Trash-Lyrik @ its best!

Bei der Fahrt mit der Strassenbahn konnte ich im Takt der Rheinbahn-Schwellen diese rhythmische Prosa goutieren. Selten habe ich so etwas über eine Lebensstrecke von 30 Jahren gelesen, was mit einer derartigen Dringlichkeit aufgeladen ist.

A.J. Weigoni

Literatur lebt auch von Missverständnissen. Und das ist gut so. Ein geistvoller Irrtum bewirkt oft mehr als eine belanglose Richtigkeit. Was den Band Metamotivation ist möglich so originell unter den vielen BOD-Selbstverlag-Produktionen macht, ist die Leidenschaft dieses künstlerischen Zwangsarbeiters, sein – auch nach über 30 Jahren vergeblichem Anrennens gegen den offiziellen Literatur-Betrieb – ein geradezu brennendes Verlangen nach Mitteilung, was seine Pseudonymität im Internet täglich in den so genannten sozialen Netzwerken dokumentiert. Genau darin liegt aber bei Tom de Toys nicht der Reiz, sondern vielmehr die Reizung. Die „Ästhetik des Hässlichen und Kranken“ ist seit Gottfried Benns Gedicht Mann und Frau gehn durch die Krebsbaracke ein geläufiges literarisches Stilmittel. Diese Trash-Lyrik gewährt einen interessanten Blick in die Psyche des Verfassers (der stellvertretend für alle Zukurzgekommenen im Literaturbetrieb steht) und seinem unbändigen Drang nach Selbstermächtigung.

Seit dem 19. Jahrhundert versuchen sich die Schreiber von Manifesten in einer öffentlich gemachten Erklärung von Zielen und Absichten.

Wikipedia

Ein nie erreichtes Vorbild: The Notorious RDB

Die Texte in dem Band Metamotivation ist möglich teilt der Selbstverleger der Textsorte „Manifeste“ und „Antiprosa“ zu. Schreiben scheint in eine existenziellen Ausnahmesituation eine adäquate therapeutische Bewältigungsstrategie. Man kann diese Anmaßung ablehnen oder die Dreistigkeit anerkennen, dieser Autor hat nie aufgegeben – vor allen sich selbst. Oft hat sich die KUNO-Redaktion gefragt, ob es literarisch zwingend ist, Prosa in Lyrikform zu zerbrechen: „Wo ist der ästhetische Mehrwert?“ – Warum werden Texte mit dem vor 150 Jahren von Arno Holz erfundenen Mittelachsensatz präsentiert? – Die Logik des Gegenstandes geht in dem subjektiven Bedürfnis nach Geschehen, Bewegung und Veränderung unter. So liegt die Befreiung im Anschein realer Bewegung, die durch den syntaktischen Charakter der Sprache selbst und speziell durch die Halluzination der Worte hervorgerufen wird. Mit seiner Trash-Lyrik versucht Toys aus seinem inneren Chaos Sprachbilder zu erschaffen und die von ihm definierten Posen der Unempfindlichkeit zu entlarven. Die Transformation einer ganz gewöhnlichen Erfahrung in ein Stück Literatur, das ist es, was ihn über 30 Jahre lang in der off lyrik-Szene (ein von His Master’s Voice erfundener Begriff) angetrieben hat.

