neigt man sich vor der stahlgestützten Linde eines Poeten wie
vor einer Ikone und winkt der in Bronze erstarrte Ovid den
Passanten zu, und wo ich herkomme, nimmt man Platz an
Brancusis Schweigetisch, um Steine ins Wasser zu werfen.
Wenn Gäste auftauchen, legen sich die Bauern für die Nacht auf
den Lehmboden ihrer Veranda.
Ich füge noch mehr hinzu: Wo ich herkomme, ruht sich die Donau
bei den Pelikanen und Graugänsen aus, das Delta wie ich, ein
Flickland.
Bin jetzt das Bild meiner Heimat, die in den Ritzen des einstigen
Lebenssraums sich verschanzt hat und dort auf die Läuterung
wartet. Bin mir die Heimat also. In welchem Land denke ich bloß
diese Zeilen?
Unter meiner Brust – das Lehmhaus der Großeltern, ihr rauch-
schwarzes Land der Ikonen. Das Wunderland Garten (das trotz
Zäunen und faulender Rinde ewig schien und endlos) schläft in
Parzellen zwischen Brustbein und Rippen.
Handgewebtes Wollland mit Rosen, so alt und dunkel wie dieses
Jahrhundert, wärmt den Bauchnabel. Auf dem Rücken das
Schrumpfnest der Störche. Ansonsten Flachsäcke im Kopfspeicher –
leer die Waage, unnütz. Ein fast ausgetrockneter Brunnen im Hals.
An manchen Festtagen, bevor der Mond untergeht, hör ich noch
ein helles Gemisch von Lämmern und Freunden.
Hier und dort ein gelb-grünlichetr Sahnefleck aus den Augen der
Milchfässer in den sonst verlassenen Scheunen und jener Ostwind,
der den süß-sauren Atem der Kühe über die Dörfer zerstäubt.
Wo ich herkomme, macht der Sphinx der Karpaten den Mund
nicht mehr auf.
***
Versnetze_acht, Deutschsprachige Lyrik der Gegenwart, Hg. Axel Kutsch, Verlag Ralf Liebe, Weilerswist.
Weiterführend → Poesie zählt für KUNO weiterhin zu den identitäts- und identifikationstiftenden Elementen einer Kultur, dies bezeugte auch der Versuch einer poetologischen Positionsbestimmung.
→ Lesen Sie auch die Gratulation von Markus Peters zum 70. Geburtstag auf KUNO. Eine Würdigung des Herausgebers und Lyrikers Axel Kutsch im Kreise von Autoren aus Metropole und Hinterland hier.