was schreiben – was tun
das ist die frage
jetzt und überhaupt
nach all dem was geschehen ist
inmitten von all dem was geschieht
was schreiben – was tun
mit der sprache dem wort
ohne die sprache ohne das wort
nicht immer nur denken so denke ich
nicht immer nur reden so sage ich
endlich auch handeln wenn nötig wenn möglich
vielleicht auch ein handeln mit sprache mit wort
etwas wirklich tun gegen den mißbrauch der macht
gegen gewalt zerstörung folter und mord gegen den krieg
was handeln was reden was denken was schreiben was tun
was zählt schon „Die Angst des Tormanns beim Elfmeter“
gegen die angst all jener die ausgesetzt sind der gewalt
da massakrieren die Tutsis die Hutus und die Hutus die Tutsis
und schon wieder einmal ist ethnisch gesäubert ein land
ein beinamputierter junge vielleicht erst drei jahre
humpelt auf krücken durch die straßen von Tuzla
ein fernsehbild geht um die welt eines von vielen
dann deutlich sichtbar die hellen flecken
im harmonischen grau des satellitenbildes
als beweis für das massaker für die ermordung
von achttausend männern bei einem sportstadion
nahe bei Srebrenica nach dem fall dieser stadt
achttausend wehrlose männer reihe für reihe
abgeknallt von den erschießungskommandos
der mensch nur zielscheibe von haß und gewalt
was zählt da „Die Angst des Tormanns beim Elfmeter“
wie intellektuell dieser dichter und ach so sensibel
sensibel in fragen der ästhetik des formalen der literatur
was handeln was reden was denken was schreiben was tun frage ich mich
mit der sprache dem wort ohne die sprache ohne das wort oder schweigen
immer die welt nur beschreiben erklären anstatt zu verändern das wort
es kann nichts verändern alles ist leeres gerede programm nur illusion
die geschichte hat längst schon die antwort gegeben was worte bewirken
Auschwitz Mauthausen Bergen-Belsen Treblinka Majdanek Lidice Lodz
Verdun und Stalingrad Dresden Rotterdam und Coventry Monte Cassino
Hiroshima und Nagasaki Kambodscha Vietnam My Lai Ruanda Somalia Burundi
und tausende gulags im sibirischen eis und menschenknochen in höhlen
haben keine namen die schreie der gefolterten in den gefängnissen
haben keine worte mehr die offenen münder der totenschädel überall
was zählt hier „Die Angst des Tormanns beim Elfmeter“
was zählt hier ästhetik das denken das schreiben die literatur
was zählt hier das wort gegen gewalt gegen folter und mord
da schlachten die Tutsis die Hutus und die Hutus die Tutsis
und wir sitzen da und schmatzen und sehen dem schlachten tatenlos zu
und wir sitzen da und schreiben und reden und machen literatur wozu
und wir sitzen da verfassen resolutionen appelle wozu noch ein wort
und wir sitzen da und die Neonazis marschieren Sieg Heil! in den straßen
und wir sitzen da und haben an all das uns schon so gut gewöhnt
was kann noch die sprache was kann noch das schreiben was noch das wort
ich weiß keine antwort vielleicht kennt sie der tormann beim elfmeter
ich bin nur ratlos und mutlos wütend und zornig voll trauer und stumm
ich weiß keine antwort wozu noch die sprache wozu ein gedicht
ich weiß nur eines schreiben allein ist zuwenig
handeln ist nötig doch weiß ich nicht wie
***
Weiterführend →
Über den dezidiert politisch arbeitenden Peter Paul Wiplinger lesen Sie hier eine Würdigung.