Kurz und süß – es wäre auch als Zitat möglich, die Wendung kommt im Buch vor – kann man angesichts der dahineilenden Stunde die Lektüre dieser Gedichte nennen, wenn es auch dann doch wohl etwas (sic) zu kurz greift. Nein, das schmale Kompendium, das Sybille Klefinghaus mit „der augenschule blau“ vorlegt, hat durchaus einige Gänge in die Tiefe, mancher still verlegt, wie in einem pharaonischen Grab, wo man angesichts der Wandmalereien die Wege ins Allerheiligste nicht sieht.
Auch wenn man zuweilen wünschte, eben jene Schritte in die Tiefe wären etwas ausformulierter, ist die Sammlung in drei Zyklen ein lesbares Stück Literatur, wie aus Mariengarn, aus den Flügelschlägen von Kolibris gemacht. Es weht und surrt ein bisschen, die Zellenverdichter der Verse heulen kurz auf, ehe sie verstummen, das nächste Blatt für die nächste schmalversige Miniatur fällig wird – „seltsam, aber es war so“, es ist die merkwürdig flackernde Stille dieser Gedichte, die anfasst.
So ist „unter den brücken“ die „gegend stark ramponiert“, und auch die Fleischgegenden ramponiert es, denn in dem Zartgebilde geht es anders zu als in einem Kleinod – es setzt Hiebe bis aufs Blut, und dieses Krawummen der Dinge wirkt trotzdem fein gewebt, eine Kritik an den Umständen, wo sich jeder den Blödsinn von seinem Vorgänger abguckt, um dann ebenso ein verlorenes Faktotum der Epoche zu sein, die, man sieht ja inzwischen genauer, eben unter die Brücke führt. Quod erat …
Es ist dieser Hebungs- und Blickeprall, der das Gespinst der Klefinghaus’schen Lyrik der „augenschule“ umtreibt. Der Zucker der kurzen Wege ist eben in den Gründen leicht bitter getränkt. Das „Eo ipse“ der auf den Oberflächen entlangstreifenden Belanglosigkeit bildet dabei Reibfläche und Verführung der „blauen“ Gebilde, die das Auge, die Standleitung in den Solarplexus der Dichter, erfasst. Klefinghaus metaphert schmal, doch oft hart bündig, dass man sich die inneren Augen reibt.
Die Wahrheit ist es, um die gerungen wird, auch wenn sie die Einzelne, die Sprecherin dieser Texte, mit den anderen in zwei Gruppen zerreißt (Seite 66, ausgerechnet) – oder aber eine Eselsohrfeige vom Baum der Erkenntnis rupft, mit dem Effet, dass eben diese ausbricht und zudem die Nebenerkenntnis, wie einfach alles hätte sein können, schwelte sie doch die ganze Zeit in den Taschen, die nun von den Leibern gefetzt werden … aber soweit kommt es nicht. Das Geräusch der Füße stört.
Es ist dies der fortwährende Laut, behauptet die Sprecherin dieser Gedichte, der die Erde in Gang hält. So sind die Letternblitze dieses Bands wie das Aufleuchten veränderlicher Sterne, verborgener gar – man ahnt um sie, man sieht sie oft erst im Moment ihres Wieder-Verlöschens, ihres Sich-Wegdrehens unter der Krümmung des Blickraums, eine Spielart, scheint es, erleuchteter Leere. Ein gediegenes, ein anständiges, ein zuweilen löckendes, wenn auch kein allzu aufregendes Buch.
***
→ Poesie zählt für KUNO weiterhin zu den identitäts- und identifikationstiftenden Elementen einer Kultur, dies bezeugte auch der Versuch einer poetologischen Positionsbestimmung.