Mit mir ging es wieder bergauf, und außerdem hatten die älteren Herren mit einem Mal eine Reihe von Auftritten. Ich wühlte auf dem Speicher in den Säcken mit meinen Kleidern und verließ außerordentlich elegant das Haus, um in eleganten Hotels, auf Geburtstagen und Empfängen in Schlössern und Burgen und in großen Kasinos singend Geld zu verdienen.
Anschließend saß ich stundenlang auf irgendwelchen Bahnhöfen rum und wartete auf den ersten Zug nach Mülheim, denn ich hatte weder Auto noch Führerschein und die älteren Herren wohnten in alle Richtungen zerstreut. Manchmal kam die Bahnhofspolizei, um die Penner zu verjagen, denn dort durfte man sich nachts nicht aufhalten.
Ich sagte, ich sei Sängerin und nicht Pennerin.
Das war für die kein Unterschied. Also lief ich mitten in der Nacht wie der kleine Häwelmann durch die fremde Stadt und versuchte irgendwie, die Zeit totzuschlagen.
Leider trifft man zwischen ein und vier Uhr morgens nur Säufer und Bekloppte und ich fühlte mich manchmal schon etwas einsam.
Ich war aber trotzdem froh, nicht dazu zu gehören.
Manchmal traf ich aber auch interessante Leute und man kam ins Gespräch. Das wäre niemals passiert, wenn man sich tagsüber in der Stadt begegnet hätte, weil man dann mit Sicherheit aneinander vorbei gelaufen wäre.
Im Morgengrauen kam ich endlich in Mülheim an.
Ich ging auf den Wäschespeicher, setzte mich auf das alte Sofa und hörte noch ein Weilchen den hochbegabten Bluessänger ›Johnny Winter!‹ und ›Steve Ray Vaughan!‹ schreien.
Er hatte schon wieder vollkommen euphorisiert die Musik dieser von ihm verehrten Interpreten voll aufgedreht und kein Ende gefunden, denn er freute sich nach einer Flasche Whisky über die Betäubung seines Zahnnervs.
Dann kam die Polizei und ich hörte plötzlich die Vögel singen, die an diesem Morgen auch alles gaben, aber unverstärkt gegen die laute Unterhaltungselektronik nicht ankommen konnten.
Es wurde Herbst und auf dem Speicher zog es wie Fischsuppe vom Hecht.
Inzwischen war ich fast dreiundzwanzig Jahre alt geworden und konnte dank meiner Lebenserfahrung schon ganz gut Blues singen.
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Gott schmiert keine Stullen von Eva Kurowski, rowohlt
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