Der Dichter singt, wie das Blut durch seine Adern rollt. Er verrichtet seine Funktion auf so natürliche Weise, daß er um zu singen keines anderen Anreizes bedarf, als eine Pflanze um Blüten und Blätter zu treiben. Sein Singen ist eine selbstverständliche Funktion wie das Atmen, eine Gesamtwirkung wie die Schwere, und sein Bemühen die ferne, flüchtige Melodie, die er zuweilen hört, in eine andere Tonart überzuleiten, wäre ganz vergeblich. Dichten ist nicht ein Überschäumen des Lebens, sondern eher der Niederschlag, der unter den Füßen des Dichters hervorgeholt wird. Homer sagt: die Sonne sinkt, und das genügt. Er ist gelassen, wie die Natur; die Begeisterung des Sängers läßt sich schwerlich entdecken. Es ist nicht anders, als spräche die Natur.
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Henry David Thoreau gilt als Schriftsteller auch in formaler Hinsicht als eine der markantesten Gestalten der klassischen amerikanischen Literatur. Eine Einführung in Leben und Werk von Gerhard Gutherz findet sich hier. Als sorgfältig feilender Stilist, als hervorragender Sprachkünstler hat er durch die für ihn charakteristische Essayform auf Generationen von Schriftstellern anregend gewirkt. Wir begreifen die Gattung des Essays auf KUNO als eine Versuchsanordnung, undogmatisch, subjektiv, experimentell, ergebnisoffen.
Weiterführend → ein Essay über die neue Literaturgattung Twitteratur.