Eitel Tupfen der Anreger

  1. Eitel Tupfen ist Romantiker.
  2. Eitel Tupfen in der Selbstdarstellung: Eitel Tupfen ist ein Ersatzteillager.
  3. Eitel Tupfen hat viele Sachen im Hinterkopf.
  4. Eitel Tupfen misst grundlos und täglich seine Körpertemperatur.
  5. Eitel Tupfen liebt es, wenn er über sich selber redet, in Verkleinerungsformen zu sprechen. So hat Eitel Tupfen, trotz Grösse 52, Füsschen.
  6. Eitel Tupfen wechselt nach wichtigen Ereignissen seines Lebens die Farbe seiner Bettwäsche sowie die Marke seiner Seife.
  7. Letztes unspektakuläres Ereignis im Leben von Eitel Tupfen: Eitel Tupfen ist unverhofft eine Verpflichtung mit Konsequenzen eingegangen.
  8. Eitel Tupfen will, dass diese Formel praktisch umgesetzt wird: 1 Instrument pro Haushalt, 1 Klavier pro Restaurant, 1 Kleinformation pro grösseren Wartesaal.
  9. Eitel Tupfens Hobby: auf Demonstrationen gehen.
  10. Eitel Tupfen ist Eitel Tupfen.

Eitel Tupfen hat sowohl zuviel als auch zu wenig Energie. Damit wäre Eitels Problem bereits auf den Punkt gebracht. Zu viel Energie deshalb, weil Eitel vor Ideen nur so quillt und sobald es sich ergibt, schiesst Eitel seine Erleuchtungen in alle Welt hinaus. Zu wenig Energie hat Eitel deswegen, weil sich die Inspirationen in alle Welt verlieren und damit nicht zur konkreten Blüte aufkeimen. Man muss keineswegs Mitleid mit Eitel haben, dass Eitels Gedankengut so schrecklich vom Weg abkommt, denn quasi ohne Unterbrechung wird Eitel von Geistesblitzen getroffen. In Eitels Ideenkammern brodelt es nämlich wie im Epi-Zentrum vom Stromboli zu besten Zeiten. Etwas Mitleid ist aber durchaus angebracht, wenn es darum geht, die Inspirationsquellen näher zu betrachten. Eitel schöpft nämlich nicht aus dem Seinigen allein. Im Gegenteil: er benötigt für seine Eingebungen lebende Gestalten. Sie dienen Eitel als Impulsträger und müssen herhalten, wenn Eitel den innigen Wunsch verspürt der menschlichen Masse vor ihm, ganz nach den Gesetzen der Mechanik, einen kräftigen Stoss zu verpassen. Als Impulsgeber genügt manchmal nur gerade ein symmetrisches Gesicht und ein Photo der Fratze als Beweis. Dazu gleich mehr. Eitel ist unentwegt auf der Lauer. Er hat immer etwas am Laufen und er verfügt über einen selbst ernannten guten Riecher. Schon nach wenigen Sätzen schnüffelt Eitel seine Musen aus der Durchschnittsmasse heraus. Stets wittert Eitel Grosses, Neues, Sensationelles. Eitel ist um Superlative nie verlegen. Ein paar Beispiele aus der Praxis: Öffnet jemand vor Eitels Argusauge mit einem anderen Gegenstand als einem gängigen Flaschenöffner eine Bierdose, flüstert Eitel dem Mann ein (der übrigens zum Trinken des Doseninhalts nicht mehr kommen wird, weil dies Eitel in seinem Übereifer kurzerhand übernimmt), dieser sei zu keinem geringeren als zu einem Erfinder geboren und er müsse sich dies im Angesicht seines ehrlichen Spiegelbilds, ob er nun will oder nicht, eingestehen. Eitel zeigt sich dann gerne behilflich, die neue Berufskarriere bis ins Detail zu planen und telefoniert schon mal in alle Welt herum, um den soeben geborenen Erfinderling und Nachfolger von Edison zu verkünden. Sodann geht es ums Entwerfen und, wenn auch halbwegs widerwillig, werden fleissig Patentanmeldungen ausgefüllt. Ist Eitel Zeuge eines profanen, jedoch gut ausbalancierten Mauerstehens, wie es schon jeder Mal beim Warten oder Telefonieren tat, schleicht Eitel an den Mauersteher heran und klärt ihn auf, womit