Mein Klassiker, der Marathon

Vorbemerkung der Redaktion: Für das Projekt Kollegengespräche hat A.J. Weigoni einen Austausch zwischen Schriftstellern angeregt. Auf KUNO ist diese Reihe wieder aufgelebt. Mit dem Künstler Mischa Kuball teilt der Romancier den Dauerlauf.

A.J. Weigoni: In der Reihe „Mein Klassiker“ ist Deine Wahl auf den Dauerlauf (Neudeutsch: Joggen) gefallen. Haruki Murakami formuliert als vermeintlichen Hauptaspekt des Marathonlaufs: „Die Qual ist eine unvermeidliche Tatsache, sie zu ertragen oder nicht, bleibt jedoch dem Läufer überlassen.“ Wahrscheinlich gibt es keinen Läufer der einen Marathon bis zum Ende ‚geniessen’ kann. Wie schaut es bei Dir aus?

Mischa Kuball:  Bei Murakami – übrigens in völligem Ruheszustand erlesen – ist mir das Laufen fast vergangen (sic!) er gestaltet ihn als eine matter over matter battle, das erlebe ich nicht, nicht an mir – nicht an den ‚Mitläufern’. Zum zweiten gehe/laufe ich nicht an einen Punkt, wo die Füsse bluten, das Herz bollert u das Hirn auf die Notfunktionen reduziert ist… ich laufe u geniesse die Landschaft und die Gespräche – bis derzeit zirka 25 Km… was danach kommt wird sich zeigen – vor zwei Jahren habe ich noch nicht einmal gewusst, dass ich mehr als eine Stadionrunde laufen könnte…

Weigoni: Da dieses Vorhaben eine Regelmässigkeit voraussetzt, wie viel Disziplin braucht es, um in die Laufschuhe zu kommen?

Kuball: ich habe es für jeden Morgen im Auge – das ist der Anfang, denn meistens geht es auf – d.h. 3-5 mal die Woche kann es also passieren!

Weigoni: Das Buch von Murakami ist nicht frei von Kitsch: „Die Gedanken, die mir beim Laufen durch den Kopf gehen, sind wie die Wolken am Himmel. Wolken in verschiedenen Formen und Größen. Sie kommen und ziehen vorüber.“ Sollte man beim Laufen das Denken nicht eher vermeiden?

Kuball: Denken ist ja an sich eine eigene Kategorie des Seins – soll heissen, warum soll ich beim Laufen an ‚Laufen’ denken und ebenso nicht auch an alles andere?

Weigoni: Vielleicht denn doch eines nicht, man sollte nicht das Denken hunterdenken, könnte ungesund sein;-)

Kuball: deshalb nehmen die Gedanken ihren eigenen ‚Lauf’ – alles wird in Betracht kommen – darauf nehme ich keinen bewussten Einfluss!

Weigoni: Ein verwandtes Wort von Dauerlauf ist der Leerlauf. Führt das Laufen notwendigerweise dazu den Ballast des Denkens abzuwerfen?

Kuball: Leerlauf ist ja eine doppeldeutige Begrifflichkeit – zum einen definiert sich ein machinistisches Bild damit – etwas ist in Bewegung ohne das sich ein unmittelbares Ziel erkennen lässt, zum anderen aber beschriebt es einen Zwischenzustand, zwischen zwei Situationen – also ein Moment des ‚nach’ vor dem  nächsten Tun. Aber Dauerlauf verstehe ich eher als ‚Hamsterrad’ oder das von mir deutlich gemiedene ‚Laufband’ – nein es geht eben nicht um Wiederholung, sondern um das Bewusstsein, das jeder Schritt neuen Boden betritt – wenn Du das in der Konsequenz zulässt, bist Du schnell bei der Qualität einer ‚dynamischen Meditation’ – ein Begriff entlehnt der Psychoenergetik eines Alexander Lowens der 1970er Jahre. )*

Weigoni: Der Dauerlauf ist ebenso verwandt mit dem Durchhalten des Künstlers, wie schöpfst Du den langen Atem?

