Im autorisierten, zu Lebzeiten publizierten Werk des tragischen Jahrhundertdichters Paul Celan nimmt die Prosa von der Fülle her einen geringfügigen Raum ein. Nur mit Mühe und unter Hinzunahme aller Nebengenres, im Fall Celans Notizen, Briefen und Antworten auf Umfragen, lässt sich ein schmales Bändchen füllen. Für den groß angelegten Versuch einer historisch-kritischen Ausgabe ist das nicht unbedingt von Nachteil: bleiben doch so die Ausführungen und Dokumentationen in Text und Apparat einer kleineren Werkabteilung nachvollziehbar und überschaubar.
Gleichwohl befinden sich darunter für die Sicht auf den Autor, die Genese und nicht zuletzt die Radix/Matrix seines Werks so elementare Texte wie die Lenz-Adaption „Gespräch im Gebirg“, die Aphorismenfolge „Gegenlicht“ und des Dichters vielleicht aufschlussreichstes Zeugnis, die Büchnerpreisrede „Der Meridian“ von 1960. Celan, dessen weithin gerühmtes (zu seinen Lebzeiten partiell auch angefeindetes und nicht wenig mißverstandenes) lyrisches Werk, das bei einem für das zwanzigste Jahrhundert einzigartigen, späten Hölderlin-Ton ansetzt und das (wie das Leben des Autors selbst) zunehmend in ein Zerbrechen gerät (man vergleiche die aufkommende ‚Verstümmelung‘ des Sprechens in „Schneepart“ oder „Zeitgehöft“) – dieser Meister der Engführung hat zeitlebens nur weniges jenseits des gedichteten Worts gelten lassen. Ohne die Auszeichnungen, also den Bremer Literaturpreis, besagte Georg-Büchner-Ehrung und die Reise nach Israel 1969, kurz vor seinem Tod, wäre der Bestand noch geringer, ja, man müsste sie unter Umständen als ‚unergiebig‘ bezeichnen.
Es ist nicht so, dass Celan keine Affinität zur Prosa gehabt hätte – erst 2005 erschien unter dem Titel „Mikrolithen sinds, Steinchen“ ein nahezu tausendseitiges Kompendium der nachgelassenen Prosaversuche – dieser gewaltige Steinbruch an Texten und Fragmenten wird im letzten Band des historisch-kritischen Edition Eingang finden. Und in den Fünfzigern artikuliert der Dichter sogar seine Lust und Sehnsucht nach „geräumigeren“ Texten, nach „Geschriebenem“, wie er es von der bereits in die Mühlen des Zweifels und der Verkürzung geratenden lyrischen Arbeit abgrenzt. Vor diesem Hintergrund und nicht zuletzt in der Kenntnis der Zeitzeugenschaft, die Celan in seiner Prosa eben bezieht, ist es frappierend, wie wenig davon letztlich für gültig befunden wurde. Und auch das Wenige erscheint meist nur an entlegenem Ort, für den Interessierten oft nur schwerlich auffindbar.
So sind es im vorliegenden Band 15 der Ausgabe zuweilen auch nur angerissene und nicht vollständig erfassbare Themenfelder, die offenkundig im schreiberischen Leben Celans eine größere Rolle spielten, als es die öffentliche Wahrnehmung des Autors vermuten lässt. Über nahezu jedem dieser Texte steht als „finstere[r] Himmel“ die traumatische, schreckliche Erfahrung der Barbarei, des Verlusts und der Entwurzelung in der Mitte des Jahrhunderts – das Zentrum dieses Artikulierens in Prosa bilden das „Gespräch im Gebirg“, sowohl der dichterischen Sprache wie auch des Eindrucks des Surrealismus verhaftet, und „Der Meridian“. Im zweiten Teilband, dem Apparat zu den einzelnen Texten, wird das Ringen um diesen Werkpart in einer Reihe akribisch dokumentierter Text- und Bearbeitungsschichten deutlich. Offenbar vollzog sich die Genese dieser Zeugnisse lediglich in den offenen Briefen und Antworten etwas (so der Begriff überhaupt anwendbar ist) ‚leichtherziger‘.
Es ist das Verdienst dieser auf 16 Bände angelegten Ausgabe, die Mühsal der Arbeit von Paul Celan – nicht zuletzt auch angesichts immer größer werdender persönlicher wie auch literaturbetrieblicher Probleme (die Goll-Affäre, die ihn des Vorwurfs des Plagiats aussetzte, etwa) – sichtbar zu machen. Die Dimension dieses Unterfangens wird erst mit dem Abschluss der Edition erkennbar sein. Es bleibt zu wünschen, dass die ungeheuerliche dichterische Hinterlassenschaft wie auch die bedrückende Zeitzeugenschaft eines solchen Schicksals durch die Vollendung der historisch-kritischen Dokumentation nicht weiter kanonisiert, sondern lebendig gehalten wird.
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Paul Celan: Werke. Prosa I: Zu Lebzeiten publizierte Prosa und Reden. Historisch-kritische Ausgabe. I. Abteilung: Lyrik und Prosa. 15. Band (Text und Apparat). Suhrkamp Verlag, Berlin 2014.
Weiterführend → Poesie zählt für KUNO weiterhin zu den identitäts- und identifikationstiftenden Elementen einer Kultur, dies bezeugte auch der Versuch einer poetologischen Positionsbestimmung.