erden, wasser und gehäuse

 

das buch Fragment Heimat des malers und grafikers uwe albert, das auch ein katalog ist, vereint bildnerische arbeiten, die zwischen 1986 und 2012 im raum magdeburg sowie in rumänien, italien und ägypten entstanden. der buchdeckel scheint einen astronauten auf dem mond zu zeigen. es ist aber der künstler selbst mit rucksack bei den grenzerfahrungen einer wanderung durch ein entlegenes gebirge. neben bildern in aquarell, guasch, kreide und öl enthält das buch ätzradierungen, zeichnungen und fotografien. hinzu kommen kurze texte, etwa die beschreibung einer begegnung mit berghirten, wölfen und einem bären 1986 im rumänischen gebirge godeanu. bilder, drucke, fotos, texte, gestaltung, buchdruck, bindung und vertrieb realisierte uwe albert jeweils selber. und die buchausgabe hebt sich auch in der qualität des drucks sowie der gestaltung und bindung angenehm ab von den schlechter werdenden, weil billig produzierten, büchern selbst namhafter verlage.

was uwe albert heimat nennt, meint ein behaustsein, das man auch in der natur finden kann, die er in seinen bildern gestaltet und birgt. überhaupt betont er immer wieder die einheit von mensch und natur. zugleich ist heimat für ihn nichts statisches, sondern ein prozeß fortgesetzter entdeckungen. »Beheimatetsein verlangt schöpferische Gestaltung der Umwelt, die durch individuelle Sinnsuche geschehen kann. Ich vermute, dass diese Suche gleichzeitig das eigentliche Ziel ist, Heimat fortwährend neu zu bestimmen.« schreibt er.

weshalb heißt das buch dann, könnte man fragen, >Fragment Heimat<? weil heimat kein absolut und alternativlos bindender faktor der eigenen identität sein sollte. schließlich kann ein enger und einseitiger begriff von heimat auch mißbraucht werden. das wort fragment ist mit fragil verwandt. lateinisch fragmentum bedeutet bruchstück, splitter, trümmer, spätlateinisch überrest, lateinisch fragilis zerbrechlich, gebrechlich, schwach, vergänglich. dies entspricht der fragilität einer örtlichen bindung, die man stets neu hinterfragen muß und daher nur auf widerruf hat. außerdem wird der mensch durch entfremdungen immer auch selbst fragmentiert.

heimat meint indes nicht bloß reales und sichtbares, sondern zudem etwas über den dingen schwebendes, manchmal sogar utopisches, zumindest aber die hoffnungen, die aus einer herkunft erwachsen. und wie wäre das schwebende und utopische anders wahrzunehmen als im momentanen und bruchstückhaften? menschen, die ihre heimat verlieren, werden danach, um ihren verlust zu kompensieren, oft besonders gläubig, wobei fast gleichgültig scheint, woran genau sie glauben. uwe albert glaubt an keine heimat um jeden preis, will jedoch auf regionale wurzeln und prägungen, reale und imaginierte, nicht verzichten.

das buch ist in die kapitel >Fruchtbare Erden<, >Wasser< und >Gehäuse< unterteilt. vielfach findet man die motive acker, fluß und baum. auffallend sind die vielen ockerfarben, die eine affinität zur erde betonen. im kapitel >Fruchtbare Erden< erklärt uwe albert: »Mich faszinierte die jahreszeitenzyklische Wiedergeburt vermeintlich toter Erde. Insgeheim war damit der innerlich zerklüftete Boden für die Aufnahme neuer Eindrücke bereitet, so dass sich kindliche Erinnerungen wie aufgewirbelte Samenkörner darin festsetzen konnten.«

das wasser empfindet uwe albert als verwandtes element, weil es bewegt und damit die veränderung befördert. zugleich zeigt er es in seinen ambivalenzen zwischen schöpfungsmythen und weltuntergängen, also ursprung und abgrund, erneuerung und zerstörung. tiefenpsychologisch ist das unergründlich scheinende wasser symbol des unbewußten. und auch der künstler taucht immer wieder ins formlose hinab, um neue formen zu finden. denn erst die auflösung des sichtbaren macht kreativ.