Kuball: Dauerlauf, Durchhalten, langer Atem, das sind Zuweisungen von aussen, denke ich, größtenteils sollen sie doch letztlich einen deutlich wichtigeren Aspekt verschleiern: dass sich einer seiner Sache sicher scheint und unbeeindruckt von Moden dran bleibt; Du hast ja selbst seit 30 Jahren die Rolle eines AntiPoden eingenommen um Deine prosaische Haltung zu wahren – oder?

Weigoni: Du spielst auf die Vignetten an, mit dieser Novelle war ist allerdings im Schneckentempo unterwegs.

Kuball: Wäre denn ‚langer Atem’ eine adäquate Beschreibung dafür?

Weigoni: Durchhalten beinhaltet immer auch Durchpusten, pathetisch gesagt: Atem schöpfen. Heutigentags sagte man: Entschleunigen. Bewusst doppeldeutig wie der Heidedichter in die „L(a)endlichkeit“! verwies.

Kuball: Ich finde zum Beispiel Arno Schmidts Bargfelder entschleunigte Beobachtungen für meine Art der Fort-Bewegung deutlich griffiger…

Weigoni: Dieser Outlaw konnte sich entlang des so genannten „Hominidenstreifen“ in der Gelehrterepublik verabschieden. Mit umgekehrter Blickrichtung vom Mond auf die Erde. Can you hear me major tom?

Kuball: klar, der sound von LOW klingt nach – eine interstellare Kontaktaufnahme.

Weigoni: Betrachtet man die Entfernung, die das Licht braucht, um von der Sonne zur Erde zu gelangen, hats schon etwas Zeit nötig. Wie wichtig ist das Verhältnis von Zeit und Raum in Deiner Arbeit?

Kuball: Du weißt ja dass ich ohne künstlerische Ausbildung einen Zugang zu den Fragen von Raum-Zeit-Licht gesucht habe; natürlich hat man in einer Region wie dem Rheinland deutlich viele Impulsgeber – von der Zero-Bewegung bis zu Joseph Beuys, von Hilla und Bernd Becher bis zu Nam June Paik  – dazu kam mein Interesse am Bauhaus in Weimar und Dessau – das verkürzt deutlich die Zeit die das Licht der Sterne bis zu unserem Auge braucht.

Weigoni: Ist es für einen Künstler wichtig, den einmal erarbeiteten Formenkanon durchzuhalten oder sollte es gelegentlich mal auf den Holzweg geraten?

Kuball: ach, das ist doch klar, wer schon weiss was hinten raus kommt, muss doch vorne nichts mehr tun; ich kann daran kein künstlerisches Risiko erkennen; mein Verhältnis zu Laufen zum Licht, zur Literatur u Musik steht doch ständig auf dem Prüfstand – es gibt ja eben nicht DIE Kunst DIE Musik, etc. – sondern ein stetes Hinterfragen – das muss man ja  nicht zum dogmatischen Prinzip erheben, ebenso wenig das Recht auf Scheitern als Bauchbinde vor sich her tragen – vieles müssen u sollten wir auch mit uns und unseren engsten Freunden ausmachen – da spielt der ‚Bodenbelag’ eine untergeordnete Rolle!

Weigoni: Auch das künstlerische Vorhaben setzt eine Regelmässigkeit voraussetzt, wie viel Disziplin braucht es, um ein Kunstwerk umzusetzen?

Kuball: also wenn Du Dir wirklich selber sagen musst, dass Du jetzt Disziplin brauchst hast Du ein Problem

Weigoni: Allerdings, es heisst: Zeit!

Kuball: es ist dem Denken übers Denken ähnlich… oder auch dem Reden übers Laufen…

Weigoni: Jeder Läufer ist irgendwann mal angekommen, auf welchem Laufweg kommt die Idee zur Kunst?

Kuball: ehrlich? Bei Regen, der Klang der nassen Strasse – das finde ich anregend u inspirierend – aber eben manchmal auch so wie bei Schmidt – der unerwartete Einblick in einen bürgerlichen Kleingarten mit Schmiedearbeiten  – you never know!

 

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Weiterführend →

→ Lesen Sie auch das Ateliergespräch von Prof. Dr. Matei Chihaia mit Mischa Kuball.

* Bio-Energetik-Praxis, Bioenergetische Übungen (nach Alexander Lowen), Sufi-Gymnastik, Dynamische Meditation. Schwieger, Cäsar: Published by Frankfurt/ Main, Werner Flach KG, 1977)