Ich sehe diesen riesigen, schweren, schwarzen Kasten vor mir, auf dem ich in den 1970ern und auch noch 1980er Texte getippt und halbwegs formiert habe: IBM-Composer. Ich lernte dieses Unikum in einer Regensburger Druckerei kennen. Ich ließ dort die ersten Lyrik- und Prosahefte meiner „edition ad astra“ drucken.
Das beste aber war, dass mich der Druckereibesitzer des öfteren bat, Texte eben auf dem IBM-Composer zu tippen, weil er keine Zeit dafür hatte. Ich konnte dadurch die Preise für meine Druckerzeugnisse erheblich reduzieren. Das gute Ding, das IBM 1966 als „Selectric Composer“ auf den Markt geworfen hatte, war eigentlich nur eine große Kugelkopfschreibmaschine, allerdings mit sehr vielen auswechselbaren Köpfen und Schriftgrößen von 8 Punkt bis 14, soweit ich mich erinnere. Die Schriften hießen Orator oder Gothic, Script, Adjutant, Delegate oder Prestige und erlaubten die sogenannte PS-Schrift, die im Gegensatz zum normalen Schreibmaschinensatz die Buchstaben nicht mit gleichem Zwischenraum aneinander setzte, sondern die schmäleren Buchstaben eben enger an die breiteren, so dass ein ziemlich gleichmäßiges Schriftbild entstand, das dem des Bleisatzdruckes ähnelte. Eine Proportionalschrift eben.Tatsächlich arbeiteten in den 1960ern und 1970er Jahren viele Zeitungen und Zeitschriften wie auch Buchverlage mit diesem Gerät. Text konnte gesetzt und gedruckt werden. Das Problem war, dass man Fotos oder Grafiken per Hand in das Schriftbild einfügen musste, denn es gab ja noch keine Computerlösung. Beim Satz mit dem Composer musste man also vorher ausmessen, wieviel Platz man für ein Foto freihalten musste und diesen dann entsprechend einplanen. Ein weiteres Problem der ersten Geräte war: Man schrieb praktisch blind, da es erst mit der späteren Einführung des Magnetkartenspeichers eine größere und dauerhafte Speichermöglichkeit gab. Ich tippte also in besagter Druckerei per normalem Schreibmaschinen-Farbband den Text in den ca. 8000 Zeichen großen internen Speicher des Geräts und gleichzeitig auf Papier, las Korrektur und verbesserte im internen Speicher und ließ ihn dann mittels eines speziellen „Carbon film ribbon“, das ein glasklares Typenbild ermöglichte, aber auch teuer war, weil man es nur einmal benutzen konnte, auf ein speziell beschichtetes Papier den Inhalt ausdrucken.Das war dann auch schon die Druckvorlage.
Eigentlich spartanisch, aber es gab eben, solange die Druckköpfe noch neu waren, ein bis dato nie gekanntes, sauberes Druckbild.
Natürlich hatten die Maschinchen ihre Krankheiten. Die Kugelköpfe entwickelten so ziemlich wöchentlich ihr unschönes Eigenleben und tippten die Abstände unterschiedlich oder rissen gar Löcher ins Papier. Nicht umsonst verkaufte oder vermietete IBM seine Composer an Firmen nur mit angeschlossenem Wartungsvertrag.
Schaltete man die Maschine aus – oder fiel der Strom aus, was durchaus mal vorkam – war auch der Speicherinhalt weg. Also halfen sich viele Composer-Nutzer damit, dass sie beim Tippen des Textes bereits ein Blatt Papier samt Blaupause einlegten. Waren die Daten weg, konnten sie immerhin per Durchschlag noch rekonstruiert werden. So ging es beispielsweise den Machern der ehemaligen „Regensburger Illustrierten. Die fertigen, ausgedruckten Seiten sollten in Nürnberg gedruckt werden. Am Bahnhof Regensburg fragte ein Magazin-Mitarbeiter einen Reisenden, ob er nicht das Manuskript mit in die Nürnberger Druckerei nehmen könne, wenn er schon mit dem Zug dorthin fahre. Der Typ bejahte. Das Manu jedoch kam nie an. Um nicht die Publikation des ganzen Heftes zu gefährden, kamen die Magazin-Macher nun auf die Idee, den Durchschlag der Texte in Druck zu geben. Entsprechend sah das Resultat aus. Aber zumindest erschien die Nummer der Regensburger Illustrierten und durfte für sich in Anspruch nehmen, eines der originellsten Druckerzeugnisse seinerzeit zu sein.
Irgendwann, der genaue Zeitpunkt ist mir entfallen, gab es dann den Composer mit dauerhaftem Memory. Was für eine Innovation! Leider hing das Magnetspeichergerät, das wie der Composer selbst auch unglaubliche Kilo auf die Waage brachte, mittels Pressluftschlauch am Muttergerät und konnte somit auch nicht für den Transport abgehängt werden. Ein ganz tapferer Mensch, ebenfalls ein Regensburger (naja, sorry!) kam auf die Idee, den Schlauch einfach durchzuschneiden. Er wollte ihn nach dem Umzug in eine neue Redaktionsunterkunft dann tatsächlich per Tesafilm wieder ankleben. Tja. 30 000 DM im Eimer. Soviel kostete das gute Ding damals nämlich neu.
Oh, ich habe noch lange auf Composern getippt. Bei einer neuen Regensburger Stadtzeitung beispielsweise, die ihre Satzmaschine liebevoll „Edeltraud“ nannten, bei anderen Druckereien, bei einer Regensburger Sportzeitung (Blocksatz beherrschte das Maschinchen natürlich auch, wenngleich der Text ein wenig auseinandergerissen wirkte – es gab ja keine automatische Silbentrennung), bis ich mir, es war 1987, als ich bereits bei einer Tageszeitung als Redakteur angestellt war, in Passau von einer Gebraucht-PC-Firma so ein Ding für mich privat kaufte. Ich weiß, dass ich genau 1999,99 DM gezahlt habe. Und eine Mitbewohnerin des Miethauses an der Passauer Ilz musste mir helfen, das Unikum (natürlich schon mit Magnetkartenspeicher) in meine Wohnung zu schleppen. „Der schwarze Vogel geht in die Warteschleife“, „Auf Samtpfoten unter zerbrechlichen Himmeln“ und mein Paris-Band „Mona Lisa lächelt nicht mehr“ entstanden per IBM-Composer, bis ich, nach wohl fünf teuren Reparaturen, das Handtuch warf und mir einen der ersten Computer kaufte, einen XT, mit Matrixdrucker und – verglichen mit dem IBM – grauenhaften Schriftbild, aber mit Bildschirm und komfortablen Speicher. Und die Technik ließ nicht lange auf Innovationen warten. Die ersten Laserdrucker kamen auf den Markt, die Tintenstrahler.
Ach, wäre er doch weniger krank gewesen, mein Composer! Das Gerät schaffte immerhin noch einige Umzüge (auch ein IBM-Mechaniker musste wieder bemüht werden), wurde dann aber doch schweren Herzens dem Alteisenhändler anvertraut. Noch vor wenigen Woche habe ich in einem alten Koffer aus vergangenen Zeiten einen Kugelkopf gefunden, der im Composer gewerkelt hat. Ein Courier 10. Hauptsächlich fürs Briefeschreiben verwendet. Naja. Briefe schreiben ist ja inzwischen auch passé…
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