dieser fortan seinen Lebensunterhalt verdienen muss, nämlich als Akrobat. Wenig später ist der Artistenverband im Anmarsch, und es ist für den neuen Akrobaten knifflig, den Lauf der Dinge noch zu kontrollieren. Nicht selten landet so jemand, wenn er sich nicht gut verbal oder physisch zu wehren weiss (oder schlichtweg verblüfft ist, war er gerade noch Bäcker und auf einmal Akrobat), tatsächlich in der Zirkusmanege wieder, wenn auch erstmals als Clown, als Trapezseilhalter oder als Elefantenkotsammler. Wenn eine hübsche Lady nicht unweit von Eitel verklärt herumwandelt, und ist sie zudem symmetrisch geschnitten, muss sie sich nicht wundern, nachdem sie sich vorher in ein Gespräch mit Eitel verwickelte und den überwältigten Eitel ein Polaroid von sich schiessen liess, wenn am Folgetag dubiose Modeagenten vor ihrer Tür stehen und vorhaben die junge Dame nackig abzulichten. Eitel spürt Talente auf und ist dabei enthusiastisch wie eine fidele Turnschuhkolonie. Wehe dem, der sich als Volksmusikdulder outet und dazu zwei (im Zweifelsfall genügt auch eins) gesunde Beine hat: Im Nu stellt sich die Verbindung zur Tanzschule her, und da Volkstänzer andauernd gesucht sind, werden sie auch nicht mehr so einfach entlassen, haben sie mal ihre Beine in die Volksmusikkreise gesetzt. Möglicherweise neigt Eitel tatsächlich etwas an zu Übertreibung neigender Haltung. Denn gerade mal ein alltagskompetenter Mann gilt in Eitels Deklarationsparametern bereits als hochbegabt. Ist einer talentiert, zählt er in Eitels Wahrnehmung zum Genie. Wenn Eitel aber einem wirklichen Genie begegnet, findet ihn Eitel irgendwie pervers, um es in Eitels O-Ton zu formulieren. Eitel ist so gesehen ein Scout, der zwar regelmässig Beute macht, aber mit grösster Wahrscheinlichkeit knapp daneben liegt. Eitels Zettel, Inserate, Telefonnummern, die er laufend aus allen Hosentaschen oder Kleiderspalten hervorzieht, werden aber durchaus, vor allem von Talentbefreiten, sehr gerne entgegengenommen. Stets freundlich und mit neuen Ideen angesteckt, lassen sich Eitels Kumpanen gerne in neue Hoffnung und eingeflüstertes Glück betten. Eitel verlangt übrigens bei eintreffendem Erfolg – und das sagt er gerne augenzwinkernd – lediglich etwas symbolische Provision. Eitel ist aber nicht auf Geld oder Ruhm aus. Viel mehr sieht er sich als Anstifter zum Glück. Der Mediator Eitel wiederholt gerne seinen Leitsatz: „1+1=3“, wobei klar ist, dass mindestens eine der Einsen Eitel ist. Eitel hat schon viel erlebt: Firmen gegründet, Firmen gelöscht. Telefonnummern notiert, Telefonnummern verteilt. Leute getroffen und andere Leute getroffen, denen er von den zuerst getroffenen Leuten erzählte. Ein Netzwerker eben. Eitel ist ein Traumtänzer, der Menschen mit viel Talent lästig ist und solchen mit wenig Begabung tatsächlich ein Glücksbote der Zukunft sein kann. Eitel ist aber nur vordergründig strebsam und hintergründig wenig aktiv. Nur gelegentlich bringt er etwas auf die Beine. So zum Beispiel kürzlich, wo er eine Party organisierte und Menschen zusammenbrachte, die Eitels Meinung nach wunderbar zusammenpassten und auf alle Fälle einmal zusammenkommen mussten. Es waren solche darunter, die ordentlich gut kochen konnten sowie richtige Berufsköche und dazu ein paar hungrige Leckermäuler. Man erkennt Eitels gute Absicht nur allzugut, aber solche Feste sind die Ausnahme. Denn Eitel ist wenig bereit seine angezettelten Geschichten seriös zu verfolgen. Zu