Beziehungen und Literaturzeitschriften / dauern meist nur zwei Nummern lang
Fabián Casas
Vorbemerkung der Redaktion: Wir stellen auf KUNO hin und wieder Literaturzeitschriften von, zuletzt die Matrix. Heute stellen wir Ihnen eine Zeitschrift für Literatur vor, die seit 1981 erscheint. Der Dichtungsring entstand im Umfeld der Universitäten Bonn und Bochum und wird heute von einer im Bonner Raum angesiedelten Autorengruppe herausgegeben. Ein Schwerpunkt ist die Unterstützung interkultureller Kommunikation durch Veröffentlichung von Texten aus anderen Literaturen. Die französischen, englischen, russischen, katalanischen, schwedischen, spanischen, portugiesischen, italienischen und rumänischen Texte erscheinen dabei meist mit deutscher Übersetzung. Die Inhalte sind nicht auf bestimmte Gattungen beschränkt, ordnen sich aber den für die einzelnen Hefte gegebenen abstrakten Themen (z. B. „Empörung“, „Körper“) zu. Zur Historie lasen wir einen Artikel von Ulrich Bergmann, für die aktuelle Ausgabe gibt die Herausgeberin Francisca Ricinski-Marienfeld einen Einblick:
„Begegnungen – ein Thema mit einer gewaltigen Spannweite. Darunter konnten Schwingungen, Interferenzen von Bahnen, Beziehungsalchemien und haftende Erinnerungen, schicksalhafte Vektoren und noch vieles mehr Platz finden, auch wenn bei der beachtlichen Menge der Einsendungen für die aktuelle Ausgabe die Gefahr einer kunterbunten Beliebigkeit drohte. Die leichte Patchwork-Farbgebung aber verblasste und verschwand in dem Moment, als sich mir die Abfolge einzelner Texte oder Sequenzen (unabhängig von Gattung und persönlichen Stilmerkmalen) wie ein einzigartiges Langgedicht offenbarte, oder, um Urs Widmer zu zitieren, wie eine sich schlängelnde Geschichte „vom Leben, vom Tod und vom Übrigen, auch dies und das”, mit vielen Ausläufen und unterschiedlichen Ausgängen. Es geschah wie bei der Mündung mehrerer Quellen in einen größeren Fluss mit befruchtendem Delta. Aus disparaten, untereinander fremden Begegnungsstories oder Szenarien, lyrischen Zeugnissen oder Streifzügen und Kunstbildern entstand – mit wenig Einwirkung von außen – eine kontrapunktische Ganzheit, mit den Eigenschaften eines mentalen Fluidums. Aber nicht nur. Ein sinnliches Hinübergleiten in die Buchstaben der Seelen- und Körperlandschaften mag diese gleichzeitig absorbierende und durchlässige, multifokale Begegnung auch sein. Schattenwerfende Ereignisse und Lichtbögen in einer effektvollen Dispersion paaren sich hier nicht selten. Rätselhaft, melancholisch, reflexionsreich, skurril, surreal, zynisch, bedrückt, furchtsam wirken meist Blicke, Stimmen oder Gestalten derer, die ihre Begegnungen evozieren oder auf ein neues Etwas warten, aber nur das eigene Selbst treffen. Menschen, Bäume und Tiere, Liebende und Hasserfüllte, Zerstörer, Gescheiterte, Einsame füllen im Wechsel, neben himmlischen Mächten und seelenlosen Dingen, die symbolische Bühne, auf der sie atmen, sich hinaufschwingen und fallen, sich erinnern und sprechen und dann den Vorhang herunterziehen, um sich auf einen letzten Reigentanz vorzubereiten, mit der tröstlichen Vision einer Wiederkehr des Frühlings. Alles wirkliche Leben ist Begegnung, meinte Martin Buber.In diesem Zusammenhang sollte auch die mehrsprachige Hommage an die verstorbene Dichterin Elisabeth Borchers rezipiert werden. Ebenso Alfons Knauths Nachruf auf Pierre Garnier, den pikardischen Poeten des Spatialiasmus.
Zwischen 1989 – 2008 hat Garnier intensiv mit unserer Redaktion zusammengearbeitet. Im Anfang war das Licht, L´Europe, 14 konstruktivistische Poeme, Ein Requiem, Ein Fragment der Welt, Vokal und Konsonant und Der Arme Poet heißen die von ihm in sechs Dichtungsring-Ausgaben veröffentlichten Werke. Die Fotocollage Und dazwischen das Cembalo in der zusätzlichen Online-Ausgabe will die Erinnerung an einen einzigartigen Künstler – den Organisten, Lyriker und Komponisten Peter Bares – festhalten. Ja, Sie haben richtig gelesen: Neben dieser Printausgabe gibt es diesmal auch eine digitale Zusatznummer von ähnlichem Wert und mit analoger Struktur, die auf unserer Website erschienen ist. Denn es gab so viele interessante Texte und Bilder, die sonst in unserem Archiv oder sogar im Papierkorb gelandet wären. Ein anderer Herausgeber hätte wahrscheinlich eine andere Auswahl getroffen. Feste Beurteilungskriterien und persönliche Affinitäten agieren quasi immer zusammen. Mein Dank richtet sich jedoch an alle Autoren aus Deutschland und anderen europäischen Ländern, die uns ihre Werke zugesandt haben!
Schon beim Entwerfen hilfreicher Hinweise und Anregungen zum Thema Begegnungen oder bei der Festlegung meiner Vorgehensweise, vor meiner allerersten Beschäftigung mit den erhaltenen Texten, wusste ich, dass kein Thema sich völlig ausschöpfen lässt. Daher lade ich die Freunde unserer Literaturzeitschrift dazu ein, diese meine Fassung und Auffassung mit ihren eigenen Vorstellungen und Inhalten virtuell zu bereichern und weiterzuführen, auch wenn die Texte dieser Ausgabe keine Volksballaden sind und auch keine Sagen.“
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Dichtungsring Nr. 43 Online, 2014 Gegründet 1981 von A. Knauth et al.
Herausgeber dieser Nummer Francisca Ricinski-Marienfeld
Redaktionsadresse: Dichtungsring e.V., c/o Ulrich Bergmann, Rudolf-Stöcker-Weg 26, 53115 Bonn
E-Mail: redaktion@dichtungsring-ev.de