Briefmarken waren die Universität des kleinen Mannes.
Jochen Schmidt
Es gab ihm Vorfeld der Publikation von A.J. Weigonis erstem Roman eine spannende Diskussion über das Titelmotiv. Einig waren sich die Herausgaber uns nur, daß die Neuerscheinung am Tag der Erstausgabe vorgestellt wird. Für das Cover kamen zwei Motive in die engere Wahl von denen ich den hier gezeigten Markenblock favorisierte. Weigoni und sein Lektor Holger Benkel setzen das Für und Wider des Funkturmmotivs auseinander. KUNO zitiert aus einem Brief des Lektors an die Redaktion:
„tatsächlich dachten in der ddr nur wenige darüber nach, welche briefmarken sie verwenden. den meisten ddr-bürgern, die gewiß andere alltagsprobleme hatten als das briefmarkenkleben, war das ziemlich egal. sie nahmen, was die post ihnen gab. selbst kritisch denkende menschen benutzten teilweise pop-artige jahrestagsmarken und achteten offenbar nicht darauf. ich begann anfang der 80er jahre damit, die marken bewußt auszuwählen. dafür mußte man möglichst kurz nach ihrem jeweiligen erscheinen ins postamt gehen und gezielt danach fragen. andernfalls bekam man meist bloß standartmarken. allein diesen aufwand dürften viele gescheut haben. ich fand die agitatorischen popart-marken zu unästhetisch und nahm dann lieber briefmarken mit dichtern, theaterregisseuren, malern, komponisten, märchenmotiven, musikinstrumenten, museen, rathäusern, leuchttürmen, lokomotiven, flugzeugen, tieren, pflanzen oder gesteinen. im vergleich zur bescheidenen gestalterischen qualität anderer ddr-produkte waren manche briefmarken erstaunlich originell.“
Was für sich Benkel als Propaganda darstellte, rezipierte Weigoni als Pop-Art, er sah darin den Vorläufer der Ästhetik, die Neo Rauch produziert. Als Kompromiß stellte sich die Anregung des kundigen Philatelisten Haimo Hieronymus dar, die Motiv nicht postfrisch zu präsentieren, sondern mit einem Stempel zum 40. Bestehen der DDR zu entwerten. Und so erschien dieser Roman am Jahrestag des Mauerbaus. Der Rest ist Geschichte.
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Abgeschlossenes Sammelgebiet, Roman von A. J. Weigoni, Edition Das Labor, Mülheim 2014 – Limitierte und handsignierte Ausgabe des Buches als Hardcover.
Weiterführend → Zur historischen Abfolge, eine Einführung. Den Klappentext, den Phillip Boa für diesen Roman schrieb lesen Sie hier. Eine Rezension von Jo Weiß findet sich hier. Einen Essay von Regine Müller lesen Sie hier. Beim vordenker entdeckt Constanze Schmidt in diesem Roman einen Dreiklang. Auf der vom Netz gegangenen Fixpoetry arbeitet Margretha Schnarhelt einen Vergleich zwischen A.J. Weigoni und Haruki Murakami heraus. Eine weitere Parallele zu Jahrestage von Uwe Johnson wird hier gezogen. Die Dualität des Erscheinens mit Lutz Seilers “Kruso” wird hier thematisiert. In der Neuen Rheinischen Zeitung würdigt Karl Feldkamp wie A.J. Weigoni in seinem ersten Roman den Leser zu Hochgenuss verführt.