Köstliche Miniaturen

 „… die Dinge sind (.) das, was sie scheinen – und hinter ihnen. ist nichts“

Jean Paul Sartre

Schreiben ist leicht. Man muss nur die falschen Wörter weglassen, sagt Markt Twain auf der Seite 6. Und spätestens hier, bevor die Miniprosa-Stücke beginnen, ist der/die Leser/in verblüfft. Geschichten entstehen im Auge. Na, das kann ja heiter werden. Und schon geht es los. Mann und Frau, die in einem Bett liegen, das aus einem Roman ist. Und was will die Frau? Mehr lachen. Und auf der Bettkante? Da sitzt eine Katze. Die kann nicht lachen, sagt der Mann. Die braucht Sprechwerkzeuge, um zu lachen, sagt der Mann. Falsch geraten, sagt nicht die Frau. Denn die Katze schnurrt, also lacht sie. Und Mann und Frau schnurren den ganzen Abend, die Katze versucht zu lachen.

Wer an dieser Stelle noch rätselt, der stürzt sich sofort in den nächsten Text: die Fete. Frau und Mann wollen sich vergnügen. Fete heißt Fest, sagt der prinzipienfeste Mann. Sie sagt danser, er sagt tanzen und begibt sich aufs Klo. Denn tanzen ist denken im kleineren Raum, brummelt der Mann. Doch das Badezimmer dehnt sich aus. Und das Klopapier verwandelt sich in eine Fahne der Unendlichkeit. Und die Frau?

Noch eine Mini-Seance über Mann und Frau? Aber ja. Das Netz ist, wenn es nicht gehackt wird, ein wunderbares elektronisches, naja, wir wissen es schon. Und für die Frau? Das Netz ist nichts für kleine Fische, sagt der Mann, der in einem Buch liest. Und wie geht das Duell um das höhere Wissen aus? Falsch gefragt! Der Mann sucht nach Ziesel, Wiesel, Dusel und Muh im Buch, die Frau hat ihr Notebook zugemacht. Man müsse nicht alles wissen, sagt sie.

Und jetzt erwarten Sie von dem Rezensenten, dass er klugschwätzt. Der sitzt aber längst selbst auf der Couch. Schaut zu, wie der Mann einen Hammer und einen Nagel an ihm vorbeiträgt, um ein Bild an der Wand zu befestigen. Und die Frau? Die hat die Beine auf die Couch gelegt, die Augen geschlossen. Und der Mann? Der verlässt auf Zehenspitzen mit einem Blick auf die Frau das Zimmer. Und der Rezensent? Er begibt sich mit der Frau auf Zehenspitzen ins Bild.

Höchste Zeit über das Verhältnis der alltäglichen toten und lebendigen Gegenstände zu ihren Benutzern zu reden. Da klingelt das Handy des Mannes und die Katze hält ihr Ohr an das Gerät. Und sie weiß wie der Mann, dass die Stimme der Frau wie ein Stein klingt. Komisch oder? Und zu Weihnachten gehen Frau und Mann mit ihren Engeln ins Bett. Sie wissen, dass die Engel ihnen schweigend Antworten geben, auf Fragen, die sie ihnen nicht gestellt haben.

Glücklicherweise drehen jetzt Kühe die Locken oder auch umgekehrt. Wir sind in der Mitte des Bandes angekommen. Der Mann ist verschwunden, und die Frau bewältigt alleine das Leben. Zumindest solange, wie die Kühe ihre Locken drehen und solange die Frau im Süden mit der Frau im Norden redet. Und was macht die Frau? Sie denkt zwischen zwei Löwenköpfen; sie sammelt Rosenblätter auf, legt sie in einen Korb, der atmet, weil er eine Arche geworden ist, in der die Zeit Wellen schlägt; sie atmet ein und aus, während sie in dem kleinen Prinzen liest und der Staub im Bücherregal und im Zimmer sich ausbreitet, solange, bis die Frau den kleinen Prinzen einatmet.

Wenn das so weiter geht, fragt sich der besorgte Leser, dann … Doch der Mann kommt wieder und die Stille zwischen den Tönen setzt ein, weil die Katze im Schallloch der Gitarre des Mannes etwas gehört hat. Was ist das nur für eine abstruse Alltagslogik, in der die Müdigkeit sich auf den Tisch legt, Füße sich in Seismographen verwandeln, Ameisen die Gestalt von Soldaten annehmen? Wenn selbst unschuldige Kinder davon betroffen sind, dann ist es höchste Zeit einzugreifen. Ratschläge kann uns, wie die Autorin versichert, der der Schweizer Aphoristiker Bachnonga geben. Die erste Kindheit sei verzwiebelt, die zweite versteinert, sagt der und sofort begreift auch der Rezensent die wundervolle Welt der Kinder. Dort fällt nicht nur die Sonne ins Meer sondern auch in die Augen der lieben Kleinen, und die Prinzessin mit der Gänseblümchenkrone erstarrt um Mitternacht und hört auf zu schielen. Genug mit solchen Albernheiten, sagte sich die Autorin und widmet ihr Finale den großen kosmischen Prozessen und der Politik, wie zum Beispiel dem Gespräch über die Europadecke, das mit der folgerichtigen Behauptung einsetzt, dass Europa mit und ohne Stier zu denken sei, weil die Europadecke viele Falten hat und niemand unter die Decke schaut. Und: alles wird wieder logisch sein, wenn die zwölf singenden Mönche in der Klausur den Himmel in ihren Kehlen wieder entdecken könnten.

Und was fällt dem Rezensenten nach der Lektüre dieser köstlichen Miniaturen ein? Vergleicht er sie mit den albernen, kunstvoll präparierten Szenerien eines Loriots, der auf der Couch sitzend die komischen Phänomene des Alltags mimisch, gestisch und epigrammhaft zu erfassen versucht? Ursula Teicher-Maier überschreitet mit ihren – allerdings nicht immer – pointierten Schlussfolgerungen die Grenzen der rätselhaften Alltagserfahrungen, indem sie die Dinge den Wahrnehmungen der handelnden Personen entzieht und sie gleichzeitig aus den Sphären des Unbewussten zurückholt, ohne beim Leser/Hörer ein befreiendes Aha auszulösen. Stattdessen setzt ein zögerndes Lachen ein, das sich nach mehr solcher auf den wackelnden Punkt gebrachten Geschichten sehnt.

 

 

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Kühe und Locken drehen, von Ursula Teicher-Maier. Ludwigsburg (Pop-Verlag) 2015.

Weiterführend → ein Essay über die neue Literaturgattung Twitteratur, sowie ein Recap des Hungertuchpreises.