Der Fluss
ist ein Schwimmer zum Meer.
Er schwimmt entlang
vieler Ufer.
Wir treffen ihn
immer im Moment des Abschieds.
Ein See harrt
am gleichen Platz.
Er schaut mit blauen Augen
aus dem Gesicht der Erde.
Kein Blinzeln,
wenn der Ball der Sonne ihn am Morgen trifft.
Er wirft ihn zurück.
Für die Fischvögel
öffnet er seine gläsernen Türen in die Tiefe.
Mir gibt er seinen Spiegel in die Hand.
An einem Wintertag ohne Vorzeichen
verschanzte er sich
& tauschte die klaren Scheiben gegen satiniertes Glas.
In der Nacht
fiel ein Vogel tot vom Baum,
eine schwarze Note auf weißem Grund,
der Anfang einer wundersamen Melodie.
***
aus: Nicht für die Luft geboren Gedichte von Annette Hövelmann, 2014, Verlag Ralf Liebe.
Die Lyrikerin Annette Hövelmann erkundet in ihrem Lyrikband „Nicht für die Luft geboren“ in vielseitiger Brechung das Wesentliche der menschlichen Existenz. In diesem Band bietet sie einen Einblick in ein poetisches Werk mit Ausdruckskraft und gedanklicher Tiefe. Sie nimmt die vorgefundene Sprachmaterie, betrachtet sie, zerlegt sie, fügt sie mit anderen Elementen zu einer neuen Konstellation von Wörtern, Bildern und Sätzen zusammen. Themen ihrer Zeugenschaft sind: Natur, Kindheit, das Verfließen der Zeit, Verlust und Trauer werden ebenso thematisiert wie die harte Wirklichkeit des Krieges oder die metaphorischen Risse in der Vergletscherung der Gegenwart. In den Versen der Dichterin macht sich jedoch keine Resignation breit, sondern vielmehr der Wille zur Selbstbehauptung, auch wenn „die Erde aufgewühlt bis ins Mark“ ist, es sind Einsichten, die über den Einzelfall hinausgehen. Es gibt komplexe Zusammenhänge, die sich in einfacher Form darstellen lassen. Nur können muss man es. Ähnlich wie bei dem von der Redaktion sehr geschätzten Andreas Noga ist die Sprache der Gedichte von Annette Hövelmann erfrischend uneitel und geradeaus, diese Gedichte wollen nicht viel, sie sind.