist sehr hoch anzurechnen. Mit der Kürze entsteht eine Konzentration auf das Elementare. Sie hören ein Denkspiel über Pop, das selbst Pop ist, weil es Pop als körperverwandelndes Medium versteht und Popgeschichte als Mediengeschichte.
Pro Minute werden bei Youtube 300 Stunden neues Videomaterial hochgeladen. Wer soll sich das alles ansehen?
Anschaulich zu betrachten in einem Video. Beinahe verschwörerisch rezitiert Weigoni den Schwebebahn-LiteraturClip. Michaelis bläst ein Saxophon, dessen bewußt blecherne Schwüle leicht eine ganze New Yorker U–Bahn–Station unterhalten könnte. Wahrscheinlich haben sich die Artisten deshalb beim Dreh zwischen Vohwinkel und Barmen so heimisch gefühlt.
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Zuletzt erschienen →
Wortspielhalle, eine Sprechpartitur von Sophie Reyer & A.J. Weigoni, mit Inventionen von Peter Meilchen, Edition Das Labor, Mülheim 2014
50 Jahre Krumscheid / Meilchen & Der Bogen, die Ausstellung ist noch bis 12. Mai 2014 im Kunstverein Linz (Asbacherstr. 2, 53545 Linz) zu sehen.
Es ist eine Vorzugsausgabe von 10 Exemplaren mit einer Graphik von Peter Meilchen und Haimo Hieronymus erhältlich. KUNO rät sich dieser Preziose rechtzeitig zu sichern.
Weiterführend →
Zur Ausstellung 50 Jahre Krumscheid / Meilchen ist das das Buch / Katalog-Projekt Wortspielhalle erschienen, ergänzt durch die Reihe Frühlingel von Peter Meilchen und einem Vorwort von Klaus Krumscheid. Die Sprechpartitur wurde mit dem lime_lab ausgezeichnet. Einen Artikel über das Konzept von Sophie Reyer und A.J. Weigoni lesen Sie hier. Vertiefend zur Lektüre empfohlen sei auch das Kollegengespräch :2= Verweisungszeichen zur Twitteratur von Reyer und Weigoni zum Projekt Wortspielhalle. Ein begleitender Essay findet sich im Bücher-Wiki. Ein Porträt von Sophie Reyer findet sich hier. Ein Porträt von A.J. Weigoni findet sich hier. Eine Würdigung des Lebenswerks von Peter Meilchen findet sich hier. Alle LiteraturClips dieses Projekts können nach und nach hier abgerufen werden.