die symbolik des baumes, der aus der mütterlichen erde wächst, kann bis zum weltenbaum reichen, der die ganzheit der welt umfaßt. uwe albert postuliert, man solle »die Stärke der Bäume erahnen / die selbst nackt ihre / innere Struktur bewahren«. bäume sind symbole des lebens, der geburt, der jugend und der unsterblichkeit. in den mythen mancher völker entstanden götter oder die ersten menschen aus bäumen. nicht zufällig pflanzte man nach der geburt eines kindes einen baum. in orientalischen überlieferungen wachsen gleichermaßen kinder und die seelen der toten wie früchte auf bäumen.

der äußerlichen stille der landschaft entspricht die innere ruhe, die man darin findet. so bietet das naturerleben halt gegen die hektik, oberflächlichkeit, grelle und indifferenz städtischer alltagswelten. die ruhe wird derart zu einer erfahrung am rande, die man privilegiert nennen möchte. dabei ist der rückzug in die natur nicht allein flucht, etwa vor seelenzerspaltenden fragmentierungen der gesellschaft, sondern überdies bewegunsraum, durch den der weg dahin am ende sogar wichtiger sein kann als die zuflucht der ruhe.

das kapitel >Gehäuse< ruft die motivfelder haut, schutz, geborgenheit, zentrum, abgrenzung, hausrecht und stadt auf. der zaun ging der mauer, der hof der burg, die burg der stadt, der ackerbau der kultur voraus. die frühen völker setzten körper, haus und kosmos gleich. viele baurituale deuten darauf hin, daß der bau eines hauses auf symbolischer ebene einer weltschöpfung gleichkam. jedes haus, das geweiht worden war, stellte so einen miniaturtempel und ein abbild des universums dar. zugleich ist der körper der mutter, die erste wohnung des menschen, die man auch erde nennt und umgekehrt, ein zentralsymbol der behütung. durch das bauopfer, das ursprünglich darin bestand, ein lebendes kind in das fundament des neuen hauses einzumauern, wurde das haus zum ersatz für den mutterkörper. das haus birgt seine bewohner wie die haut den körper. landschaften sind sozusagen die häute der natur.

der stadtwelt begegnet uwe albert mit skepsis, auch weil er anregungen vor allem abseits der asphaltierten straßen des denkens und empfindens sucht, also jenseits der konventionen und geraden wege. er sieht die städte als »oft bedenkenlos wuchernd, eine Aneinanderreihung von zoologisch anmutenden Wohn- und Konsumkäfigen, in denen sich Menschen bestaunen lassen.« dies meint aber keine distanz dem menschlichen insgesamt gegenüber, sondern verweist auf die verformungen der massemenschen und ich-marionetten in maschinenartig funktionierenden arbeitsundfreizeitwelten. »Schnurgerade Bedeutungsboulevards durchziehen die Landschaft. Von einem Land sagt man nie, daß es sich fremd geworden sei, dabei könnte man es von der ganzen Erde behaupten.« schrieb michel serres, »Ein halbes Jahrtausend nach der Kolumbusfahrt ahnen wir, wohin die aufs Ganze gehende strategische, informatische und demographische Selbsteinkreisung der Menschheit im planetarischen Maßstab führen könnte.« peter sloterdijk. moderne zivilisationen haben die entfremdung freilich kultiviert, ja zur lebenskultur selbst gemacht.

serres konstatierte: »Den Wald auf geradem Wege verlassen, ohne noch irgend etwas zu sehen, wird gleichgesetzt mit der Befreiung aus dem Zustand der Wildheit. Noch heute markieren diese beiden Verhältnisse zu den Orten und zum Raum den Unterschied zwischen einem Mann der Wissenschaft und einem, wie es eher verächtlich heißt, Literaten oder Poeten, der den Wilden nahesteht, und dieser Unterschied ist derselbe wie zwischen Landschaft und Panorama.« uwe albert entdeckt landschaften und mißtraut panoramen. er zeigt vielmehr die nuancen der landschaft, sogar im flachland von magdeburg.

 

 

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Fragment Heimat, von Uwe Albert. Bildfindung als Heimatsuche. Erschienen in der Weberknecht-Edition 2014
Einband: Halbleinen, Fadenbindung, 20, 5 cm x 15, 5 cm / 80 Seiten – Herstellung und Vertrieb:  Uwe Albert, 39116 Magdeburg Geschwister-Scholl-Straße 16 – Tel.: 0391 40595803
oder über: www.uwealbert.com

Weiterführend

Lesen Sie auch einen Essay über die Arbeit von Uwe Albert. Zum Thema Künstlerbucher lesen Sie bitte auch den Artikel von J.C. Albers