mühsam. Keine Zeit. Zu viele Komplikationen. Das ist bedauerlich, da die angesteckten Menschen von sich aus ebenfalls selten fleissig sind. Und so verpuffen Eitels Visionen aufgrund allgemeiner Faulheit jämmerlich, da auch Ideen gewissen Treibstoff brauchen. Der Weg ist für Eitel schwer anzuerkennen oder sich einzugestehen, dass nämlich ein Ansatz noch kein Sprung oder ein Ganzes ist. Dass ein gestecktes Ziel erreicht werden muss. Dass eine Idee aus sich heraus keine Beine hat. Zu Hause verzweifelt Eitel an dieser Tatsache und mimt daher den gestressten Bürokraten. Er plagt sich mit Anmeldungen, schreibt unablässig Businesspläne, lässt Dokumente in andere Sprachen übersetzen, ordert Broschüren, ordnet Patente, stapelt Formulare, kramt in Kontakten und arbeitet ständig an seiner Adresskartei. Wenn er alleine ist, bereitet sich Eitel mental auf das Leben draussen vor, indem er zum Beispiel Fernsehen guckt, wo er viele seiner Grundideen herholt. Solche banalen Dinge tut Eitel in seiner warmen Stube, sofern er nicht kurzerhand vor lauter Enthusiasmus durchdreht und sich zum Abreagieren auf dem Boden quer durch die Wohnung wälzt. Nur das entspannt Eitel und nur durch die Reibung an seinem Körper bekommt Eitel den Kopf wieder frei. Man sollte dem Boden eigentlich sehr dankbar sein, dass er so herhält und nicht ein weiteres menschliches Wesen Eitels Ganzkörperreibung zum Opfer fallen muss. Eitel danach zu befragen was aus dieser oder jener Idee geworden sei, ist nicht ratsam. Eitel meint dann lediglich „Das sag ich dir gleich.“ und lädt den Fragenden zu sich nach Hause ein. Sehr geheimnisvoll ist das. Ohne weiteren Kommentar öffnet Eitel zu Hause einen Schrank voll von Akten. Nach einer Weile nickt Eitel. Seltsamerweise nickt da der Fragende, wohl eingeschüchtert, ebenfalls, worauf Eitel zeremoniell eine Whiskyflasche kappt und wortlos drei Glas voll nimmt. Dann trinken beide, bis ein paar Gläser später Eitel mit viel Nachdruck in der Stimme meint: „Hier“. Dann öffnet Eitel einen Ordner und der Fragende muss feststellen, dass es sich um einen klassischen Ausredenkatalog handelt. Der Whisky zeigt bis zu diesem Zeitpunkt schon eine lähmende Wirkung. Der Gast wird also bleiben und sich Eitels monströs langen (bzw. langsam-lang-langweilig-lustig-lallenden) Monolog über allerlei Hindernisse anhören, warum die Projekte trotz Potential nicht zur Ausführung gekommen sind.

„Wer die Welt bewegen will, sollte erst sich selbst bewegen.“ (Sokrates)

 

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Besonderlinge, Galerie der Existenzen I, von Joanna Lisiak, Wolfbach Die Reihe 2012

Joanna Lisiaks „Besonderlinge“ sind, wie der Titel schon andeutet, bemerkenswerte Figuren mit besonderen Eigenschaften: Sie wünschen sich Spielplätze für Erwachsene, sammeln Senfgläser oder führen Statistiken über Brillenträger. So schräg die einzelnen Charaktere in der Landschaft stehen, so liebenswürdig sind sie auch. Und spätestens auf den zweiten Blick erkennt man, dass diese raffiniert porträtierten „Besonderlinge“, die Joanna Lisiak in ihre „Galerie der Existenzen“ aufgenommen hat, gar nicht so fremd, gar nicht so anders sind.

Weiterführend →

Lesen Sie auch das Porträt der Autorin und das Kollegengespräch zwischen Sebastian Schmidt und Joanna Lisiak. KUNO verleiht der Autorin für das Projekt Gedankenstriche den Twitteraturpreis 2016. Über die Literaturgattung Twitteratur finden Sie hier einen Essay.