Es dürfte kaum verwundern, dass die Werke, die meine Jugend und das frühe Erwachsenenalter begleiteten, zu meinen Klassikern gehören.
Jean Cocteaus Kinder der Nacht fingen mich in der Pubertät ein wie kein Werk, ich tauchte ein in die romantisierte geheimnisvolle Welt vernachlässigter Geschwister, die sich treiben ließen, von einem Moment auf den nächsten, zwischen Schönheit, religiöser Verehrung, Ritualen, Liebe und Hass, nach Orientierung suchend, einem Leben, einem Dasein.
Das romantische Unverwurzeltsein der frühen Jugend in der Welt beschrieb Cocteau folgendermaßen:
In der fünften Klasse aber sind die erwachenden Kräfte noch den Instinkten der Kindheit unterworfen: tierhaften, pflanzenhaften Instinkten, deren Regungen sich der Beobachtung entziehen, weil das Gedächtnis sie ebenso wenig bewahrt wie die Erinnerung an gewisse Schmerzen und weil Kinder verstummen, sobald ein Erwachsener sich nähert … Diese großen Komödianten verstehen es, mit einem Schlage lauter Stacheln aufzusträuben wie ein Tier oder sich mit unscheinbarer Sanftheit zu wappnen wie eine Pflanze, und niemals verraten sie etwas von den dunklen Bräuchen ihrer Religion …
Cocteau trug mich durch diese Zwischenwelt, als Linkshänderin früh auf mich selbst gestellt, doch noch gefangen in dieser romantischen Unverwurzeltheit, begab ich mich auf Wege des Ungewohnten, des Verbotenen, wie Cocteaus Kinder der Nacht, auf der Suche nach nicht greifbaren Helden.
Meiner bürgerlichen Wertewelt entrückt, wandte ich mich schließlich dieser durch Dostojewskis Der Idiot wieder zu. Auch wenn ich in Myschkin keinen Heiligen sah, wie viele Interpreten, so sah ich doch den Narren, der ehrlich und weise immer über dem Abgrund schwebte.
Dostojewskis Fürst Puschkin war es, der mich das erste Mal mit dem Konstruktivismus in Berührung brachte:
Nur weil Geister nur von Verrückten gesehen werden, heißt das noch lange nicht, dass es keine Geister gibt.
Dieser Satz begleitete mich ein Leben lang, eröffnete mir früh einen ungeahnten Schatz an Blickwinkeln und Perspektiven auf die Menschen sowie die Welt, entfachte eine großartige Toleranz des Andersartigen in mir, um ihn später unter anderem als Ansatz für meine wissenschaftlichen Arbeiten zur Schizophrenie zu nutzen.
Existentialistisch lebend, liebend, leidend, lernte ich dann Sartre schätzen, der meinem Leben Sprache gab. Mit Sartre sprengte ich die bürgerliche Welt erneut, in der ich aufgewachsen war, und entdeckte die brodelnde, ungelebte Verbindung der Kriegsenkelin zur Großelterngeneration:
Jean: Lucie, du kannst dich noch so sehr wehren, wir sind aneinandergekettet. Alles, was sie dir angetan haben, haben sie uns beiden angetan; dieses Leiden, das dich flieht, ist mein Leiden; es wartet auf dich, wenn du in meine Arme kommst, es wird u n s e r Leiden werden; Meine Geliebte, vertrau mir doch, und wir werden noch einmal w i r sagen können, wir werden ein Paar sein, wir werden alles gemeinsam tragen, sogar den Tod. Wenn du doch wieder Tränen hättest …
Lucie heftig: Tränen? Ich möchte nur noch, daß sie mich wieder holen und schlagen, damit ich wieder schweigen kann und ihnen trotzen und angst machen. Alles ist schal hier: das Warten, deine Liebe, das Gewicht dieses Kopfes auf meinen Knien. Ich möchte, dass der Schmerz mich verzehrt, ich möchte brennen, schweigen und ihre lauernden Augen sehen.
Wenn ich es dann fertigbrachte, den Geist in Höhen zu katapultieren, jenseits von Gut und Böse, in der sich Regeln und Logik zu lösen schienen, fand ich in Beckett ein Gegenüber:
Gelbsüchtiger Glaube verkündete zitronenfarben den bunten Reigen, wurde durch einen Schimmelpilz von hoffnungslosem Grün zur Gürtelrose geschmälert und abgetan. Worauf das letzte Licht erlosch, als letzter Gruß an die Hingemordeten. Ein abgefeimtes Blutgetröpfel lüpfte in kupplerischem Karmin die grünen Röcke, auf daß die Prophezeiung sich erfüllte, ließ Gabriel entsetzt zur Herzkirsche erröten und überschwemmte das Zeichen mit seiner Glut. Doch rasselten die langen Röcke herunter, Dunkel bedeckte nun die Blöße, der Kreislauf hatte sich vollendet.
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