Ein dicker Junge spielt mit einem Teich.
Der Wind hat sich in einem Baum gefangen.
Der Himmel sieht verbummelt aus und bleich,
Als wäre ihm die Schminke ausgegangen.
Auf lange Krücken schief herabgebückt
Und schwatzend kriechen auf dem Feld zwei Lahme.
Ein blonder Dichter wird vielleicht verrückt.
Ein Pferdchen stolpert über eine Dame.
An einem Fenster klebt ein fetter Mann.
Ein Jüngling will ein weiches Weib besuchen.
Ein grauer Clown zieht sich die Stiefel an.
Ein Kinderwagen schreit und Hunde fluchen.
Alfred Lichtenstein nahm als Freiwilliger von Beginn an am Ersten Weltkrieg teil und schreibt unter dem Eindruck der Kriegserlebnisse in seinem Gedicht »Abschied« die Zeile: »Vielleicht bin ich in dreizehn Tagen tot.« Am 25. September 1914 fällt Alfred Lichtenstein an der Westfront.
Dieses Gedicht zählt zu den bekanntesten expressionistischen Gedichten der deutschen Literatur. Es ist zuerst am 18. März 1911 in der Zeitschrift „Der Sturm“ erschienen. Lichtenstein gilt als „Vollender und Popularisator des Reihungsstil-Gedichts“, Die Dämmerung ist dafür ein gutes Beispiel. Das exemplarische expressionistische Gedicht erinnert an das kurz zuvor entstandene Gedicht „Weltende“ von Jakob van Hoddis, wobei Lichtenstein „in seinem Gedicht die Reihe der kleinen und großen Katastrophen, die auf das ‚Weltende‘ hindeuten, auf eine Grundbefindlichkeit der expressionistischen Generation kurz vor dem Ersten Weltkrieg zurückgeführt hat: auf die Erfahrung, in einer verrückt gewordenen Welt zu leben“
Weiterführend → Poesie zählt für KUNO weiterhin zu den identitäts- und identifikationstiftenden Elementen einer Kultur, dies bezeugte auch der Versuch einer poetologischen Positionsbestimmung.