WIR SCHMECKEN SCHON LANGE NICHTS MEHR

 

Ich stehe vor der Käsetheke und bin berauscht von den vielen französischen italienischen spanischen Namen von all dem Trüffel und dem Büffel den Ziegen und Schafen den Kräutern und dem Schimmel dem Käse mit Guinness und dem mit Mirabellenschnaps und der mit Asche möchte am liebsten alles in die Tasche stecken und dann baut sich eine ältere und eine jüngere Frau ich nehme an Mutter und Tochter hinter mir auf und höre nur Hauptsache der Käse stinkt nicht

Natürlich nicht

Nicht stinken

Nicht riechen

Nicht schmecken

 

WIR SCHMECKEN SCHON LANGE NICHTS MEHR

 

in unserer Bonbonwelt

Schmecken kein Leben

Riechen nicht den Tod

der den Rhein hinunter

schwimmt und einfällt

wie einst die Wikinger

 

Machen es uns gemütlich

vor der Plasmawelt

mit Tüten voller

Glückseligkeit

zum Hammertiefpreis

Lecken am Nitratgehalt

des Untergangsszenarios

Kriechen in die leeren Wort

Hülsen der Werberomantik

 

Schauen zu wie die Übel

Täter am Galgen aufgeknüpft

werden die Weltenretter sich

brav dabei einen runterholen

wenn sie sonst schon keiner

mehr liebt

 

Stopfen uns voll mit den

Kopfgeburten aus dem

Geheimlaboren die das

Adrenalin zum Schäumen

bringt zum Überschäumen

um uns über die Dummheiten

der Pseudoprominenten

schlapp lachen zu können

so schlapp dass

uns die Gedanken

ausgehen heimgehen

frustriert enttäuscht

über eine Welt

die sie nicht mehr braucht

sie um ihre Rente betrügt

und ihre Mietverträge

fristlos kündigt

 

Viel zu lange schon

haben wir ihr nutz

loses Treiben mit

angesehen bis auch

der Toleranteste

seine politische

Korrektheit in die

Recyclingtonne

kloppt die am Tag

X mit dem Vermerk

falsch sortiert am Straßen

Rand stehen gelassen wird

 

Stürzt damit den in einem

arbeitsreichen mühsam

gesammelten Plastik

Reichtum unserer

virtuellen Religion

in eine tiefe Sinnkrise

verhöhnt die verfassungs

konforme Identität die wir uns

so teuer angefuttert haben

 

Dabei haben wir nichts

geschmeckt nichts gerochen

haben nichts Falsches getan

die Klappe gehalten die

1-Cent-Sammlung den

Tierfreunden gespendet

und das Kleingeld das

unter die Couchauflagen

gerutscht ist in Kinder

Dörfer investiert

 

Für die Vereinten Nationen

und ihren Kampf gegen die

Armut während eines Udo

Jürgens Konzert aufgestanden

Die private Nachfrage

angekurbelt

 

und dann drehe ich mich um und sage Wenn dir Käse zu sehr riecht dann friss doch deine Socken die geliebten selbst gestrickten hausgemacht ist es doch immer am besten und wenn´s dann noch immer nicht schmeckt gibt es bestimmt einen Ketchup der sich auskennt in der Welt der feinen Gerüche und der noblen Küche

 

von Freddy

oder Manni

mit dem wir unsere

Bomben einschmieren

den Frieden verkleben

den wir in die Konsum

Schutzzonen einschleppen

und Tante Emma foltern

die wir in der Supermarkt

Kette interniert und ihr

Klein Lädchen in seine

Bestandteile aufgelöst

haben elektronisch genau

uns damit brüsten wie mit

einem falschen Dekolleté

mit dem wir uns zu

Weihnachten behängen

um ein bisschen Leben

in die Bude zu bringen

 

und die Frau starrt mich an als wären ihre Lieblingsfußwärmer direkt aus dem Rote Kreuz Container in eine Kleiderverwurstungsfabrik verschleppt worden zieht sich einen Strumpf aus stopft einen Trüffelcamembert hinein (ihr glaubt ja nicht was so ein Teil kostet) und schwingt ihn wie eine Wurfschlinge über den Kopf und folgt damit dem Kreuzzug gegen den guten Geschmack während ich mir meine Rüstung anziehe und auf den Angriff der Ungläubigen warte

 

 

***

Rodneys Slam, von Roland Adelmann, Dortmund 2010

Weiterführend → Zu den Gründungsmythen der alten BRD gehört die Nonkonformistische Literatur, lesen Sie dazu auch ein Porträt von V.O. Stomps, dem Klassiker des Andersseins. Kaum jemand hat die Lückenhaftigkeit des Underground so konzequent erzählt wie Ní Gudix und ihre Kritik an der literarischen Alternative ist berechtigt. Ein Porträt von Ní Gudix findet sich hier (und als Leseprobe ihren Hausaffentango). Lesen Sie auch die Erinnerungen an den Bottroper Literaturrocker von Werner Streletz und den Nachruf von Bruno Runzheimer. Zum 100. Geburtstag von Charles Bukowski, eine Doppelbesprechung von Hartmuth Malornys Ruhrgebietsroman Die schwarze Ledertasche. 1989 erscheint Helge Schneiders allererste Schallplatte Seine größten Erfolge, produziert von Helge Schneider und Tom Täger im Tonstudio/Ruhr. Lesen Sie auch das Porträt der einzigartigen Proletendiva aus dem Ruhrgebeat auf KUNO. In einem Kollegengespräch mit Barbara Ester dekonstruiert A.J. Weigoni die Ruhrgebietsromantik. Mit Kersten Flenter und Michael Schönauer gehörte Tom de Toys zum Dreigestirn des deutschen Poetry Slam. Einen Nachruf von Theo Breuer auf den Urvater des Social-Beat finden Sie hier – Sowie selbstverständlich his Masters voice. Und Dr. Stahls kaltgenaue Analyse. – Constanze Schmidt beschreibt den Weg von Proust zu Pulp. Ebenso eindrücklich empfohlen sei Heiner Links Vorwort zum Band Trash-Piloten. Inzwischen hat sich Trash andere Kunstformen erobert, dazu die Aufmerksamkeit einer geneigten Kulturkritik. In der Reihe Gossenhefte zeigt sich, was passiert, wenn sich literarischer Bodensatz und die Reflexionsmöglichkeiten von populärkulturellen Tugenden nahe genug kommen, der Essay Perlen des Trash stellt diese Reihe ausführlich vor. Die KUNO-Redaktion bat A.J. Weigoni um einen Text mit Bezug auf die Mainzer Minpressenmesse (MMPM) und er kramte eine Realsatire aus dem Jahr 1993 heraus, die er für den Mainzer Verleger Jens Neumann geschrieben hat. Jürgen Kipp über die Aufgaben des Mainzer Minipressen-Archives. Ein würdiger Abschluß gelingt Boris Kerenski mit Stimmen aus dem popliterarischen Untergrund.