Ökonomie der Verschwen­dung

Georges Bataille

Dieser akribische Anthologist seiner selbst leidet an der künstlichen Zwanghaftigkeit seiner Umwelt, er will mit seiner „Antiprosa“ nicht mitspielen im offiziellen Literatur-Betrieb. Er hat sich als Außenseiter hochsterilisiert, selbst in der Literaturszene des sogenannten Social Beat. Die – wenn man es so betrachtet – soziologisch-philo­so­phi­sche Theorie einer „Ökonomie der Verschwen­dung“ von Georges Bataille läßt sich in Metamotivation wiederfinden: „Erst in der Todesnähe, in der Verschwen­dung der Ressourcen, ist ein authen­ti­sches Leben möglich“. Dieser Autor versucht unermüdlich den Sprachpanzer der scheinbar aufgeklärten Gesellschaft mit einem stream of consciousness aufzubrechen und wendet sich mit ungeheurer Vehemenz gegen eine durchfiktionalisierte Welt, seine unermüdlich sprudelnde Trash-Lyrik enthält Erkenntnisberichte seit den 1990er Jahren bis hin ins Jahr 2014, man kann sie als Zeitsatire lesen, esoterische Sinnsprüche tauchen ebenso auf wie egozentrischer Reihungsstil, nur Poesie sucht man vergebens. Angesichts der objektiven Erstarrung im Literatur-Betrieb leistet das Subjekt aus der „Off-Szene“ einen Schein der Bewegung, der sich in einem schier unermüdlichen Aktionismus verkörpert.

 

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Metamotivation ist möglich, Manifeste und Antiprosa von Tom de Toys, Books on Demand, 2014

Weiterführend →

Obwohl die nonkonformistische Literatur ehrlich und transparent zugleich sein wollte, war gegen Ende der 1960er nur schwer zu fassen, die Redaktion entdeckt die Keimzelle des Nonkonformismus in der die Romantiker-WG in Jena. Zu den Gründungsmythen der alten BRD gehört die Nonkonformistische Literatur, lesen Sie dazu auch ein Porträt von V.O. Stomps, dem Klassiker des Andersseins. Kaum jemand hat die Lückenhaftigkeit des Underground so konzequent erzählt wie Ní Gudix und ihre Kritik an der literarischen Alternative ist berechtigt. Ein Porträt von Ní Gudix findet sich hier (und als Leseprobe ihren Hausaffentango). Lesen Sie auch die Erinnerungen an den Bottroper Literaturrocker von Werner Streletz und den Nachruf von Bruno Runzheimer. Zum 100. Geburtstag von Charles Bukowski, eine Doppelbesprechung von Hartmuth Malornys Ruhrgebietsroman Die schwarze Ledertasche. 1989 erscheint Helge Schneiders allererste Schallplatte Seine größten Erfolge, produziert von Helge Schneider und Tom Täger im Tonstudio/Ruhr. Lesen Sie auch das Porträt der einzigartigen Proletendiva aus dem Ruhrgebeat auf KUNO. In einem Kollegengespräch mit Barbara Ester dekonstruiert A.J. Weigoni die Ruhrgebietsromantik. Mit Kersten Flenter und Michael Schönauer gehörte Tom de Toys zum Dreigestirn des deutschen Poetry Slam. Einen Nachruf von Theo Breuer auf den Urvater des Social-Beat finden Sie hier – Sowie selbstverständlich his Masters voice. Und Dr. Stahls kaltgenaue Analyse. – Constanze Schmidt beschreibt den Weg von Proust zu Pulp. Ebenso eindrücklich empfohlen sei Heiner Links Vorwort zum Band Trash-Piloten. Inzwischen hat sich Trash andere Kunstformen erobert, dazu die Aufmerksamkeit einer geneigten Kulturkritik. In der Reihe Gossenhefte zeigt sich, was passiert, wenn sich literarischer Bodensatz und die Reflexionsmöglichkeiten von populärkulturellen Tugenden nahe genug kommen, der Essay Perlen des Trash stellt diese Reihe ausführlich vor. Die KUNO-Redaktion bat A.J. Weigoni um einen Text mit Bezug auf die Mainzer Minpressenmesse (MMPM) und er kramte eine Realsatire aus dem Jahr 1993 heraus, die er für den Mainzer Verleger Jens Neumann geschrieben hat. Jürgen Kipp über die Aufgaben des Mainzer Minipressen-Archives. Ein würdiger Abschluß gelingt Boris Kerenski mit Stimmen aus dem popliterarischen Untergrund.